von 30.05.2011

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Ortswechsel zu Jesus. Dresden. Der Elbhang unterm Lilienstein, wo Napoleon auf dem Rückzug einen schwierigen Übergang hatte nach seiner Mischung aus Weltkrieg und Weltrevolution -also internationalem Klassenkampf. Der Ort für den 18. Brumaire des Louis B., für den aber jetzt die Zeit nicht ist.

Hartmut Rosa erklärte also in etwa, dass das Reden über Klassenkampf das Nachdenken über alternatives Handeln behindere: den notwendigen Ausstieg „der Gesellschaft“ aus ihrer sich selbst antreibenden sinnlosen Beschleunigung. Dieser Ausstieg sei Handeln im Gegensatz zu eskalierenden Krisenserien und ihrer je nationalen oder regionalen Verschiebung auf andere Nationen und Regionen. Klassen, wenn sie da noch nachweisbar sind, sind also nicht erfolgreiche Akteure eines solchen Kampfes.

“Kämpfer” scheinen so alle Gesellschaftsglieder zu sein und zu kämpfen gelte es direkt gegen ein bestimmtes Selbst- und Weltverständnis- also wohl gegen sich selbst. Welt und Selbst blieben im Wettlauf um Renditen, Renten und Reallöhnen ohne neue Wahrnehmung – ja, “das Mensch” erkennt sich selbst nicht in dieser dauerhaft ratternden Hamster & Rad -Position.

Macht durch Eigentum

Etienne Balibar sucht Klassenkampf mit dem frühdeutschen Politologen Carl Schmitt bei Hegel. Wirtschaftliches Eigentum schlage bei einer bestimmten Größe in politische Macht um, die den ökonomischen Klassengegensatz zum feindlichen Klassenkampf wandele. Der Feind sei das unpersönlich fremdes Volk, seine unpersönliche Form die Kriegsgefahr und Völker- Hass und Kriegs- Kampf würden so nur persönlich und für´s Vaterland möglich!

Schmitt schreibt Hegel dann fort: Im Leninschen Sozialismus werde jeder Feind Klassenfeind und jeder Kampf unversöhnlich und kompromisslos. – Ruge leitet etwa in dieser Art Revolution und Weltrevolution als letzte Schlachten ab. Marx, fährt Balibar fort, rücke nun den organisierten, also politischen Klassengegensatz in die Mitte der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft unter dem liberalen Staat als permanenten unvermittelbaren Widerspruch. Der Gegensatz der Seiten, könnte das heißen, wechselt zwischen einem Kampf im und unter dem Staat und seiner Abschaffung.

Dieser Wechsel selbst, schreibt nun Balibar direkt, sei zwischen Marxisten immer strittig als zu viel oder zu wenig Staat und zu viel Staats- und Parteimaschine. Ihr Streit wiederum habe im neoliberalen Stadium des Kapitalismus durch die Macht supranationaler Unternehmen und internationaler Regierungspraxen seinen Gegenstand verloren. Der Begriff “Klassenkampf” sei so hinter dieser Entwicklung zurückgefallen und überholt, hilflos und leer.

Neue Klassen

Ende, denke ich, nur noch Mythos, keine richtigen Klassen mehr, gemeinsam Partei in Weltkriegen statt Gegeneinander im Großen Generalstreik und erfolgreich in qualifizierter paritätischer Mitbestimmung deutscher Nation. Den extremen Ausschluss in extremem Kampf um den Sozialstaat überwunden und nur noch die „feinen Unterschiede“, die  Massenkonsum stark relativiert. Seit Juli 1914 laufen die Grenzen zwischen Nationenblöcken, seit 1989 zwischen Süden und Norden und seit Fukushima plus  verpesteter Landwirtschaft biopolar zwischen grün- fairem und neoliberalem Kasino-Kapitalismus.

Wie würde Marx das nennen. Wenn schon noch Kapitalismus ohne Industrieproduktion, Klassen und Antagonismus, lese ich aus Babilar heraus, dann schafft die politische Form, also der Kampf selbst neue Klassen. Da käme man dann mindestens auf eine dritte Klasse, von den beiden Grundklassen verschiedene mit einer Vielfalt von realen Funktionen und nachweisbaren Konflikten. Die gelte es nun herauszufinden, selbst gegen mache Bestimmung von Marx!

Und zweitens sei nicht mehr von der Unterwerfung der Gesellschaft unter den Staat aus der unbekannte Klassenkampf zu suchen, sondern Untererfung unter den Markt. Das habe ernste Folgen für die Gesellschaft. Die interessanteste sei weitere Verstaatlichung des Kapitalismus zur Standortsicherung in der Welt- und Nationenkonkurrenz. Damit, so Balibar im Finale, rückt der Gegensatz zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Markt bei der Bestimmung des Neuen Kampfes in den Fokus.

Marx fände bei Hegel 1843 eine Sphäre, die heute NGO heißen könnte. Hier werde Klassenkampf durch Kämpfe um andere soziale Beziehungen überformt. Also “nur” noch der Mythos zu überwinden, der vor fernen Zeiten als Ethos gegen die Ausgrenzung half. Dann war er schnell nur noch Grenzfall parteiischer Wissenschaft. Mit “wir” müsste Rosa diese Kollegen meinen, bestenfalls, weil es seine sind. Die Gesellschaft, als die Bürger Meier, Müller usw. haben da eher Arbeit mit dem anthropologisch Fremden und dessen möglichst klarer, also migrantischer Personifikation. Aber weil und wenn sie Steuern und Renten bringen, ist ihre Integration durch Parteien und Staat längst beschlossen.

“Wir” können ruhig stehen und kommen dem Ausstieg nicht erkennbar näher. Und die Entfremdung bleibt. Marx jedenfalls meinte eher rationales Bewusst – werden. Und dann erklärt er:
nicht durch Wissenschaft! Kurz vor Obervogelgesang hämmert der Schaffner gegen die seit Dresden geschlossene Toilettentür. Erst nichts, dann Rumpeln, dann Spülen, dann kommt ein junger Mann mit rosigen Wangen und Fernblick heraus und hinter ihm eine völlig gefasste junge Frau.

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