vonWolfgang Koch 10.07.2011

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Wie, fragt man sich als Beobachter, will der Gesetzgeber das unterschiedliche Regime rechtfertigen, wie die erklärte Ungleichbehandlung von gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, wie die Bevorzugung von älteren Kulten vor neuen?

Derzeit stehen elf Aufstiegskandidaten in Österreich auf der Liste der staatlich anerkannten Bekenntnisgemeinschaften, darunter Aleviten, Baptisten, Evangelikale, Pfingstler, Hindus und Mennoniten. Mit ihren vor zehn Jahren erhobenen 3.629 offiziellen Bekennern haben die Anhänger Shivas und Vishnus keine Chance mehr am Minoritenplatz. Sikhismus, Rastafite, Voodoo – Synkretismen stehen vor dem Gesetz da wie die schlimmsten Unberührbaren.

Statt Privilegien aufzuheben, schafft der österreischische  Staat ein immer ungerechteres System. Warum will der Gesetzgeber partout den rechtlichsten Status der Weltanschauungsgemeinschaften nicht anheben? Die Gewährleistung der »Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit« stellt ja auch für Atheisten, Agnostiker, Skeptiker und Gleichgültige – also für alle Andersungläubigen – ein wertvolles Gut dar.

Freidenkerische und humanistische Zirkel werden bald auch in Österreich auf analoge staatliche Anerkennung ihrer Vernunftphilosophien drängen. Die Wichtigkeit von Ketzerei zum Zweck der Erziehung ist bei vielen Eltern ja bereits unumstritten.

Und um die Interessen der Schüler und Schülerinnen sowie von deren Eltern geht es schließlich primär. Ihnen gegenüber hat der Staat seine grundrechtlichen Gewährleistungspflichten wahrzunehmen. Kultgemeinden sind Teil der Bürgergesellschaft, und Religionsfreiheit ist eines der klassischen Freiheitsrechte, die wesensgemäß die Freiheit des Einzelnen gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt schützen.

Für die religionsfördernde Tätigkeit des Staates sind sieben Anerkennungsklassen eine gesetzgeberische Blamage. Man stelle sich einmal ein Parteiensystem vor, bei dem die eine Organisation nach ihrem historischen Gewicht beurteilt wird, die zweite nach der Zahl der Mitglieder in einem Autofahrerklub und die dritte nach ihren Kontakten zu internationalen Schwesterparteien. Man stelle sich ein politisches System vor, in dem es siegreiche Kandidaten gibt, die auf ihre erworbenen Rechte verzichten (wie die Zeugen Jehovas), und gemeinsame Listen, die von der Wahlbehörde festgelegt werden (wie beim Islam).

Man wäre kaum geneigt, das einen »grundrechtsbasierten Rechtsstaat« zu nennen. Statt gesetzliche Klarheit im Ausstellungspark der Sinnangebote zu schaffen und den Gleichmut staatliche Neutralität über die blinden und sehenden Dogmen walten zu lassen, überantworten wir das Gewimmel von Zufluchten, Offenbarungen und Antipathien erneut einer heillosen Regulierung.

© Wolfgang Koch 2011

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