vonmaggie 27.05.2025

Widerhaken

Literaturkritiken. Oder: ein Versuch, nicht den Kopf zu verlieren, zwischen all den Worten die so herumirren in unserer wundervollen Welt.

Mehr über diesen Blog

Die Berliner U-Bahn liegt nicht so tief, wie es in anderen Städten der Fall ist. An manchen Stellen fährt sie auch über der Oberfläche, nicht zu verwechseln mit der „wendigeren“ S-Bahn. Dieses Netzwerk aus Tunneln und Bahnhöfen, modernden Gängen und Bunkern hält die Stadt zusammen wie ein Netz aus Nervensträngen. Ein kontinuierlicher Strom von Menschen wird von einem Ort zum anderen transportiert, wie zirkulierendes Blut.

Bém findet sich mit seiner Gitarre genau dort wieder, gegenüber von Pancho Dirk, ebenfalls mit Gitarre. Sie gründen eine Band, Bém zieht bei ihm ein. Beide stimmen darin überein, Musik nur für Frauen zu machen, Pancho Dirk ist dabei deutlich erfolgreicher ist als Bém. Doch ausgerechnet mit Katrin, die Pancho Dirk abblitzen lässt, klappt es für Bém doch. Nicht, dass es irgendwie relevant wäre, für Pancho Dirk steht natürlich die Musik immer an erster Stelle. Sie finden einen koloss-artigen post-Physik-Studenten als Schlagzeuger und spielen ihre ersten Gigs. Es läuft gut.

Bém verliert sich zeitweise in den Geschichten der Berliner U-Bahn-Fahrer. Katrins Vater ist einer von ihnen und ihre Mutter hat betreibt ein historisches U-Bahn-Museum im heimischen Wohnzimmer und Flur. Zwischen all den Ausführungen über die zugemauerten Tunnel während der Teilungszeit finden sich auch Schauermärchen, so zum Beispiel vom Geisterzug: Passagiere sind alle, die in den U-Bahngleisen starben. Bém steht häufig an den fettigen Stehtischen unter den S-Bahn Gleisen Friedrichstraße und hört den alten Fahrern mit Bierbauch und Würstchen-Schrippe in der Hand zu, irgendwann kennt er die ganzen Details der Toten auswendig. Als er selbst den ersten Geist sieht, hält Katrin ihn für verrückt. Doch zumindest zahlen die Geister gut.

Rudiš porträtiert in seinem Buch allerlei schrullige Charaktere der Berliner U-Bahn-Welt und treibt nebenbei die Storyline von Katrin, Pancho Dirk und Bém voran. Außerdem erinnert sich Bém an alles Mögliche: an Freundinnen, wie sie zusammen „auf dem Rücken [lagen], die Nasenspitzen in den Himmel gebohrt“ und über die Menschen Europas sprachen, an die feinen Details der tschechisch-deutschen Kindheit und an den Schimmelfleck an der Decke, der aussah wie Australien.

Es ist Liebeserklärung an die zugige Berliner Unterwelt, nicht kitschig, sondern kühl wie die Luft der U-Bahn-Tunnel und gleichzeitig pulsierend wie Punk-Rock.

ISBN: 978-3-442-71331

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/widerhaken/der-himmel-unter-berlin/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar