vonGerhard Dilger 12.11.2010

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Wozu eine Fragestunde im Bundestag alles gut sein kann! Ungefragt verglich am Mittwoch Dirk Niebels liberale Parteifreundin, Staatssekretärin Gudrun Kopp, das geplante Engagement deutscher Entwickungsexperten in einem kolumbianischen Kriegsgebiet gleich zwei Mal mit der militärisch-zivilen Zusammenarbeit – der vernetzten Sicherheit – in Afghanistan.

Heike Hänsel (DIE LINKE): Weshalb wurde vonseiten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, entschieden, den „Plan zur integralen Konsolidierung der Macarena“ der kolumbianischen Regierung finanziell zu unterstützen, obwohl ein BMZ-Papier vom 13. Oktober 2010 in der Bewertung des Projektes vor der „lokalen Sicherheitslage“ warnt und feststellt, dass die Bevölkerung „das Programm eher als militärisches denn ziviles wahrnimmt“ und dadurch auch die Reputation der deutschen Entwicklungszusammenarbeit als unabhängigem Akteur durch die Assoziierung mit den Sicherheitskräften leiden könnte?

Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Das Thema hat beim Besuch des Ministers in Kolumbien auch in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt, sodass ich Ihnen heute sagen kann, dass die Unterstützung der Erstellung eines Raum-/Umweltordnungsplans im Rahmen des Plans zur integralen Konsolidierung der Macarena durch deutsche TZ-Beratung zum Ziel hat, zur Lösung der Landproblematik und damit zur Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für die angestrebte Landtitelvergabe beizutragen. Die deutsche TZ ist auf Zonen mit hoher Konsolidierung begrenzt. Die wesentlichen Tätigkeiten werden in der Departementhauptstadt stattfinden, die befriedet ist. Die Präsenz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wird von der lokalen Bevölkerung begrüßt, weil sie dazu beitragen kann, bezüglich der Situation in der Region für mehr Öffentlichkeit zu sorgen.

Heike Hänsel: Frau Staatssekretärin, Sie haben es erwähnt: Die Unterstützung dieses Plans zur integralen Konsolidierung ging durch die Medien und hat bei vielen Menschenrechtsorganisationen und kirchlichen Hilfsorganisationen Aufsehen erregt und auch Kritik hervorgerufen; sie haben darauf hingewiesen, dass die Region, in der dieses Projekt ausgeführt werden soll, konfliktreich ist. Dort sind Guerillakämpfer, paramilitärische Kämpfer, aber auch die kolumbianische Armee aktiv, und allen werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Unter anderem geht es um 446 Leichen, die dort gefunden wurden und bei denen die Todesursache noch nicht aufgeklärt ist.

Die Armee sagt, dass dies im Kampf getötete Menschen seien. Zwei Menschenrechtsaktivistinnen, die das erforschen wollten, wurden im August dieses Jahres dort ermordet. Es ist also eine hochexplosive Region. Nichtregierungsorganisationen werfen Ihnen vor, damit die Aufstandsbekämpfung in der Region zu unterstützen. Der Plan zur integralen Konsolidierung, an dem sich die Bundesregierung beteiligt, ist ein zivil-militärisches Projekt, an dem auch das Verteidigungsministerium und andere Sicherheitskräfte, der Geheimdienst, mitwirken. Wie können Sie das angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen, die auch der kolumbianischen Armee vorgeworfen werden, verantworten?

