vonlottmann 03.02.2010

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Der Fehlalarm am Münchener Flughafen war doch eigentlich eine peinliche Sache, könnte man denken, und die Behörden sollten sie schnell vergessen. Falsch! Gerade hat das Bayerische Landeskabinett umfangreiche Verschärfungen der Sicherheitsmaßnahmen beschlossen, als Konsequenz aus dem „ernsten Vorfall“. Das heißt, daß inzwischen sogar ein kompletter Irrtum der Security Leute dieselbe Wirkung entfacht wie in anderen Ländern ein echter Anschlag. In gewisser Weise ist das auch nötig, denn, auch wenn man es nicht glauben mag: einen echten Anschlag hat es in Deutschland in den jetzigen Grenzen noch nie gegeben.
Man reibt sich die Augen. Regierung auf Regierung hat sich gebärdet, als seinen wir mitten im Bürgerkrieg. Ein Sicherheitspaket jagte das nächste. Die Überwachung und Ausspähung der eigenen Bevölkerung wurde auf das totalitäre Maximum getrieben, umfassender als in George Orwells schmerzlichsten Phantasien. Auch das harmloseste Gute-Nacht-schlafgutmeinSchatz-Gespräch wird heute aufgezeichnet, jedes. Wenn sich im Flugzeug irgendwo in Afrika ein Idiot im Klo einsperrt, ist das Grund genug, für Milliarden Euro neue Durchleuchtungsgeräte bauen zu lassen und die gesamte Bevölkerung weitere Rituale der Gefahrenabwehr abzuverlangen. Es genügt, daß einer ruft „Sicherheit voran!“, und alle folgen, quer durch alle Lager, denn bei diesem Reizwort kennen wir keine Parteien mehr, nur noch Deutsche. Und erleben, wie selbst ein Ex-Terroristenanwalt zum maßlos wütenden Bluthund wurde, die Geheimdienste aufblähte und in harmlos demokratischen Zeitungsredaktionen einbrechen ließ. Dies alles, wie gesagt, ohne einen einzigen Anschlag. Eine Stimmung wie kurz vorm Losschlagen, wobei sogar seit acht Jahren Krieg gegen Afghanistan geführt wird, aus dem einzigen Grund, dort könnten sich Leute befinden, die eines Tages einen Anschlag bei uns machen könnten. Auch hier: keine Oppostion, kein Widerwort, keine Empörung, keine Gegenmacht (Lafontaine war der einzige, und wie wurde er dafür gehaßt!). Und alles ohne einen Anschlag. Was aber passiert, wenn er nun endlich kommt, der erste echte oder auch unechte islamistische Terroranschlag in Deutschland? Wenn das erste deutsche Haus in die Luft fliegt, nach tausenden afghanischen Häusern, die bombardiert wurden, auch in unserem Namen?
Werden wir uns dann vergleichsweise moderat verhalten wie etwa die Israelis, die manchmal fast täglich die zerfetzten Knochen ihrer Landsleute von der Straße sammeln müssen und trotzdem die Nerven behalten? Die nach hunderten von Anschlägen noch eine bessere, direktere Demokratie haben als wir? Nein, bei uns bricht dann endlich los, was seit Jahren gezüchtet wird und nun raus darf: der Faschismus im neuen Gewand. Notstandsgesetze sind das mindeste, was sofort umgesetzt wird. Razzien, Verhaftungen, Sicherheitsverwahrungen, Pressezensur, gelenkte Medien, öffentlich geförderte Denunziationen, Computerzugang, Online-Polizei, stundenlange Zwangsuntersuchungen an Flughäfen, in Zügen, auf der Autobahn: es wird nichts geben, was durch „den Anschlag“, wie er von allen nur noch genannt wird, legitimiert wäre.
Und selbst Oskar Lafontaine wird, den Lauf einer Pistole im Nacken, zum unbarmherzigen Endkampf gegen das Grundübel der Menschheit aufrufen: „Die Terroristen sind unser Unglück!“

(in der taz am Montag, Printausgabe)

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