Wie soll man diese Geste einschätzen? Einerseits ist es gerade für einen rechten Politiker in Chile ein Wagnis, Schwule als das zu zeigen, was sie sind: ganz normale Menschen. So richtig akzeptiert werden sie nämlich noch lange nicht, und schon gar nicht von den vielen Hardlinern in den eigenen Reihen. Als der Inhalt des Spots vor ein paar Wochen durchgesickert war, hatten Politiker beider rechten Parteien (der ultrakatholischen UDI und der eher traditionell-oligarchisch geprägten RN) heftig protestiert und zum Teil mit ihrem Ausstieg aus der Piñera-Kampagne gedroht. So betrachtet hat der Kandidat Mut bewiesen. Umgekehrt wird eine Mogelpackung draus: Mag Piñera sich noch so tolerant zeigen – am Ende wird er, wenn er denn regiert, auf Minister und Abgeordnete angewiesen sein, denen alles Gleichgeschlechtliche ein Gräuel ist. Was sollen sich Homosexuelle von einer solchen Regierung versprechen?
Daran, dass Homosexualität irgendwie auch zum Leben gehört, wird sich die Ultrarechte aber gewöhnen müssen, und der Piñera-Spot ist vielleicht ein kleiner Schritt auf dem Weg dahin. Wie auch zu erfahren war, handelt es sich bei einem der beiden schwulen Männer um Luis Larraín Stieb, den Sohn von Luis Larraín Arroyo, Wirtschaftswissenschaftler an der Universidad Católica und stellvertretender Leiter des UDI-Thinktanks Libertad y Desarrollo. Das vermeintliche Problem tritt also durchaus in den eigenen Reihen auf, und das ist bekanntermaßen auch gut so.