vonWolfgang Koch 16.11.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wien beherbergt, deutlich abgesetzt vom historischen Zentrum, den weltweit drittwichtigsten UN-Sitz. In Punkto Besucherfreundlichkeit aber liegt die UN-City dreissig Kilometer hinter Nairobi.
Was die Vereinten Nationen am windigen Donauufer ihren grossen und kleinen Gästen zumuten, das zählt für mich zum schäbigsten Kapiteln des österreichischen Städtetourismus. Da gibt es zunächst aus Sicherheitsgründen keine Führungen am Wochenende, weil ja auch die 150 schwer schuftenden Wachleute mal ausspannen wollen.
Trudelst du unter Woche ein, so nehmen dich nach der Bezahlung unbedarfte Guides in Empfang, die gewohnt sind renitente Pflichtschulklassen durch das Gebäude zu treiben. »Durch das Gebäude« ist eigentlich schon zu viel gesagt. Denn die Besuchergruppen sehen gerade mal eine saalartige Lobby mit kreisförmig angeordneten Fahnen über ihren Köpfen, dann einen Lift, ein vollkommen unattraktives Besucherzentrum mit einem Modell des Bauwerkes und mit auf Stellwänden plazierten Schautafeln zwischen verstaubten Plastikblumen, sowie zum Abschluss noch einen Konferenzsaal von aussen.
Das alles hat den lächerlichen Charme einer Leistungsschau im DDR-Kombinats Robotron anno 1973. Nicht eine einzige Schautafel erschliesst sich dem Besucher auf den ersten Blick. Überlange Texte und sprunghafte Erklärungen sollen ihm auf die Sprünge helfen.
Man stellt auch besser keine Fragen! Denn die werden nur unzureichend beantwortet. »Wissen Sie, ich führe normalerweise nur Schulklassen!«, entschuldigt sich der Guide mit einem trainierten Lächeln.
Am Ende der Tour dann noch rasch ein Blick in einen der sieben fensterlosen Konferenzräume des Gebäudes – und zwar durch ein schalldichtes Fenster auf leere Sitzreihen und … schwulps, stehst du wieder draussen vor der Security-Schleuse. Dort kann man dann Postkarten vom Gebäude, T-Shirts und Armbanduhren des präsumtiven Weltparlaments käuflich erwerben, dazu echte UN-Briefmarken. Aber Achtung: Diese Marken gelten im Postverkehr nur, wenn man die Liebesgrüsse gleich an Ort und Stelle in einen UN-Briefkasten wirft.
Dass der Besuch im UN-Zentrum so rundum dilletantisch organisiert ist, wird von den Verantwortlichen auf die ewige Geldnot der Institution und auf die noch brutalere Terrorgefahr (»Bagdad! Bagdad!«) geschoben.
Papperlapapp! – Wir modernen Weltbürger lassen uns doch unser Weltbürgertum nicht von Weltorganisationsbürokraten vermiesen. Diese gut bezahlten Leutchen sind bloss zu lahm, die wertvolle Arbeit der UN erfolgreich in der Öffentlichkeit verkauft.

© Wolfgang Koch 2006

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