vonSchröder & Kalender 01.12.2008

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.
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Freitag, den 5. Dezember 2008, um 20:30 Uhr, NBI Club, (Kulturbrauerei), Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin. satt.org und SuKuLTuR präsentieren: DIE BEGEISTERUNGS-SHOW 9 mit alle 3, Barbara Kalender, Jörg Schröder, Tobias Lehmkuhl, Robert Mießner, Christina Mohr und vielen Gästen. Wir lesen aus ›Schröder erzählt‹.

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Da am Freitag bei der Show unsere literarische und verlegerische Arbeit Zielobjekte der Begeisterug sein sollen – was uns sehr freut! –, brachte uns dies auf die Idee zu erzählen, wie wir uns einmal selbst begeisterten:

Nach Jahren der Überlegungen, ob und wie ich die 1969 begonnenen ›März-Texte‹ fortsetzen soll, faßte ich Ende 1983 den spontanen Entschluß, zum März 1984, nämlich zum fünfzehnjährigen Bestehen des Verlages, die Anthologie doch zu produzieren. Ich hatte Beiträge dafür über ein Jahrzehnt gesammelt, und wie du dir denken kannst, lag ein Zehnfaches von dem vor, was später dann aufgenommen wurde, ein umfangreiches Material aus Texten von März-Autoren, aber auch von anderen, dazu zahlreiche Fundsachen — ach, was rede ich, zehnfaches, ein zwanzigfaches Material, all das war in Hängemappen und Ordnern versammelt.

Dazu noch die Rosinen im Kopf: Das durfte nicht irgendein Almanach von zweihundertvierzig Seiten werden, wie ihn jeder Verlag zusammenkloppen konnte, da war vielmehr eine große Anstrengung nötig, um den März Verlag wieder durchzusetzen — mit einem brachialen Buch. So stellte ich das Projekt den Buchhandelsvertretern vor, das wirkliche Konzept überlegte ich erst zwischen Weihnachten und Neujahr. Jetzt packte mich der Zweifel. Ich hatte mir den undurchführbaren Irrsinn vorgenommen, ein Buch von tausend Seiten, dazu den Nachdruck der ersten ›März-Texte‹ von 1969, also insgesamt eintausenddreihundert Seiten innerhalb von vier Monaten zu konzipieren, zu redigieren, dazu noch herzustellen, also: setzen, umbrechen, illustrieren! Ich wanderte zwischen all den Mappen hin und her, es wurde immer verwirrender. Am 2. Januar legte ich die Texte aus, dann lief ich mit Barbara, wie Hänsel und Gretel der Kieselspur folgend, durch die Räume, das Haus im Vogelsberg war groß, fast vierhundert Quadratmeter Wohnfläche. In meinem Arbeitszimmer fing die Manuskriptkette an, wie Trittsteine führte sie bis ins Wohnzimmer im Parterre, dann wieder nach oben in den Flur, in Barbaras Zimmer und schließlich hoch ins ausgebaute Dachgeschoß. So lag ein Manuskript hinter dem anderen, die Abfolge der Anthologie, dazwischen zahlreiche Blätter, auf denen notiert war, welcher Text an die jeweilige Stelle kommen sollte, wenn ich davon noch kein Manuskript hatte, sei es, daß die Übersetzung nicht vorlag oder ein Beitrag sonstwo besorgt werden mußte. Beispielsweise ein Stück aus Andy Warhols und Pat Hacketts Buch ›Popism‹ oder ein Scharadetext zu Clemens Bartholdy. Zwei Drittel waren vorhanden, übersetzt oder im Original, etwa ein Drittel war konzipiert. Diese Manuskriptinstallation ließ ich drei Tage liegen, am liebsten hätte ich es so gelassen, Hund und Katze taperten drüber, auch wir als Menschen hüpften wie im ›Tolle-Lege‹-Spiel über die Papiere. Schließlich numerierten wir die Seiten doch, sammelten sie ein, und das große Konvolut war fertig, die erste Abfolge. Und von diesem Moment an wurde Tag und Nacht gearbeitet.

Am zweiten Tag nach der Ausstreuung kam Helmut Höge vorbei, sah die Papierschlange und verstand nicht, was ich da veranstaltete. »Wir haben gerade angefangen, eine Anthologie zu machen, die ›Mammut‹ heißen soll.« Er lachte sich halb tot und fragte dann, ob er nicht als Lehrling von Sais dabeisein dürfe, wenn die Sache weiter Form annehme. Ich war einverstanden: »Bring uns deine Bilderbücher, ich tue meine dazu, daraus entwickeln wir die Illustrationen.« Darauf schleppte er seinen ›Neues Lotes Folum‹-Fundus an, zwei Kisten aus dem feuchten Wohnwagen, die gemein modrig rochen, aber es war schönes Material. Damit und mit meinen Bücherstapeln setzten wir uns zwei Nächte hin, Barbara, Helmut und ich, in einer somnambulen Bilder-Text-Session wurden so die Illustrationen festgelegt. Ich saß am Schreibtisch vor dem Fenster mit dem Rücken zu den beiden, die mitten im Zimmer auf dem Teppich hockten, um sich herum die Bücherstapel und verstreuten Fotos, Zeitungen, Plakate, Ausrisse. Ich rief Stichworte, Assoziationen zur jeweiligen Geschichte, sie fingen hinter mir an, wie die Derwische in den Materialien, den Fotos zu rascheln und zu wirbeln. Es lagen inzwischen in meinem Arbeitszimmer bestimmt hundert Bücher und  Zeitschriften aus, wie die Heinzelmännchen boten die beiden mir von rechts und links ihre Bildvorschläge an, eine wunderbare Mischung: Höge mit seiner Schrägheit und Barbara mit der ihren, zwei gänzlich verschiedene Schräglagen. Sie kämpften hinter mir darum, jeweils ihre Vorstellung durchzubringen, wer als erster das Passende findet, welche Illustration der Meister akzeptiert. Schnell ging das: »Ist gut. Ist Mist. Kann man überlegen. Kann man liegenlassen. Laßt’s mal beide liegen. Ja, wir nehmen das.« Zack, zack, kein Streit kam auf, denn wir waren schon beim nächsten. Die Illustrationen aus diesen zwei nächtlichen Sessions sind so geblieben, und zwar pfriemelte ich wegen der Formate an manchen so lange rum, bis eben ein Nietzsche-Kopf über der Wondratschek-Parretti-Collage so verkleinert war, daß er zur Vignette wurde. Das war später Herstellungsarbeit, dazu kam Helmut auch manchmal, um Barbara und mir zuzusehen, wie wir als Zauberer schnipselten. Denn diese Art von Umbrucharbeit hat ja was von Taschenspielerei für Leute, die das Handwerk nicht kennen, vom Hütchenspiel, das sind eben zwanzig, dreißig Jahre Übung mit Schere und Pritt-Stift, Schnellschnipseleien bei Klebeumbrüchen und dem Einpassen von Bildern. Für eine solche Arbeit bleibt die weiche Masse in der Birne unschlagbar schneller und assoziativer als jedes computergestützte Umbruchprogramm, das wird keine Satz- und Umbruch-Software je schaffen.

(wird morgen fortgesetzt)

(BK / JS)

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