High Leude! – Die Geschichte der Hippies in Wien ist noch nicht einmal ansatzweise geschrieben. Zwar haben ein paar Happenings der Sixties-und Seventies-Revolte durchaus Spuren im Stadtbild hinterlassen. Unsere belaptopten ZeithistorikerInnen aber beschäftigen sich lieber mit dem Davor und dem Danach, sie
erforschen entweder den Holocaust oder die vergleichsweise dämliche Kultur von Wickie, Slime & Paiper, unsere Historiker kleben Foto um Foto in das Erinnerungsalbum der Grosseltern sowie in das Erinnerungsalbum der Kinder der siebziger Jahre ein – das kollektive Smoke-In aber, der grosse Tamtam zu Klängen von Joplin und Hendrix, der Anbruch des Wassermannzeitalters – Peace, Love & Understanding – das alles bleibt links liegen.
Ich empfinde diese Ignoranz der Jugendrevolte als eine tragische Lücke im Wiener Stadtgedächtnis! Bald werden sich nur noch ein paar sozialdemokratischen Veteranen an den leidenschaftlichen Kampf der Blumenkinder um die Rasenfreiheit im Burggarten erinnern. Einen Kampf, den Peter Schieder & Genossen einst in Schimpf & Schande verloren haben.
Heute geniessen nun Abertausende nichtsahnende Touristen aus aller Welt die erdnahe Aussicht vom Rasen des Burggartens hinauf auf das Palmenhaus (das freilich auch renoviert wurde, um dort die Schmetterlinge einzusperren).
Der Normalwiener, also der Herr Karl und die Frau Sacher, die schimpften die Hippies und Freaks in Wien einst »Halbstarke«, »Langhaarige« und »Gammler« – was auf der Negativliste des Kalten Kriegs so ziemlich gleich nach den »Kommunisten« rangierte. Dabei hat es auch in der Counterculture der Hippies turmhohe Unterschiede gegeben.
Der verstorbenen Publitist und »Wurstel« Günther Nenning zog sich mit seiner FORVM-Redaktion splitternackt aus – Nenning repräsentierte so etwas wie einen austriakischen Vertreter der Yippies, also der politischen Variante des Hippness. 1968 erwiderte er als Jugendgenosse eine heftige Polemik von SP-Kanzler Bruno Kreisky mit den Worten: »Wenn ich ein Wurstel bin, dann ist Otto Bauer auch ein Wurstel«.
Der grösste Wiener Hippie freilich, Friedrich Stowasser, der zeigt unter seinem Kunstlabel »Hundertwasser« erst heute weltweite Wirkung. Um diesen Barbarossa aus dem Kyffhaus rankten sich schon zu Lebzeiten die schönsten Sagen. Hundertwasser trampte wie weiland Klee nach Tunis, er hüllte sich in einen Burnus und hörte am liebsten arabische Musik. Hundertwasser ernährte sich vorzugsweise von Mineralwasser, Endiviensalat und Brunnenkresse. Man schildert ihn als abstinent und omnipotent. Er heuerte auf einem estnischen Schiff an, das unter liberischer Flagge fuhr. Er schusterte sich selbst unförmige Schuhe aus Rindsleder. Er verlies die Wiener Akademie der Bildenden Künste nach drei Monaten, und die Pariser Ecole des Beaux Arts nach nur einem Tag. An der Hamburger Hochschule für Bildende und Freie Künste malte er eine Spirale, die sich von seinem Atelier aus quer durch den ganzen Bau zog, während er im Keller bunte Schimmelpilzkulturen anlegte.
Hundertwasser verstand sich selbst als Prophet einer neuen Zeit. Er hasste alles Einfache. Seine Person war von esoterischer Sanftmut. Und: er kapselte sich von allen Einflüssen der Moderne mönchisch in seiner Arbeit ab.
Hundertwassers non-konformistische Architektur ist heute der unabweisliche Rest des Wiener Hippietums mit seinen Bongos und Seidenschals, mit den Räucherstäbchen und der kondomlosen Liebe – einer Ära, die das Natürliche und Authentische überschwenglich feierte, so als ob es für den turbulenten Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts noch irgendwie zu haben gewesen wäre.
Neben den Hunderwasser-Bauten lebt die Hippie-Ideologie heute in der grundsympathischen Subkultur von Cannabis-Konsumenten fort; und die Kinder der grossen Wunder-Spirale treten heute im Internet ausgeprochen selbstbewusst auf.
Unter der Adresse http://members.chello.at/charlotte.kloesch/link.htm zum Beispiel betreibt ein ausgeflipptes 15jähriges Wiener Mädl ein nette, kleine Website. Berna nennt sich Mari Juana, und um das gleichnamige rauschtaugliche Harz von Cannabis sativa dreht sich bei ihr praktisch alles.
Die junge Wienerin Mari Juana kommt ursprünglich aus Warschau, ihre Hobbies sind: »Freunde treffn, ins Kino gehn, kiffn, chatten, Horrorfilme, Musik und einfach Spass habn…« – Mari Juana besucht nach eigenen Angaben das Bundesoberstufenrealgymnasium in der Hegelgasse – »auch bekannt als die Kifferschule«. Ihre Freunde tragen Nicknames wie »Princess of Darkness« oder »c@sh override«.
