vonWolfgang Koch 02.11.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Nein, echte Enttäuschung ist auf den Gesichtern nicht zu erkennen! Aber wundern tun sich viele erstmaligen Wienbesucher doch, dass die Hofburg mit ihren 240.000 Quadratmetern so gar nicht wie eine Burg aussieht. Die Touristen laufen durch einen total unübersichtlichen Schlosskomplex aus renovierten Gebäuden, der nicht weniger als 15 Museen beherbergt, dazu Amts- und Universitätsräume, die gewaltige Nationalbibliothek sowie ein modernes Kongresszentrum.
»Also die Wiener Hofburg haben wir anders vorgestellt!«, kann man vor allem von Gästen aus Übersee hören. Sie erwarten eine Wehranlage mit stolzen Zinnen und dicken Kanonen, sie suchen farbenfroh uniformierte Soldaten, die vor massiven Toren Wache stehen, Ziehbrunnen, Rosengärten und Zugbrücke, mindestens.
Tatsächlich war die Hofburg vom 13. Jahrhundert an lange genau so eine Märchenburg: eine Vierturmanlage mit meterdicken Mauern. Die Spitze des Westturm erhobt sich über dem heutigen Durchgang vom Inneren Burghof zu Heldenplatz. Es gab einen richtigen Burggraben mit einer richtigen Zugbrücke, eine Schlosskapelle und ein Burgverlies. Also alles, was nach Disney-Park-Vorstellungen zu einer mittelalterlichen Wehrburg gehört!
Zu einer Burgfeste gehört aber noch etwas: nämlich ein gruseliges Gespenst. Und auch das gab es einmal. Manche sagen, es geistert noch heute in Wien herum.
Die Familie der Habsburger, die Europa 600 Jahre lang in Geiselhaft hielt, kannte
eine besondere Art von Religiosität, einen hochfahrenden katholischen Glauben, der »Pietas Austriaca« genannt wird. Aber die Herrscherfamilie kannte nicht nur das! Die Habsburger pflegten auch viele Arten von Aberglauben und Hokuspokus. Man veranstaltete Exorzismen in der Hofburg, luden zu spiritistischen Seancen, die am nächsten Tag Stadtgespräch waren, und wir kennen eine Anzahl von Berichten über Klopf- und Poltergeister in den Fluren der Hofburg.
Am bekanntesten ist die Legende von der Weissen Frau.
Diese Dame wurde etliche Male im 17., 18. und im 19. Jahrhundert gesichtet. Meist von Einzelpersonen, von Wachesoldaten oder Bediensteten, manchmal auch von mehreren zugleich. Auch Adelige waren Zeugen ihres Erscheinens.
Was haben die Menschen gesehen? – Eine stets von Kopf bis Fuss weiss gekleidete Dame (im 19. Jahrhundert trug sie einen modischen Damenhut), die ruhig und gelassen an ihnen vorbeischritt und so plötzlich wieder verschwand wie sie aufgetaucht war. Die Weisse Dame konnte zu jeder Tag- oder Nachtzeit durch die Gemächer oder Höfe wandeln. Versuchte ein Beobachter das schöne Frau zu verfolgen, so bog die Gestalt um eine Ecke und ward nicht mehr gesehen.
Dem Erscheinen der Weisse Frau im Zentrum der Habsburgermacht wurde stark prognostischer Charakter zugesprochen. Trug die vornehme Dame weisse Handschuhe, so stand nach allgemeiner Meinung eine Geburt in der Hofburg bevor; hüllte das Gespenst hingegen seine Hände in schwarze Handschuhe, stand ein Unglück, meist ein Todesfall, unmittelbar bevor.
Zuletzt soll die Weise Frau drei Tage vor der Ermordnung von Thronfolger Franz-Ferdinand in Sarajewo 1914 gesehen worden sein. Die letzte Kaiserin, Zita, hat der berühmten Legende von der Weissen Frau zeitlebens nachgespürt, sie sammelte Berichte und vernahm persönlich Zeugen ein. Viel Neues ist bei Zitas Forschungen allerdings nicht herausgekommen. Genau genommen nur, dass die Weisse Dame in den früheren Jahrhunderten öfter durch die Residenz gespuckt haben muss als gegen Ende der Monarchie.

© Wolfgang Koch 2006

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