vonWolfgang Koch 02.07.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die Wiener Bevölkerung wird jedes Wochenende mit den Ausgaben von sechs Gratiszeitungen gebauchpinselt. Die Blätter sind
quasi »gratis«. aber kostenlos sind sie nicht. Es gehört zu den bestgehütesten Geheimnissen der österreischen Zeitungsverlage, wieviele Cent sich nun wirklich in den Büchsen an den offenen Zeitungstaschen sammeln, die alle paar Schritte an Strassenschildern, Laternen und Zäunen aushängen.

Soviel sei verraten: Den Unternehmen kommt auf den freiwilligen Obolus der Leser und Leserinnen gar nicht an! Fünf der sechs Wochenendtitel finanzieren sich nämlich kostendeckend über die Inseratschaltungen im Blatt. Stellt man zudem noch den Werbeeffekt für den einzelnen Titel in Rechnung – die Zeitungshalter pflastern ja über 24 Stunden das Stadtbild –, wofür kein Steuergeld entrichtet wird, so müsste man auch dann noch von einem fetten Gewinn sprechen, wenn sämtliche Exemplare einer Ausgabe gestohlen würden.

Das Merkwürdigste an dieser allwöchtlichen Wiener Papierschwemme ist der abgrundtiefe Bruch zwischen Samstag und Sonntag, zwischen den Blättern am einen und den Blättern am anderen Tag. Hier tut sich ein die Wiener Seele stark charaktierender Graben auf. Am Samstag blättert Stadt nämlich gelangweilt in den Grossformatblättern mit viel Attitüde, am Sonntag hingegen vergnügt sich Wien ungeniert an Halbnackerten in Kleinformaten.

Dazu muss man wissen: Sämtliche österreichischen Printtitel sind Boulevardmedien, wir haben nichts anderes; doch nur die erfolgreichen Schmierblätter bekennen sich auch dazu, das Publikumsbedürfnis nach einer kräftigen Portion Voyeurismus und Vulgarität zu bedienen. Während sonntags die drei flachen Produkte NEUE KRONENZEITUNG, ÖSTERREICH und KURIER mit schreiend grellen Fotos aushängen, versuchen sich samstags drei Zeitungen an der Buchstabengläubigkeit des Wieners, deren Redakteure und Redakticen natürlich jeden Vergleich mit der Sonntagskonkurrenz scharf von sich weissen würden.

Diese Samstagsblätter heissen DIE PRESSE, DER STANDARD und WIENER ZEITUNG. Alle drei simulieren sie mit dünnem Korrespondenzennetz ausländische Intelligenzblätter wie die F.A.Z. oder die Süddeutsche Zeitung. Und weil sie das auf gut Österreichisch tun, also voller Halb-, Dumm- und Bosheiten, langen die Reichweiten bei keinem der genannten Blätter über den Semmering hinaus. Qualität wird samstags dem Leser mehr vorgegaukelt als geliefert; und der nimmt es dankbar hin.

Wiener Zeitung

Das älteste der drei grossformatigen Samstagsblätter und das älteste noch existierende Printmedium Österreichs überhaupt ist die WIENER ZEITUNG. Sie steht im Eigentum der Republik und wird vom neoliberalen Chefredakteur Andreas Unterberger (früher: DIE PRESSE) geleitet. Diesen Mann hat die Mitterechtsregierung von Wolfgang Schüssel der Ära Gusenbauer als Hypothek hinterlassen. Finanziert wird das Blatt aus gesetzlich vorschriebenen Anzeigen im sogenannten »Amtsblatt«. Darin werden kostenpflichtig öffentliche Stelle ausgeschrieben, Dividenden bekannt gemacht und Firmenbücher bilanziert.

Der redaktionelle Teil war immer schon ein ungebliebtes Anhängsel dieser Beamtenzeitung: staatstragend, langweilig und bieder. Die WZ-Kolumnisten Christian Ortner und Edwin Baumgartner gehören dem äussersten rechten Meinungsmachern im Land.

Die Samstagsausgabe der WIENER ZEITUNG umfasst 24 bis 30 grossformatige Blätter, die in vier Büchern geliefert werden: »Politik«, »Chronik«, »Wirtschaft« (mit Amtsblatt) und »Extra«. Mein Tipp: Fischen Sie die feuilletonistische Wochenendbeilage »Extra« aus dem Konvolut heraus und werfen Sie den Rest unbeachtet in den Müll. Das erspart viel Ärger!

