taz-Chefredakteurin Ines Pohl Stellt sich jetzt ein, wovor deutsche Zeitungshäuser seit Jahren Angst haben? Seit April, seit dem furchtbaren Reaktorunglück in Fukushima, brechen namhaften Titeln die Auflagen weg, die Einzelverkäufe von Magazinen, Tages- und Wochenzeitungen sind im Sinkflug. Über die Gründe wird hinreichend spekuliert. Ist es, weil die Leute kurzfristig einfach erschöpft sind, ständig und immerzu neue Riesenereignisse zu verdauen? Oder tritt nun ein, was in den USA schon vor einigen Jahren passiert ist, dass die Menschen vielleicht auch durch Fukushima und sicher auch die Ereignisse rund um die arabische Revolution ihr Medienverhalten nachhaltig verändern und immer mehr Menschen ihre Informationen über das kostenfreie Netz abrufen? Vielleicht liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte, und an jeder Erklärung ist ein bisschen was dran.
Was bedeutet all das nun für die taz? Wir haben enormen Erfolg im Internet. Mit 1,5 Millionen Besuchern im Monat stehen wir unter den Top 20 der deutschen Nachrichtenwebsites. Die Zahl der LeserInnen, die wir mit den taz-Themen erreichen, hat sich damit in den vergangenen Jahren verdoppelt. Das ist ein großer Erfolg. Problematisch bleibt, dass die Online-Sparte taz.de noch nicht profitabel ist.
Als Chefredaktion sind wir daher gehalten, gemeinsam mit der Verlagsleitung über den Tag, letztlich über die kommenden zwei, drei Jahre hinauszudenken. Entsprechend versuchen wir, uns dem veränderten Nutzerverhalten vor allem der jüngeren Generation anzunähern. Dabei wollen und müssen wir behutsam sein, um nicht, wie viele Verlage, überhastet und getrieben von dem Wunsch, unbedingt Erste sein zu müssen, viel Geld für einen schnell verglühenden Hype auszugeben.
Glücklicherweise erleben wir derzeit aber das Gegenteil. Seit dem Frühjahr versuchen wir über ein sogenanntes Satellitenmodell die beiden Distributionswege, eben der gedruckten Zeitung und des Online-Auftritts, besser zu verzahnen. In den einzelnen Fachredaktionen sitzen KollegInnen von taz.de, die die spezifischen Online-Ansprüche erfüllen und dafür sorgen, dass die unterschiedlichen „Kulturen“ sich besser verzahnen. Allein durch die Abgabezeiten für die Druckereien, die sich sehr von den Hochzeiten der Onlinenutzung unterscheiden, erwachsen große, alltägliche Probleme.
Wir denken, dass wir dabei gerade im ersten Halbjahr dieses Jahres einiges zustande gebracht haben, das sich durchaus sehen lassen kann. In verschiedenen Themenfeldern haben wir dabei die unterschiedlichen Möglichkeiten von Print und Online genutzt. Ein paar Beispiele:
Die geheimen Wasserverträge. Unserem Kollegen Sebastian Heiser gelang es, an die Berliner Wasserverträge zu kommen, die der Senat der Öffentlichkeit vorenthalten wollte . Ganz klassisch berichtete die sonntaz auf insgesamt drei Seiten über die Ergebnisse, ordnete ein, zeigte die Konfliktlinien auf, zog Vergleiche zu Verträgen anderer Städte. Genau terminiert veröffentlichten wir zu einer bestimmten Stunde zusätzlich die gesamten Verträge im Netz . So war es allen Interessierten möglich, sich einen sehr genauen Einblick zu verschaffen, in toto wichtig sicherlich nur für Spezialisten, aber gleichwohl eine tolle Möglichkeit, große Mengen an Daten zu veröffentlichen, die man nie in der Zeitung abdrucken könnte.
Ein zweites Beispiel, wie wir uns die Zukunft unseres Journalismus vorstellen, ist unser Angebot zum Thema Parteispenden. Gemeinsam mit den Datengestaltern von OpenDataCity bieten wir seit dem Frühsommer das Instrument parteispendenwatch.de an. Damit kann jeder Nutzer und jede Nutzerin durch einige wenige Klicks selber recherchieren, wer welcher Partei wie viel spendet. Und das Ganze über 15 Jahre hinweg. Zehntausende haben seitdem die Spendenberichte durchsucht. Die verschleiernde Gesetzgebung ist dadurch und durch konkrete Fallbeispiele viel mehr Wählern bekannt als bisher.
Und noch ein Beispiel, wie wir die Trennung von Print und Online hinter uns lassen, sind die Live-Ticker auf taz.de. Schon seit zwei Jahren berichtet die taz regelmäßig mit Hilfe von Live-Tickern von Ereignissen, die uns publizistisch sehr am Herzen liegen. Ob das Castor-Transporte oder Großdemos sind. Konkret heißt das, dass mehrere KollegInnen vor Ort sehr kleinteilig, teilweise minütlich von den Ereignissen berichten und diese Informationen dann von unseren Online-KollegInnen in der Berliner Zentrale rund um die Uhr ins Netz gestellt werden. So geschehen auch im Februar 2011, als die KollegInnen sehr ausführlich über die Nazi-Demo in Dresden berichtet haben. Mit dieser Aufklärungsarbeit im besten journalistischen Sinne war die Basis geschaffen für die folgende Berichterstattung. Die Leute vor Ort wussten, dass die taz hinschaut und berichtet. Dieses Wissen schafft Vertrauen bei Tippgebern. Besonders dem engagierten Kollegen Paul Wrusch war es dann zu verdanken, dass wir die Information bekamen, dass die Polizei in großem Maße Handys überwacht hat . Letztlich führte unsere Berichterstattung dazu, dass die Politik sich sehr genau mit der Abgrenzung zwischen Polizeiansprüchen sowie der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit befasst. Auch der verantwortliche Polizeipräsident musste aufgrund unserer Berichterstattung seinen Hut nehmen , weil seine Abhörmethoden in hohem Maße problematisch waren. Auch hier also eine Verbindung von hyperaktuellen Onlinemöglichkeiten bis hin zu hervorragendem Enthüllungsjournalismus.
Durch diese Erfahrungen gestärkt werden wir unseren, wie wir meinen, erfolgreichen und richtigen Weg weiter gehen. Klar ist dabei, dass für uns immer im Vordergrund steht, guten, unabhängigen, mutigen Journalismus zu machen. Im In- wie im Ausland. Dabei sind wir eben mit der Tatsache konfrontiert, dass es nunmehr unterschiedliche Geschwindigkeiten in unserer Arbeit zu berücksichtigen gilt: Die ganz schnelle Eilmeldung, das gut aufbereitete Nachrichtenstück und die ausrecherchierte, entschleunigte Hintergrundgeschichte, die man besonders gerne am Wochenende in der sonntaz liest.