vonWolfgang Koch 25.06.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wie lange kann eine Finsternis fortbestehen? Jahrzehnte, Jahrhunderte! »Meine Einbildungskraft, von dem starken Verlangen nach dem Landleben gereizt«, schreibt ein Wiener Schwärmer 1801, »hat noch überall Mittel und Auswege gefunden«.

Das ist ein bemerkenswertes Statement in einer Zeit, in der doch das männliche Europa in Stiefeln steckt und ins Feld rückt, um sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen.

In den besseren Kreisen Wiens ist es Mode geworden, »den Sommer auf das Land zu ziehen«. Kulturforscher schwafeln gerne was von einer »Entdeckung der Landschaft« und dem »Entstehen eines Naturgefühls« durch das Bürgertum. Aber diese Entdeckung haben längst vor den Frühromantikern der Adel und die Mönche mit ihren Schlössern und Klöstern in den schönsten Landschaften gemacht.

Das Fundament der Romantik bildet eine allgemeine gesellschaftliche Entwicklung. Neben der existenzsicherenden Arbeit steht erstmals für einen Teil der Bevölkerung auch Freizeit zur Verfügung. Arbeits- und Nichtsarbeitszeit trennen sich wie erwachsene Geschwister.

Nur wer erfolgreich ist, der sucht die »Erlustigungsörter« der Stadt auf: Prater, Augarten und die Gärten des Belvedere. Der wichtigste Aspekt für die Beteiligten besteht im »sich Zeigen«, im »Gesehenwerden« und im »andere Beobachten«.

Politisch geraten Residenz und Kronländer in einen immer stärkeren Gegensatz. Das gesellschaftlichem Leben in Wien wird mit Vergnügen, Unterhaltung, Kultur und Luxus verknüpft; die Provinzen mit Rindern und Getreide, sprich: Langeweile, Isolation und den Lebensformen von gestern.

Dass es soweit kommen konnte, ist nicht Schuld des Zentrums allein. Zählebige traditionelle Familienverhältnisse und harte bäuerliche Arbeit verhindern in den Ebenen der Puzta und den Talschaften der Berge jede Art von Selbstständigkeit, zuvorderst die politische. Lernprozesse sind unter den engen Bedingungen des katholischen Sozialkonservatismus von vornherein unwahrscheinlich. In der Provinz zu leben erscheint aus der Perspektive Wiens als eine Strafe, fast schon als Aussschluss aus der Gesellschaft.

1805 kehrt endlich der Weltgeist an der Donau ein. Nicht länger als fünf Stunden dauert die französische Besetzung der Vorstädte, dann muss Wien die Waffen strecken.

Napoleon Bonaparte verlacht den Linienwall. Als er in Schönbrunn aus den Stiefeln steigt, droht der Befreier vom habsburgischem Joch mit einer Verfassungsänderung der Residenzstadt, wenn die Lebensmittelsperre vom kaisertreuen Ungarn nicht aufgehoben wird. Doch die Hungersnot schwillt sogar noch an, weil der »Verteidiger« Erzherzog Carl die Zufuhr zur Stadt blockiert.

Es ist kein Geheimnis, dass einige Ministaaten in Europa Napoleon immens viel zu verdanken haben: Andorra, San Marino und Liechtenstein. »Ma foi. Il n’y a qu’à la conserver comme un échantillion de République«, soll der Korse bei seinem Italienfeldzug über San Marino gesagt haben. »Meiner Treu! Man sollte es als Musterbeispiel einer Republik erhalten.«

Tatsächlich ging Liechtenstein ja als souveräner Staat aus dem Rheinbund hervor. In Wien wird nichts dergleichen gelingen. Zwar kommt es während der Besatzung zu einem spürbaren Freiheitsgewinn für die Bürger. Und als der Sieger Napoleon abzieht, macht er den Wienern sogar ihr Arsenal, das das Kriegsrecht zu seinem Eigentum hat werden lassen, zum Geschenk.

Beim zweiten Einzug, 1809, sind die Franzosen dann nicht mehr so erpicht auf die Zwischenwelten des Wienerischen. Sie sprengen kurz vor ihrem Abzug die Basteien.

© Wolfgang Koch 2007
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