vonlottmann 12.06.2009

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

Gestern stand folgendes in der ‘taz’ (Printausgabe):
“Guantanamo: das Wort klingt allmählich so verstaubt wie die Worte ´Pershing II´, ´Abrüstungsmarathon´, oder ´Michael Moore´. Das Thema ist durch. Mausetot. Es ist so abgelutscht, daß man es selbst in den großen seriösen Zeitungen nicht mehr findet, oder nur noch ganz hinten als ungeliebte Meldung, und auch nur, wenn Schäuble mal wieder der Aufnahme von Gefolterten eine donnernde Absage erteilt, wie letzte Woche. Da scheint etwas unendlich kompliziert und langwierig zu sein. Man steckt ja auch nicht drinnen, denkt man, nicht wirklich, in der Materie, oder in der ´Vorzeigehölle´. Die Experten wissen bestimmt, was sie tun. Am guten Willen wird es ja wohl nicht fehlen. Am Ende sind es womöglich doch Terroristen, können wir Zeitungleser das überhaupt wissen? Vielleicht gibt es neue, geheime Foltertechniken (zum Beispiel mikro-elektronische?), die man naturgemäß nicht verrät, bei denen die Aussagen einen Hauch weniger wertlos sind als die bei den Hexenfolterungen der Inquisition? Und selbst wenn von hunderten Gefolterten nur ein einziger den festen Vorsatz in sich trägt, das Weiße Haus oder den vollbesetzten Reichstag in die Luft zu sprengen: hat sich dann ´Guantanamo´ nicht doch gelohnt? Ja, selbst wenn nun wirklich kein einziger ein potentieller Terrorist war, muß er es durch diese Behandlung nicht zwangsläufig geworden sein? Und wollen wir den bei uns haben?
Außerdem: Steht Schäuble etwa allein da? 25 von 27 EU-Staaten sind auf seiner Seite. Ja, die ganze Welt. Am kühnsten und widerwärtigsten sind übrigens wieder die Österreicher, die im schnarrenden Behördensprech von Verantwortung und Sicherheit faseln und sich dabei großartig fühlen. „Nicht ein Gefangener“ dürfe hinein ins Land, das sei fix, erklärte staatstragend die Innenministerin. Zwar sicherte der US-Präsident zu, dass nur ‚definitiv Unbescholtene’ ausreisen sollten. Aber man weiß ja nie. Also, Schwamm drüber.
Jedenfalls will niemand die verdammten Unschuldigen haben. Am wenigsten Barack Obama, und der ist nachweislich ein Ehrenmann. Er wollte ja das KZ des 21. Jahrhunderts schließen. Jetzt hat er sogar die berüchtigten Militärtribunale dort wieder eingeführt! Er wird schon wissen, warum. Also einem Psyhopathen wie unseren Innenminister kann man ja noch mißtrauen, aber auch Obama? Das wäre schon sehr fanatisch.
So etwa denkt in zwischen der gemeine Mann. Geld kostet es ja auch noch, man müßte die Opfer mit Steuermitteln hier einfliegen, einbuchten, erkennungsdienstlich behandeln, womöglich selbst foltern, später ein Leben lang observieren, bespitzeln und schikanieren. Von nichts kommt ja nichts. Wie viele Millionen und Abermillionen hat allein der Kurnaz gekostet, der häßliche Vogel. Hat das halbe Parlament monatelang aufgehalten. Dabei war da eher Steinmeier die verfolgte Unschuld. Nein, den Scheiß können wir uns echt sparen.
Schäuble sagt, unsere Gesetze erlauben es gar nicht, die Entrechteten aufzunehmen. Denn es dürfen nur Leute zu uns, die die Sicherheit nicht gefährden. Peng! Das sagt der so. Daß sie unsere Sicherheit nicht gefährden, kann man leider nicht beweisen. Dazu müßte man in ihren Heimatländern ermitteln, dort Entlastungszeugen befragen, am besten wieder durch Kidnapping und Folter. Aber Aussagen unter Folter sind nichts wert, auch keine entlastenden. Nein, all diese Brüder können schlußendlich nicht beweisen, dass sie KEINE Attentate im Schilde führen, und dieses letzte Argument ist einfach zwingend (gilt freilich auch für die übrigen 6,7 Milliarden Menschen). Also bleibt es dabei: wegsperren bis der Bestatter kommt!
Die Sache bleibt eben diffizil, einfache Antworten gibt es nicht, wir haben als nachdenkliche Menschen gelernt abzuwarten und abzuwägen.
So? Die Sache ist nicht einfach? Sie ist so einfach wie keine zweite in der Welt. Man muß moralisch völlig verrottet sein, um sich nicht zu empören.”
(Autor: Joachim Lottmann)

P.S.:
Die Firma ‘Facebook’ hat heute mitgeteilt, dass 415 Menschen im Laufe des letzten Tages darum ersucht haben, der Freund von mir zu werden. Darunter viele bekannte Namen, zum Beispiel die Galeristin Nina Borgmann, die Milliardärsgattin Gisela Getty oder der österreichische Medienmogul Don Dahlmann. Für mich bedeutet das, daß ich sicherlich bis Jahresende brauchen werde, diese Bitten abzuarbeiten. Man will, wenn man eine echte Freundschaft mit einem bis dahin Fremden schließt, kein unverbindliches Bla-bla-Gespräch à la Johannes B. Kerner führen… Nein, es muß schon das ‘Gute Gespräch’ sein, und das dauert länger. Mehr als zwei Freundschaften pro Tag sind einfach nicht zu schließen, fürchte ich.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wer_will_schon_pechvoegel_bei_sich/

aktuell auf taz.de

kommentare