Von taz-Mitbegründer Tom Schimmeck
Manchmal ist es verblüffend, wie vieles heute Mainstream ist, was beim taz-Start 1979 als extrem galt: die Frauenbewegung, die Ökologie, alternative Formen des Lebens und Wirtschaftens. Zugleich ist es schockierend, wie richtig wir lagen mit unserem Protest – zum Beispiel gegen die Atomindustrie -, für den wir über Jahrzehnte in die Ecke der Träumer, Spinner, Hysteriker gestellt wurden. Jetzt sind wir in Japan konfrontiert mit einem Szenario, das, als Drehbuch eingereicht, vor Wochen noch fast überall als zu apokalyptisch abgelehnt worden wäre. Und selbst ein Blatt wie die Welt, stets verlässlich auf der falschen Seite, überrascht uns mit der Schlagzeile: „Fukushima ist überall“.
Ja, die Revolution haben wir uns gewiss anders vorgestellt. Wenn überhaupt. Wobei dieses „wir“ damals mindestens so heterogen war wie es Revolutionen bis heute sind. Wer von uns glaubte wirklich daran, daheim in good old Westdeutschland einschließlich Westberlin eine Revolution entfachen zu können? Von der DDR, dieser spießigsten Republik unter dieser Sonne, ganz zu schweigen. Kein Zufall wohl, dass ein großer Clown die Titelseite der taz-Erstausgabe am 17. April 1979 schmückte. Ja, wir wollten eine neue Öffentlichkeit schaffen. Und klar sollte alles ganz anders werden. Doch der Glaube daran, dass ein historisches Subjekt sein Haupt erhebt und eine nagelneue Gesellschaft schaffen und wir dabei womöglich die Rolle der publizistischen Speerspitze übernehmen könnten, war selbst in der taz schon immer allenfalls eine Außenseiterposition.
Mit umso mehr Elan verfolgten wir die Befreiung in Osteuropa, Afrika, Asien und vor allem in Lateinamerika. Wir dachten schließlich international, kannten die Zusammenhänge. Wir wussten, wer zu den Despoten hielt (nein, nicht nur das US-Militär und Franz Josef Strauss). Und mit der Zeit lernten wir auch, dass uns nicht jede Revolution unseren Wünschen näher bringt. Das war schon bei der iranischen so, die so alt ist wie die taz, und auch bei der in Nicaragua. Und doch hat es seitdem mehr Umwälzungen gegeben, sind mehr Caudillos, Diktatoren und Zentralkomitees hinweggefegt worden, als wir uns zu träumen gewagt hätten. Hat unser Holzmedium dabei irgendeine Rolle gespielt? Nein.
Kommt jetzt die Revolution im globalen Schnelldurchgang und das dank neuer digitaler Werkzeuge? „Niemand kann das Internet kontrollieren, es ist die beste Form, um Ideen und Gedanken zu streuen und auszutauschen“, schwärmt die tunesische Bloggerin Lina Ben Mhenni. Vernetzte neue Medien spielten nicht erst seit den Protesten im Iran 2009 eine Rolle, sondern schon 1994 beim Aufstand der Zapatistas in Mexiko. Als 2001 auf den Philippinen die Anhänger des korrupten Präsidenten Estrada im Parlament beschlossen, Beweismaterial gegen ihn zu unterdrücken, standen binnen Stunden Abertausende auf der Epifanio de los Santos Avenue in Manila, mobilisiert von einer SMS: „Go 2 EDSA. Wear blk.“ „Dies ist eine Internet-Revolution“, sagte Google-Manager Wael Ghonim, der in Ägypten zum Oppositionshelden aufstieg. „Eine soziale, friedliche Revolution, deren stärkste Waffe das soziale Netzwerk war.“
Internet und mobile Funknetze haben die Medienstrukturen revolutioniert. Sie fungieren als globaler Informationskanal und Waffe zugleich, weil ihr interaktives Potenzial weit über die klassische Nachrichtenverbreitung hinausreicht. Sie helfen debattieren und organisieren, mobilisieren Menschen und liefern der vernetzten Welt eine Flut von Bildern und Augenzeugenberichten, die alle offizielle Propaganda autoritärer Regime unterhöhlt. Was wir bei der taz auch nicht ahnten. Wiewohl wir die ersten waren, die mit kleinen Computern herumliefen. Getwittert, gefacebookt und gesimst wird in Libyen, Marokko, Syrien und Bahrain. Und morgen überall? Schon wettert Muammar al-Gaddafi, die Aufstand in seinem Reich sei das Werk US-amerikanischer Social-Media-Unternehmen. Und Sänger Bono freut sich: „Es ist schwer, ein totalitäres Regime zu sein, wenn die Menschen plötzlich so viel wissen“.
