vonWolfgang Koch 11.10.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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2001 erschienen im Böhlau Verlag die Stadtspaziergänge »Jüdisches Wien« von Michaela Feurstein und Gerhard Michram. Ein immer noch unverzichtbares Buch zum Thema, denn der etwas handlichere Band »Jüdisches Wien/ Jewish Vienna« ist nichts weiter als eine »bearbeitete und aktualisierte Fassung« dieses ersten Guides durch die jüdischen Reste des historischen Wiens – 2004 erschienen im Mandelbaum Verlag und gedruckt mit Unterstützung des Kulturamtes der Stadt Wien (ISBN 3-85476-098-1).
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt, und offenbar auch die falschen Angaben. – Beide Bücher wurden vom Judaisten Klaus Lohrmann bevorwortet, eine überragende Kapazität auf dem Gebiet der Geschichte Wiens. Aber auch das konnte verhindern, dass die Geburtsstätte des jüdischen Philosophen Martin Buber von den Autoren im Haus Franz-Josefs-Kai 35 verortet wurde. In der »bearbeiteten und aktualisierten Fassung« von 2004 liegt dieser Ort immer noch am nord-östlichen Ende des 1. Bezirks, also drei Gehminuten vom Schwedenplatz entfernt, und es ist immer noch die ominöse Hausnummer 35.
Was 2001 falsch war, ist es heute kaum weniger! Denn Buber wurde am 8. Februar 1878 genau zehn Häuser weiter, im Haus Nr. 45 (!) am Franz-Josefs-Kai geboren. Dort, Nr. 45, hängt eine graue Gedenktafel links vom Eingangstor, die wohl keiner der aktualisierenden Redakteure je heimgesucht hat.
Buber war nicht lange in Wien; er wurde in frühester Kindheit zu seinen Grosseltern nach Galizien gebracht. Später lernte er dann als Student an der Philosophischen Fakultät das verspielte, romantische Wien der Jahrhundertwende kennen und wirkte ein paar Jahre an der Seite Theodor Herzls.
Anders als es die im Süden Österreichs liegende Landeshauptstadt Klagenfurt mit dem Romancier Robert Musil tut, hat sich das kulturtouristische Wien Buber nie unter den Nagel gerissen (Musil wurde zwar in Klagenfurt geboren, hat aber der Stadt im zarten Alter von nur sechs Wochen den Rücken gekehrt. Das hält Klagenfurt bis heute nicht davon ab, sich analog zur »Mozartstadt« Salzburg »Musilstadt« zu nennen. Man unterhält dort ein reges Musil-Archiv und ein Musil-Museum; es werden Tagungen und Kongresse im Namen des berühmten Babys abgehalten).
Nein, Wien hat sich den nietzscheanischen Kulturzionisten Martin Buber nie derart frech einverleibt; Wien hat den grossen Denker von »Ich und Du«, diesen Schöpfer der Lehre von der »Verwirklichung des dialogischen Prinzips« nie als ein Kind der eigenen Denkungsmilch anerkannt. Dazu war der Erklärer der Zwiefalt der Welt zu versöhnlich.

© Wolfgang Koch 2006

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