vonmaggie 07.01.2025

Widerhaken

Literaturkritiken. Oder: ein Versuch, nicht den Kopf zu verlieren, zwischen all den Worten die so herumirren in unserer wundervollen Welt.

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Frederike, genannt Fred, ist Diplomatin. Leider jedoch nicht zu der Zeit, „als Diplomatie noch etwas für den Adel war und Botschafter die Macht besaßen, den Lauf der Welt zu verändern“.

Sie ist eine Frau in einem männerdominierten Feld; eine „kleine Sensation“ schon mit etwa fünfzig auf diesem Posten zu sein. Dafür gingen jedoch die große Liebe und Familie drauf – und „in dem Alter, als andere Frauen Mütter wurden, wurde [sie] […] einsam“.

Dieses Buch erzählt neben der eigentlichen Geschichte eine Menge über die Protagonistin selbst, Fred. Über ihre Einsamkeit und die Arbeiterklasse-Kindheit, über beamtentümliche Beherrschung und ihre Grenzen, über Kostüme als Fassade und ganz persönliche Werte.

Alles fängt mit der Teilkatastrophe in Montevideo, Uruguay an. Niemand scheitert in Uruguay. Aber gerade während ihrer Zeit wird die reisende Tochter einer deutschen Zeitungsverlegerin entführt und ermordet. Ein Journalist will die Story bringen – natürlich garniert mit den Unzulänglichkeiten der deutschen Botschaft in Uruguay – veröffentlicht den Artikel aber schlussendlich nie. Fred wird trotzdem ein Jahr lang zurück in die graue Zentrale nach Berlin versetzt. Danach geht es nach Istanbul, ein diplomatischer Drahtseilakt.

Man kann dieses Buch der Story wegen lesen – oder wegen dem, was zwischen den Zeilen steht

In Istanbul arbeitet sie Seite an Seite mit einem früheren Kollegen, Philipp. Sie teilen noch Traumata der gemeinsamen Zeit in der Botschaft in Bagdad, sie „waren damals in der Lage gewesen, Gespräche zu führen in denen kein einziger Satz der Wahrheit entsprach, und am Ende kannten […] [sie] sie trotzdem, sie hatte sich im Gegenteil versteckt, an den Rändern, in einem Zögern, einem Lachen.“

Das aktuelle Problem heißt Barış, ein Deutscher mit kurdischen Wurzeln, der eine Ausreisesperre aufgedrückt bekommt. Das Übliche: Verdacht auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Zudem sitzt seine Mutter im Istanbuler Frauengefängnis, sie wird als Regierungskritikerin gehandelt. Während Fred mit einem Kreis brillanter Juristen versucht, seine Freiheit vor den unfairen Gerichten zu erstreiten, zerbricht in der Heimat langsam Barış Leben. Studium, das eigene Café, die Beziehung.

Und dann taucht zu allem Überfluss noch ein Journalist auf – ausgerechnet der, der auch die Reportage über die Geschichte in Montevideo schreiben wollte. David heißt er, und er recherchiert nach den Verbindungspersonen. Wie kommen Informationen des BKA an den türkischen Geheimdienst, wie kann es sein, dass Barış kein Einzelfall ist? Es dauert nicht lange, bis auch gegen ihn ein Haftbefehl vorliegt.

Irgendwann überschlagen sich die Ereignisse, Barış verschwindet, seine Mutter muss ins Krankenhaus. In Davids Wohnung wird eingebrochen, er selbst verschwindet und taucht kurz darauf in Botschaftsgebäuden wieder auf.

Fred versucht all das zu lösen, während sie es gleichzeitig aus der offiziellen deutsch-türkischen Zusammenarbeit heraushalten soll. Vor allem jedoch muss sie sich entscheiden, Position zu beziehen. In ihrem Beruf, ihrer Verantwortung aber auch bezüglich ihrer eigenen Werte. Dass sie mittlerweile eine romantische Beziehung zu David pflegt, macht es nicht einfacher.

Insgesamt ließ sich das Buch sehr angenehm und flüssig – fast etwas zu flüssig, würde ich sagen. Dazu der perfekte Spannungsaufbau, man muss sich selbst zeitweise bremsen, um es länger genießen zu können. Und natürlich, um all die unterschwelligen Botschaften überhaupt aufnehmen zu können. Man kann dieses Buch der Story wegen lesen – oder wegen dem, was zwischen den Zeilen steht.

Insbesondere die unterhaltsame Ironie lässt es realistisch wirken. Die Reflektion der Beamten kratzt ständig an der Grenze zur Resignation, natürlich ohne sie jemals zu überschreiten: „Wir waren keine Spezialeinheit und keine Weltmacht, wir brachten keine Währung ins Schlingern, keine Regierung zu Fall. Wir waren drei läppische deutsche Beamte, und […] mit unseren Visitenkarten aus stabiler Pappe reinigten Polizisten wie diese sich die Fingernägel.“

Eine reflektierte Liebeserklärung an die Diplomatie, die sie in erneut zurück in das Bewusstsein der Gesellschaft bringt. Bitte, bitte mehr davon.

Lucy Fricke,
Die Diplomatin,
256 Seiten,
Ullstein,
ISBN: 9783548067780

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