Die Presse

DIE PRESSE ist das traditionelle Sprachrohr der oberen Zehntausend in Österreich, die freilich privat lieber zur KRONE greifen. Das defizitäre Blatt hat viermal so viele Redakteure wie die WIENER ZEITUNG und steht im Eigentum des kirchlichen Styria Verlags. Das einst von einem gewitzten Spekulaten gegründete Blatt wird aus den Styria-Gewinnen mit Provinzmedien und dicken Industriespenden am Leben erhalten. Die politische Redaktion der PRESSE spiegelt vor allem die Themenvielfalt innerhalb der ÖVP.

Der derzeitige und jungdynamische Chefredakteur der PRESSE heisst Michael Fleischhacker, kommt vom Konkurrenzblatt DER STANDARD, und vergleicht in seinen Kolumen Politiker schon mal mit Hundedreck. Offiziell ist das Blatt stets um eine gewisse Gediegenheit und Seriosität bemüht, unter der die Macher selbst freilich am schwersten leiden.

Die Samstagsausgabe der PRESSE kostet 1,50 Euro, bietet 48 bis 50 Blatt im Hochformat, und wird in sieben bis acht Büchern geliefert. Der redaktionelle Umfang ist nur unwesentlich stärker als bei der WIENER ZEITUNG. Denn etliche Bücher wie »Reisen« oder »Immobililien« sind reine PR-Wüsten. Den grössten Teil des Blattes nimmt die so genannte »KarriereLounge« ein, ein Anzeigenfriedhof für Stelleninserate.

Meine Empfehlung: Fischen Sie aus der Samstag-PRESSE die »Wien«-Seiten und die intellektuelle Feuilletonbeilage mit dem Titel »Spektrum«. Lassen Sie den Rest getrost in der Plastiktasche hängen. Das spart viel bittere Galle!

Der Standard

Der Newcomer unter den Samstagsblättern ist immer noch DER STANDARD. Diese Zeitung wird in einem mühsamen Layout auf champagnerfarbenen Papier gedruckt. Herausgeber der liberale Postille ist der Medienzampano Oscar Bronner, im Hintergrund stand lange der Verlag der Süddeutschen Zeitung. Die STANDARD-Redaktion führt Österreichs einzige weibliche Chefredakeurin Alexandra Föderl-Schmied, die sich übrigens als Vorsitzende des Vereins der Ausländischen Presse in Berlin erste Sporen verdient hat.

Die Samstagsausgabe der bei Studenten beliebten Zeitung ist in den Wiener Zeitungsständern immer am schnellsten verschwunden; in Graz oder Salzburg hingegen greifen nicht einmal Obdachlose nach dem Blatt. Der Gesamtumfang beläuft sich auf fünfzig bis 52 Blätter; aber genau wie bei der PRESSE wiegt dabei der Stellenmarkt, hier unter dem Titel »KarrierenStandard«, am schwersten. Diese Cash-Cow ist vor einem guten Jahrzehnt von der Tageszeitung KURIER abgewandert.

Der redaktionelle Teil des STANDARD wird in sieben bis neun Büchern gestaltet, teils bloss aus vier Seiten bestehend – wobei ich eine Empfehlung am ehesten für das Politikressort abgebe. Am Ende der »Kultur«-Seiten findet man dann noch den vielgelobten »Kommentar der anderen«, ein Debattenfeuilleton, und das Aushängeschild des Blattes. Den Rest überantworten Sie lieber ungeöffnet dem Altpapiercontainer. Das erspart Frust!

Das also wäre die beste Samstagslektüre in Wien, gleich an der Strassenecke in zwei Minuten zusammengestellt: Politik (STANDARD), Wien-Chronik (PRESSE), Gastmeinungen (STANDARD), Wochenendfeuilleton (PRESSE, WIENER ZEITUNG), Jobs (STANDARD).

Aber selbst, wer sich die Mühe macht, diese optimierte Samstagsausgabe zu lesen, wird bald erkennen müssen: Zum internationalen Topniveau á la NZZ, El Pais oder Liberation reicht das alles nicht!

© Wolfgang Koch 2007
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