Gudrun Kopp: Frau Kollegin Hänsel, ich weise Ihre Darstellung zurück, die Bundesregierung würde sich hier an der militärischen Niederschlagung von Aufständischen beteiligen. (Heike Hänsel: Das werfen Ihnen NGOs vor!) Das ist absolut nicht der Fall. Ich verweise darauf – das hat auch Bundesminister Niebel getan, unter anderem in verschiedenen Presseäußerungen –, dass die neue Regierung Santos gerade einmal circa 100 Tage im Amt ist. Diese Regierung hat glaubwürdig dargestellt – das hat auch der Minister berichtet –, dass sie den sozialen Ausgleich in den Vordergrund des Handelns stellt. Es geht bei diesem Projekt darum, die Voraussetzungen für Landtitelvergabe zu schaffen; denn wir können alle davon ausgehen, dass Ländereien für die Menschen im ländlichen Bereich nicht zur Verfügung stehen. Ich kann Ihnen sagen: Nach der Abreise des Ministers hat es eine Gruppe um den Botschafter gegeben – Polizeikräfte, NGOs vor Ort, Bürger, Rechtsexperten –, die Gespräche geführt und übereinstimmend gesagt hat, dass dies ein sinnvolles Projekt ist. Ich kann Ihnen ankündigen, dass BMZ und AA in wenigen Tagen einen gemeinsamen Dienstbericht vorliegen haben werden. Wir stellen Ihnen diesen Bericht gerne zur Verfügung, damit Sie sich selbst ein Bild darüber machen können, was die Nachbetrachtung ergeben hat.

Heike Hänsel: Sie haben diese Gruppe erwähnt. Soviel ich weiß, waren auch Mitarbeiter des BMZ vor Ort, die unter Armeeschutz standen. Angesichts der Tatsache, dass die Bevölkerung vor der kolumbianischen Armee Angst hat, spricht es eine sehr deutliche Sprache, dass Mitarbeiter des BMZ unter Armeeschutz in diese Region geschickt werden. Sie werden dadurch Teil dieses Konfliktes; sie bleiben nicht neutral. Wieso hat Minister Niebel schon im September fest zugesagt, dieses Projekt zu unterstützen, wo doch erst jetzt Mitarbeiter des BMZ vor Ort waren und sich das angeschaut haben?

Gudrun Kopp: Frau Kollegin Hänsel, Sie haben schon während Ihres Besuchs in Kolumbien – Sie haben den Minister bei seiner Reise begleiten dürfen – Pressemitteilungen veröffentlicht, die ich ausdrücklich nicht teile. Diese Mitteilungen zeigen Ihre grundsätzliche Ablehnung einer Entwicklung, die zu einer vernetzten Sicherheit wie in Afghanistan führt. Wir sagen: Ohne Sicherheit ist Entwicklung nicht möglich und umgekehrt. In diesem Punkt besteht zwischen uns ein grundsätzlicher Dissens. Wir sind der Ansicht, dass die neue Regierung die Chance haben muss, Vertrauen aufzubauen. Vertrauen aufbauen heißt auch, Menschen an der Entwicklung zu beteiligen. Sie haben eben das PCIM erwähnt. In diesem Gutachten gibt es folgenden Passus:
„Die Regierung des neuen kolumbianischen Staatspräsidenten Santos scheint das Landthema entschiedener als die Vorgängerregierung angehen zu wollen. Eine neu eingerichtete Arbeitsgruppe unter Leitung von Alejandro Reyes erarbeitet momentan einen detaillierten Gesetzesvorschlag für die neue Regierung, bei dem es um die Rückgabe von insgesamt 2 Millionen Hektar Land an Vertriebene gehen soll. Dabei geht es unter anderem auch um die Rückgängigmachung von Enteignungen (…) Auch Gesetzesprojekte zur schnelleren Beschlagnahmung von illegal erworbenem Land sollen ausgearbeitet und jetzt umgesetzt werden“. Das alles lässt den Schluss zu, dass es Möglichkeiten gibt, hier zu einer Befriedung und zu einem vertrauensvollen Neuanfang zu kommen. Ich sage noch einmal: Dieser Umweltplan dient ausdrücklich dazu, Landtitelvergabe überhaupt möglich zu machen, damit Entrechtete zu ihrem Recht kommen.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, wie bewerten Sie die Stellungnahme mehrerer deutscher Hilfswerke, auch kirchlicher Hilfswerke, die sich mit den Verhältnissen in Kolumbien gut auskennen und die eindringlich vor diesem zivil-militärischen Engagement in der Macarena-Region gewarnt haben? Diese Organisationen werben vielmehr dafür, das respektierte und anerkannte Engagement der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Justizsektor weiter auszubauen.

