vonWolfgang Koch 05.07.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die Literatur von und über den 68jährigen Künstler Hermann Nitsch und seine Orgien Mysterien Theater umfasst inzwischen ein paar hundert Bücher und Kataloge. Zwei Tendenzen sind in den jüngeren und jüngsten Veröffentlichungen klar auszumachen: 1. Nachlässige graphische Gestaltung und ein teils haarsträubender Umgang mit dem Bildmaterial. 2. Die explodierende Eitelkeit von Autoren, die vor die Leserschaft hintreten, um von einem Lebenswerk zu berichten.

DER SÜNDENFALL

Der Sündenfall in der jüngeren Nitschliteratur ereignete sich bereits 2006, bald nach der 122. Aktion am 19. November 2005 im Wiener Burgtheater. Im April besagten Jahres entstand der entsprechende Dokumenteband im Auftrag des Burgtheaters und erschien als zweites Werk der Edition Kunst/Agentur. Als Herausgeber zeichneten Theaterdirektor Klaus BACHLER und der Regieassistent Otmar RYCHLIK, zwei nicht gerade für ihre Bescheidenheit bekannte Zeitgenossen.

Dennoch ist die Hauptsache an diesem Buch noch nicht misslungen. Die Fotoauswahl ist ganz vortrefflich, das Layout gediegen – schliesslich war hier ein Kunsthistoriker mit am Werk, und Rychlik hat 2003 mit dem Bildband über das Sechstagespiel das mit Abstand schönste Nitschbuch überhaupt vorgelegt.

»Einen publizistischen Sündenfall« nennte ich die Burg-Doku aus zwei Gründen: Einmal, weil sich Co-Herausgeber Klaus Bachler ziemlich penetrant in den Vordergrund schob (er posiert mit Nitsch am Eingang des Buches auf der Feststiege des Theaters und am Ende vor der applaudierenden Menge am Bühnenrand). Das wäre für sich genommen noch keine Katastrophe, aber es steht eben am Beginn einer Tendenz in der Nitschliteratur, die nun immer seltsamere Blüten treibt.

Subjektive Zugänge zu diesem exorbitanten Werk Nitschs hat es immer gegeben, das stimmt. Ich denke an den Kurator Johannes Ganang oder an den Künstler/Autor Peter Friedl – was es bis 2006 aber nicht gegeben hat, das ist, dass sich Personen, die sich um das Werk verdient gemacht haben, vor Hermann Nitsch hinschieben, um vom Glanz seiner Prominenz ein dickes Stück für sich selbst abzuschneiden.

Ein zweites, vielleicht wirklich symptomatisches Ärgerniss der Burg-Doku ist eine von zwei Aufnahmen am Cover, bei der sich ein glatzköpfiger Akteur lustvoll-theatralisch in den Gedärmen eines geöffneten Stiertorsos suhlt. Das ist Kitsch! Und darüber hinaus muss man wissen, dass Nitsch im allgemeinen streng zwischen dem Malakt, bei dem es spontan zu geht, und der Aktion, die nach einer genau festgelegten Partitur abläuft, unterscheidet.

Jede Aktion des O.M. Theaters ist streng komponiert, sie enthält keine Improvisationsteile, bei der die Spieler tun und lassen können, was sie wollen. Allen aktiven und passiven Akteure sind private Selbstdarstellungen streng untersagt; selbst ein neutraler Gesichtsausdruck wird von Nitsch vorgeschrieben.

Ausrechnet bei der 122. Aktion im Burgtheater aber, da machte sich so ein Heisssporn unter den Akteuren selbstständig, kletterte blitzschnell in den aufgehängten Torso des geschlachteten Tieres und stellte (nicht ohne sich selbst an den spitzen Rippenknochen zu verletzten) ein wenig ekstatische Raserei dar.

Die Aufnahmen von diesem ungeplanten Zwischenfall sind in dem Buch gleich fünf enthalten. Eine davon hat – sicher nicht ohne Nitschs Einverständnis – sogar auf den Cover verirrt. Dass der Künstler mit dieser Selbstdarstellung etwas Neues zuliess, spricht weniger für seine Innovationsfreude (die nicht existiert), es spricht eher dafür, dass er seine eigenen Regeln im Alterswerk immer laxer exekutiert.

Hermann Nitsch: Das Orgien Mysterien Theater, 122. Aktion im Burgtheater 2005, Hg. von Klaus Bachler u. Otmar Rychlik, Wien: Edition Kunst/Agentur 2006, 135 Seiten, ISBN 10: 3-9502145-0-X, EUR 30,-

© Wolfgang Koch 2007
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