vonHeiko Werning 08.03.2011

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Es wird Zeit, die Aufmerksamkeit auf ein Buch zu lenken. Auf ein sehr schönes Buch. Ach was: auf ein sehr, sehr schönes Buch.
Frank Sorge hat es geschrieben, es erscheint zur Buchmesse im Eichborn-Verlag und es heißt „Brunnenstraße 3“. Es verfolgt das wichtige Genre des episodischen Entwicklungsromans, meinen Beitrag zur Literaturgeschichte, und erzählt die Geschichte von, nun ja: Frank Sorge, der einstmals am längeren Ende der Sonnenallee in Neukölln geboren wurde, prägende lange Jahre in der Brunnenstraße 3 neben dem Beate Uhse lebte und, nachdem die Gentrifizierung sich dorthin metastasiert hatte, in den Wedding floh. Es sind wunderbare Geschichten, sprachlich verspielt, humorvoll, dabei erzählerisch ausgefeilt und vor allem voll aufrichtiger Zuneigung für all die Gestalten, die sich jenseits der Agenturen, PR-Büros und Imageberater durchschlagen.
Dass das alles sehr schön ist, weiß ich, weil ich alle Geschichten in früheren Stadien von unseren gemeinsamen
Brauseboys-Auftritten kenne. Und weil ich das Buch in einem frühen Stadium ein wenig gegengelesen habe. Und weil ich bei der Hörbuchaufnahme im Publikum saß. Daher hier die aufrichtige Kaufempfehlung für Buch und Hörbuch.

Einen Vorgeschmack gibt es im Dossier der Jungle World von dieser Woche zu lesen. Auf Papier, wenn man einen Kiosk findet, der die subversive Schrift führt, digital aber auch.

An der Ampel über die Lüderitzstraße winkte mir ein junger Mann, ob ich eine Zigarette für ihn hätte, er würde sie auch bezahlen. In seiner Handfläche lag eine gelbe Münze.

»Ich habe nur Drehtabak.«

»Is’ egal, kann ich auch drehen.«

»Schon okay, kein Problem«, sagte ich und wühlte den Tabak aus der Tasche, »aber ich will kein Geld.«

Er war empört: »Ey, komm mir nicht so, wenn du mein Geld nicht nimmst, fühle ich mich schlecht. Das geht nicht, du musst das Geld nehmen, weißt du? Ich hab’ hier gutes Geld, und wenn ich es dir nicht gebe, Alter, dann fühl’ich mich wie ein Penner, weißt du?«

20 Cent gleich 60 Lindendollar, rechnete ich Pi mal Daumen um. Na, wenn er unbedingt wollte.

»Weißt du schon, meine ich nicht so mit Pennern, aber hey: Du musst unbedingt das Geld nehmen, weißt du?«

Ich gab ihm ein Blättchen und eine Tabakfüllung, da drehte er sich halb weg.

»Warte mal, ist ein bisschen wenig.«

»Hey nein, lass … «

»Und hier noch der Filter.«

»Okay, gut, ey, ist genau richtig. Du weißt doch genau, wie viel du immer nimmst.«

»Ja, aber erst mit dem Filter ist es okay.«

»Okay, ey, du bist so voll korrekt, Mann.«

Ich ließ die 20 Cent in den Tabakbeutel rutschen. Das machte ich nie, warum steckte ich die Münze nicht in die Tasche?

»Du bist voll selten, ey, voll krass, voll nett, weißt du, wie ich meine, weißt du, sonst so …  Du bist voll freundlich, ich danke dir, Mann.«

»Kein Problem.«

Er streckte die Hand aus, wir schüttelten, dann kam er wieder näher.

»Weißt du, ich bin auch nicht so hier so ein Muslim oder so.«

»Okay.«

»Nein, weißt du, ich glaube nicht daran, ist doch alles Scheise, guter Muslim, so’n scheise Allah.«

Er würgte den Namen des Gottes von ganz unten hoch, ließ ihn in der Kehle verklumpen, gurgelte ihn Buchstabe für Buchstabe nach oben. Ich war beeindruckt.

»Nein, weißt du, glaube ich wirklisch nicht so Scheise, ich bin Christ!«

Um Himmels willen, dachte ich, welcher Film lief jetzt. Seit wann gab es im Wedding Freikirchen, und wo? Womöglich gleich um die Ecke, was machten die da? Würde er gleich noch die Evolution leugnen?

»Ich glaube an Jesus, weißt du?«

Sprachlosigkeit auf meiner Seite. Aber jeder musste seine eigenen Erfahrungen machen, dachte ich nur, und wer Allah aus dem Kopf geräumt hatte, konnte es auch mit Jesus aufnehmen. Dann schüttelte er zum dritten Mal meine Hand.

»Ey, pass gut auf dich auf, Mann, sind eine Menge komische Leute hier, weißt du? Mansche voll krank, aber weißt du, bin ich so froh, dass du so korrekte Typ bist, ey. Können wir hier einfach so reden, keine Probleme, andere sind nicht so, weißt du?«

»Ich weiß.«

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https://blogs.taz.de/wer_allah_aus_dem_kopf_geraeumt_hat_kann_es_auch_mit_jesus_aufnehmen/

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