Mari Huana präsentiert auf ihrer Site eine frische Adaption des
Vaterunsers: »Rasta, unser Rasta«, heisst es da, »geheiligt werde dein Shiva, dein High komme, im Bong so wie in der Pfeife, und führe uns nicht zur Razzia sondern erlöse uns von den Bullen, denn dein ist das Ganja in Ewigkeit und Gestonedheit. Rasta unser, der du bist in Jamaika. Geraucht werde dein Joint, dein Hasch komme. Dein Stone geschehe, wie im Bong, so in der Pfeife. Unser täglich Shit gib uns heute und verbrich unsere Platte, wie auch wir erwürgen unseren Dealer. Und erlöse uns von den Bullen, denn dein ist die Reggaemusik, und das Grass, und die Seeligkeit in Abwesenheit«.
Keine Frage: Mari Juana & Friends, sie rettet die gute alten Hippie-Werte frisch wie einen Primeurwein ins digitale Zeitalter herüber. Ihr Denken & Fühlen mag für Aussenstehende den Anschein von Chaos & Verwirrung erwecken. Doch dass es sich es dabei um ein geradezu biedermeierliches Ideal der Intimität, der Freundschaft und des Rauches handelt – das zeigen folgende von der 15jährigen Mari Juana verfasste »Rulez« für ein gemütliches Smoke-In:
1. Person die den Joint baut (egal wem das Dope gehört), darf ihn auch entzünden und bekommt die ersten Züge.
2. Wenn jemand einen besonders schönen Joint baut ist man verpflichtet ihm ein paar Komplimente über seine Fertigkeiten als Dreher zu machen.
3. Wenn jemand den Joint länger als nötig behält und das damit begründet das es schliesslich sein Grass war ist das definitiv nicht cool. Die Strafe richtet sich nach der Qualität des Dopes und wieviel er davon verbaut hat. (Wenn das Gras nicht so doll ist und er ausserdem noch damit gegeizt hat kann man ihn ruhig verarschen 🙂
4. Wenn jemand zu ungeschickt ist den Joint anzuzünden (entweder weil er schon stoned ist oder weil er zu den Spätzündern gehört ) muss er die Kontrolle über das Feuerzeug zu Gunsten einer Person abgeben die noch dazu fähig ist – das heisst nicht das derjenige dann öfter ziehen darf…. diese Privileg ist schon zu oft missbraucht worden (»hey, lass mich das Ding anzünden…«)
5. Wenn jemand schon so breit ist das er in die Tüte bläst statt zu ziehen und das ganze Shit auf dem Boden landet wird er verarscht und darf in der nächsten Runde nicht mitrauchen (es sei denn es ist sein Dope).
6. Wenn das Smok-In bei Dir zu Hause stattfindet sollst Du den Leuten einen kleinen Imbiss anbieten wenn Du was zu essen da hast. Sei nicht zu geizig mit Deinen Vorräten, ein Fressflash kann jeden mal überkommen.
7. Wenn jemand etwas geraucht hat und nach einem Schluck zu trinken fragt musst Du ihm etwas anbieten … (Ein trockener Mund ist kein schönes Gefühl)
8. Zu Punkt 7: Wenn Du nach einem Schluck gefragt hast trink nicht gleich alles aus.
9. Wenn ein Bong oder Joint rumgeht nimm nicht gleich das ganze Ding in den Mund und sabber alles voll … das ist ekelhaft und versaut den ganzen Joint.
10. Wenn Du von einem Bong rauchst und nicht mehr genug Dope im Kopf ist für einen ganzen Zug, lass den letzten Rauch in der Kammer für die nächste Person. (Sei nicht so gierig und zieh das auch noch weg)
11. Behalte den Joint nie für dich selbst.
12. Lass den Joint nicht ausgehen. Niemals!
13. Nörgel nicht rum über das Dope von anderen Leuten! Wenn Du es nicht magst rauch es nicht!
14. Wenn Dein Freund einen Joint anzündet und nach ein paar leichten Zügen an Dich weiterreicht, dann saug nicht gleich daran wie ein Staubsauger und reich ihm eine ausgebrannte Kakerlake zurück.
15. Wenn Du Gras von einem Freund oder dem Freund eines Freundes kaufst ist es höflich einen Joint zu drehen (ein kleiner reicht) und ihn zusammen zu rauchen.
16. Es ist sehr unhöflich jemandem einen leergerauchten Bong oder einen ausgebrannten Joint zu reichen.
17. Die Person die den Bong füllt bekommt den ersten Zug, egal wem der Bong gehört.
18. Wenn Du den Bong umkippst weil Du stoned bist, mach wenigstens hinterher sauber. Und vergiss nicht wieder Wasser in den Bong zu füllen.19. Die Person die das Dope besorgt hat darf auch die Musik aussuchen.20. Vergiss nicht, dich dafür zu bedanken wenn Dich jemand mit gutem Grass high gemacht hat.
© Wolfgang Koch 2006
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