Gudrun Kopp: Herr Kollege Hoppe, das eine tun und das andere nicht lassen. Natürlich muss es sehr viel mehr Kooperationen auch auf anderen Ebenen geben. Es gibt natürlich Skeptiker bei den NGOs und bei den Kirchen in Bezug auf das Thema „vernetzte Sicherheit in Afghanistan“. Herr Minister Niebel hat im Vorfeld sorgfältig geprüft, welche Möglichkeiten es gibt, bei der Landtitelvergabe weiterzukommen. Ich sage noch einmal: Wir schaffen die Voraussetzung dafür, dass eine entsprechende Kartierung erstellt wird. Das dient der Friedenssicherung und bewirkt nicht das Gegenteil.

Heike Hänsel: Wie ist die Aussage in dem BMZ-Papier zur Bewertung des Macarena-Projektes vom 13. Oktober 2010 zu verstehen, die „Erfahrungen aus der Maßnahme könnten als lessons learnt in die Arbeit der deutschen EZ in problematischen Sicherheitssituationen und der dortigen Schaffung von Governance-Strukturen einfließen“?

Gudrun Kopp: Frau Kollegin Hänsel, die deutsche EZ hat mit der Zusammenarbeit bei der partizipativen Landnutzungsplanung international, aber auch in der genannten Region außerordentlich gute Erfahrungen gemacht. Unsere Partner schätzen den partizipativen, auf Konsens zielenden Ansatz der deutschen EZ. Die Region La Macarena hat hier aufgrund des Kolonialisierungsprozesses und der bestehenden Rechtsunsicherheit eine symbolische Bedeutung für mehrere kolumbianische Regionen mit ähnlich gelagerten Problemstellungen. Der Plan zur integralen Konsolidierung der Macarena kann insofern als gutes Beispiel – als lessons learnt – für andere Regionen gesehen werden.

Heike Hänsel: Es war eine der positiven Empfehlungen des BMZ, dieses umstrittene Projekt zu fördern, weil man dabei viele Erfahrungen – lessons learnt – für andere Konfliktregionen sammeln kann. Dazu habe ich eine Nachfrage: Starten Sie hier sozusagen einen Versuch, auch unter Gefährdung von Menschenleben? Aufgrund der dortigen Kämpfe befinden sich nämlich sowohl die Entwicklungshelfer als auch die Bauern und ihre Organisationen vor Ort, mit denen die Entwicklungshelfer kooperieren, in einer lebensgefährlichen Situation.

Gudrun Kopp: Nein, Frau Kollegin Hänsel. Ich sage es ausdrücklich: Unser Ziel ist es nicht, Menschenleben zu gefährden. Vielmehr ist es unser Ziel, die Entwicklung zu befördern.

Heike Hänsel: Sie sagten, dass Sie auch in anderen Regionen Kolumbiens – es gibt sehr viele Regionen mit ähnlich gearteten Konflikten – eventuell Projekte fördern wollen. Habe ich Sie insofern richtig verstanden, dass Sie die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit mehr und mehr in diese stark kritisierten, riskanten zivil-militärischen Projekte hineinziehen wollen?

Gudrun Kopp: Frau Kollegin Hänsel, uns ist bewusst, dass es viele konfliktträchtige Regionen gibt, übrigens nicht nur in Kolumbien, sondern weltweit. (Heike Hänsel: Wollen Sie da vielleicht auch noch einsteigen?) Wir, das BMZ, haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung voranzutreiben, um dadurch möglicherweise Konflikte zu verhindern – auch das ist ein wichtiger Aspekt – und Regionen zu befrieden. Warten wir doch einmal ab, wie sich dieses Projekt weiterentwickelt. Ich hoffe, dass Sie dann Ihre skeptische Haltung aufgeben können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir hier zu mehr Entwicklung kommen und zur Vertrauensbildung beitragen können. Es ist wichtig, an dieser Stelle neue Wege zu gehen. Noch einmal: Das BMZ hält dieses Projekt für geeignet, um die Entwicklung zu befördern.

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