Der biografisch mehr als nur angehauchte erste Roman von Gasdanow ist derjenige, der ihm den großen Erfolg bescherte. Während seiner Lebzeiten blieb es der einzig Große, aber auch heutzutage, da man Gasdanow in der russischen Exilliteratur wiederzuentdecken scheint, erfreut sich dieses seiner Werke der meisten Beliebtheit.
Der Erzähler des Buches Nikolai Sossedow, genannt Kolja, stammt aus sehr ähnlichen familiären Verhältnissen wie Gasdanow selbst, verlor früh seine Schwestern und den Vater. Auch Aspekte der Schulzeit decken sich und vermutlich hat Gasdanow sie, genauso wie die Erfahrungen des Bürgerkriegs, in seinem Werk verarbeitet.
Die ältere, mysteriöse Claire gab es auch in Gasdanows Leben – auch wenn sie eigentlich Tatjana hieß und auf ganz andere Weise als im Roman mit ihm in Verbindung kam. Wegen ihrer hellen Haare sei sie Claire genannt worden – und verbrachte der damalige Zirkel ihre politischen Diskussionen, den Tee und das Musizieren bei ihr im Haus, so war es „Ein Abend bei Claire“.
Gasdanow zeichnet in seinem Werk wortgewandt und wortgewaltig in langen Gedankenketten den feinen Charakter der Menschen nach, die Kolja begegnen. Seine Welt besteht aus Details; da wäre der Vater, der sich vergnügt seinen letzten Welpen von einem guten Freund stehlen lässt; da ist die kühle Mutter, die als Einzige die gedankliche Parallelwelt Koljas kennt. Man begegnet Jugendfreunden, die entweder unterhaltsam-dümmlich oder defensiv-ironisch sind, man lauscht Lehren die den Protopopen Awwakum (eine bedeutende Figur der russischen Kirchengeschichte) rezitieren, man besticht Pfarrer und geht mit dem weisen Großvater Witali spazieren, der nur rät „werde niemals zu einem überzeugten Menschen“. Und dann, sobald Kolja in den Krieg geht, gibt es noch zahlreiche eigenartige Kameraden.
Auch wenn direkte Konversation einen Charakter mit am echtesten abbilden kann, bedient sich Gasdanow eher spärlich daran. Egal, wie viel über einen Charakter geschrieben wird, sie alle sind so echt, als wären sie mehr als nur an der Realität inspiriert. Und nicht nur die Außenwelt, auch die Innenwelt Koljas wird in allen Facetten thematisiert, Gasdanow gelingt es, feinste Widersprüchlichkeiten und Eigenarten der Psyche darzustellen.
Je mehr Details aneinandergereiht werden, desto mehr erwächst daraus das Gefühl, welches vom Autor zwischen die Zeilen gepresst wurde. Er fasziniert mit seiner Sprache, aber auch mit dem Inhalt seines Werkes. Es lohnt sich, mehrere Male zu lesen, es lohnt insgesamt, all den literarischen Verweisen und biografischen Parallelen nachzuspüren. Gasdanow nimmt den Leser mit in seine Parallelwelt, geschaffen aus Erinnerung und Fiktion – wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen.
ISBN: 978-3-446-24471-9