Ja, das Internet und Mobilfunk können revolutionäre Wunderwaffen sein. Zugleich dienen sie aber auch als Instrumente der Propaganda, Desinformation, Überwachung, Ausforschung und Unterdrückung. Auch Herrscher von Medwedjew bis Chávez bloggen und twittern inzwischen. Und die Cyber-Zensur schreitet weltweit voran. Denn selbst die wunderbare neue Netz-Welt ist kontrollierbar. Sie hängt von Hardware ab, von Servern, Leitungen und Sendern. Immer wieder gelingt es der iranischen Regierung, das Netz zu kontrollieren – auch dank Software aus dem Westen. Die iranischen Revolutionsgarden erwarben gleich nach den Unruhen 2009 die Aktienmehrheit an der iranischen Telekom.
Die Sache des Bürgers
Es sind die Menschen, die Veränderung tragen, nicht ihre Maschinen, egal ob alt oder neu. „Einst wurden Aktivisten über ihr Anliegen definiert“, spottet Malcolm Gladwell im New Yorker, „heute von ihren Werkzeugen.“ So wunderbar diese Tools auch wirken, es braucht mehr als ein paar auf Monitore starrende Menschen, um eine Revolution in Gang zu setzen. Husni Mubarak knipste Internet und SMS-Dienste aus, doch der Shutdown der sozialen Netzwerke führte nicht zum Zusammenbruch der Revolte.
Wir erleben einen Quantensprung: Millionen Meinungen, Berichte und Dokumente stehen plötzlich für jeden abrufbar im Web. Dank WikiLeaks auch die geheimen. Gerade auch dieses „Leaking“ entfaltet eine neue Macht und findet viele Nachahmer. So haben die Kollegen vom französischen Online-Magazin „mediapart“ FrenchLeaks aus der Taufe gehoben. „Information ist keine Sache der Journalisten mehr“, schreiben sie, „es ist das elementarste Recht der Bürger.“ Während Island, geläutert nach dem Desaster des entfesselten Spekulantentums, überlegt, sich neu zu erfinden als ein Freihafen für Information im Digitalzeitalter, wo Firmen und Aktivisten keine Angst vor staatlichen Eingriffen und Schadenersatzprozessen haben müssen. Eine freie Serverfarm für die Welt? Ein Refugium für Whistleblower?
Und daheim, wo sich in den letzten 30 Jahren verblüffend wenig getan hat, was wäre hier noch zu (r)evolutionieren? In einem Land, das von den klassischen Revolutionsidealen der Gleichheit und Brüderlichkeit weiter meilenweit entfernt scheint? Mit einer Wirtschaft, in der Arm und Reich immer drastischer auseinanderdriften? Mit einem Bildungssystem, das die Sprösslinge der besseren Kreise bevorzugt wie sonst kaum irgendwo in der industrialisierten Welt? Mit einer Propaganda, die die Privatisierung der Gewinne und die Verstaatlichung der Verluste predigt? Werden sich die deutschen Medien revolutionieren? Und dabei den absurden Streit zwischen „traditionell“ und „neu“, „offline“ und „online“ endlich beilegen? Die Gefechte zwischen den Lordsiegelbewahrern des Papier- und Funkjournalismus und den Netzjournalisten sind müßig. Aufklärung sollte ihr gemeinsames Projekt sein. Warum haben wir in Deutschland eigentlich noch kein großes Internetmedium wie Mediapart oder die Huffington Post?
Tom Schimmeck war Mitgründer der taz und Redakteur beim Spiegel und anderen Blättern. Heute arbeitet er als freier Autor vor allem für den Rundfunk. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch „Am besten nichts Neues: Medien, Macht und Meinungsmache„
Der Medienkongress
Diese und weitere Fragen diskutiert die taz in drei Wochen auf einem Medienkongress im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Am Freitag, den 8. April, um 17.30 Uhr begrüßen Ines Pohl (taz), Jakob Augstein (der Freitag) und Bernd Scherer (Haus der Kulturen der Welt) die BesucherInnen. Um 19 Uhr hält Evgeny Morozov den Eröffnungsvortrag: „Revolution, Demokratie, Utopie: Vom Internet übermittelt?“. Um 20 Uhr diskutieren BloggerInnen, JournalistInnen und AktivistInnen aus Tunesien, Ägypten, Irak, Weißrussland und Deutschland: „Hier spricht die Revolution“. Ab 22 Uhr Party mit DJ Zhao. Am Samstag gibt es ab 9.30 Uhr volles Programm mit Vorträgen, Diskussionen und Workshops zu den Themen Medien, Öffentlichkeit und Revolution. Eine Karte kostet je nach Selbsteinschätzung 10, 20 oder 30 Euro. Karten gibt es online im taz-Shop oder direkt vor Ort.