vonmaggie 17.11.2024

Widerhaken

Literaturkritiken. Oder: ein Versuch, nicht den Kopf zu verlieren, zwischen all den Worten die so herumirren in unserer wundervollen Welt.

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Ich hatte Lust auf Unterhaltungsliteratur mit Niveau. Nein, man kann sich das schon recht exakt so vorstellen. Ein Mensch, der viel und gern Klassiker in verquerer Sprache liest und sich damit irgendwie zu oft in düsteren Welten wiederfindet, die von tiefsinnigen Charakteren bevölkert werden… ich hatte Lust auf leichtere Literatur. Endlich wieder mal in einem Buch verschwinden, mitfiebern, nicht mehr merken, dass man liest.

Ich teile Bücher gern in zwei Überkategorien ein. Es gibt solche, die die Welt ausschließen und solche, die einen nochmal wirklich in das Weltgeschehen hineinwerfen.

Vom vorliegenden Werk hatte ich mir gewünscht, es hätte mich ein wenig mehr entführt. Die Idee, die sich schon auf dem Klappentext präsentierte, klang so vielversprechend. Eine Idee, die ich so noch nicht gehört hatte. Und das reizt mich natürlich.

Es dreht sich alles um einen jungen Mann namens Hanio, wohnhaft in Tokyo, Werbetexter, weltverdrossen. Letzteres sogar so sehr, dass er versucht sich das Leben zu nehmen – und scheitert. Danach kommt er auf die Idee, die Verantwortung abzugeben, jeder gesellschaftlichen Norm den Rücken zu kehren und sein Leben zum Verkauf anzubieten.

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Ab dieser Stelle passiert ungefähr das, was öffentlichkeitswirksam als „rasante Mischung aus Kriminal- und Abenteuerroman“ beschrieben wird; Hanio wird in allerlei dunkle Machenschaften verwickelt. Ganz klassisch natürlich Geheimdienstarbeit, aber auch Eifersuchtsaffären und übernatürlich anmutende Gestalten beschäftigen ihn. Er kommt nach einigen Komplikationen ins Krankenhaus zu einem „hageren Doktor, der etwas von einem altern Hirsch hatte und ihm weniger als Arzt denn als Pfarrer gegenübertrat“. Außerdem landet er bei diversen Frauen im Bett und hält einem Botschafter eine Predigt. Sterben klappt natürlich nicht, stattdessen stapeln sich die Leichen um ihn herum.

Man gewöhnt sich sehr schnell an die allgegenwärtige Gegenüberstellung von Gefahr, Gewalt, Tod und simpler… Sinnlosigkeit der ganzen Welt. An dieser Stelle ist der Roman ein Kind seiner Zeit, es klingt ein kritisches Gesellschaftsportrait an – Mishima war ein Verfechter alter Traditionen zu einer Zeit, in der Japan immer westlicher wurde. Der Tod spielt auch in seinen anderen Büchern eine wichtige Rolle, er selbst starb durch einen rituellen Selbstmord nach einem Putschversuch auf das militärische Hauptquartier Japans.

Mishima wäre fast der erste japanische Nobelpreisträger für Literatur geworden, hätte man den Preis nicht vor der Verleihung wieder zurückgezogen. Der Autor liest sich stark in dem Buch, sobald man sich etwas über ihn informiert hat.

Das Buch ist so aufgebaut, dass man das Gefühl bekommt, auf einen Höhepunkt zu zulaufen. Auch wenn man es Hanio nicht merkt, mit jedem „fertigen“ Auftrag laufen die Fäden hinter seinem Rücken mehr zusammen. Sie verhaken sich. Und dann – just in dem Moment, als er „erschöpft vom Sterben“ ist und seine Prioritäten anpassen will – werfen sie ihm das geknüpfte Netz von hinten über. Kein allzu feingliedriges Netz, kein allzu überraschender Plot, aber nett für einen kurzen Roman.

Die Beschreibung der Welt erfolgt meist eher schematisch und emotionsbasiert, doch das, was wir erhalten, liest sich überraschend angenehm. Einmal „[spannen sich] die stattlichen Wipfel der Keyanki-Bäume […] mit einer unbeschreiblichen Grazie wie ein Wurfnetz über das blasse Blau des Himmels, aber wozu das alles?“ fragt sich Hanio. „Warum schmückte sich die Natur mit einer so unnützen Schönheit, warum waren die Menschen so unnötig kompliziert?“ Ein andermal betritt Hanio die Bahn, in der „es hell [war] wie im Paradies, und leer, die Halteschlaufen aus weißem Plastik baumelten hin und her. Hanio hielt sich […] fest, doch es schien ihm, als habe die Schlaufe eher ihn fest im Griff.“

Um direkt bei den Themen zu bleiben, die unseren Protagonisten in der Welt halten: die Einschübe mentaler Instabilität – einem Zustand, wo Hanio Spinnen Salti schlagen sieht und mit Stoffmäusen zu Abend isst – diese Szenen wirken eher so, als habe man sich literarisch austoben wollen. Genauso auch die andauernden Liaisons, mit der Krankenschwester, der Ehefrau, der Frau die ihm literally nur über den Weg läuft. Mishimas Faszination für Erotik in allen Ehren – für mich wirkt das Buch vor allem dadurch aus der Zeit gefallen. Nichts, was dem Buch seine Qualitäten absprechen würde, sicher, aber auch nichts, was ich vermissen würde.

Einigermaßen verwirrend dieses Buch also ganz im Allgemeinen. Insofern, als dass ich mich nicht ganz entscheiden konnte, was ich mit damit anfangen sollte. Ursprünglich wollte ich unterhalten werden, dann merkte ich, dass diese Buch noch düsterer war, als der Novembernebel, dem ich entfliehen wollte. Es gab ein Allerweltsanfang, kein Abschluss und dazwischen… vieles was mich festgehalten hat, aber nichts, wohin ich zurückkehren würde. Gut investierte Zeit, die ich jedoch kein zweites Mal investieren würde.

Sicher aber in ein weiteres seiner Werke, denke ich. Falls er mir wieder einmal begegnet, weiß ich jetzt, worauf ich mich einlasse.

ISBN: 978-3-0369-6168-2


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