vonWolfgang Koch 29.11.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wiener Zentralfriedhof, Tor II, Gruppe Null. Niemand vermag mit Bestimmtheit zu sagen, warum man an diesem Ort nicht mit einer simplen Eins zu zählen beginnt. Also nehmen wir die Existenz der 0 gleich für ein Zeichen – für das Zeichen nämlich, dass man sich in dieser Stadt auch die Nichtexistenz vorzustellen ernsthaft vorgenommen hat.

Ludwig Feuerbach sagte einmal sinngemäss: Wir denken uns die Toten lebendig, weil wir sie uns nicht als tot denken können. Das Ableben, das Vergehen des Lebens, der Tod, ist nicht einfach ein Tabu. Dann würde es genügen, den Vorhang zu lüften. Aber da ist kein Vorhang, kein Schleier. Der Rationalität ist es bislang einfach nicht gelungen, mit dem Faktum des Todes fertig zu werden.

Die Reihe 1 der Gruppe 0 am Wiener Zentralfriedhof stellt schon für sich ein Kuriosum dar. Entlang der Ziegelmauer liegen Tote zur letzten Ruhe gebettet, die auf anderen Wiener Friedhofen exhumiert und hierher gebracht wurden. Nicht irgendwelche Tote natürlich, sondern prominente Wiener und Wienerinnen, oder was der 1881 mit der Auswahl beauftragte Archivdirektor Karl Weiss eben dafür hielt.

Um diesen zivilisierten Frevel der Totenumbettung zu verstehen, muss man wissen, dass die Errichtung des Zentralfriedhofes unter der Verwaltung der Stadt bei der Bevölkerung zunächst auf Ablehnung stiesst.

Warum das? – Die Anlage lag sehr weit ausserhalb des Zentrums, am südlichen Rand des Stadtgebietes. Um zu den Gräbern zu gelangen, hatten die Menschen stundenlange An- und Rückreisewege mit der Pferdetramway in Kauf zu nehmen. Selbst heute, mehr als hundert Jahre danach, muss man mit 30 bis 40 Minuten von der Inneren Stadt aus rechnen.

Um den Totenacker für Besucher attraktiver zu machen, verfiel ein findiger Kopf auf die Idee, eine Art Walhalla am Friedhof zu schaffen. Wer sich um Wien, um seine Kultur oder um seine Politik verdient gemacht hatte, sollte taxfrei ein Ehrengrab erhalten. Das geschah zunächst in sechs Kategorien (heute immer noch in zweien, wobei im besseren Fall die Kommune die Kosten für die Grabpflege übernimmt).

Ehrengräber also! Die logische Fortsetzung der Wienerischen Titelsucht, werden Sie sagen. Stimmt!

Die ersten 105 ehrenvoll Bestatteten – davon 28 Schriftsteller sowie 17 Maler und Architekten – kamen von anderen Friedhöfen. Sie liegen in einer langen Reihe, und dort, wo ein Weg nach rechts abbiegt, um die russische Friedhofskirche herum, steht ein bemerkenswertes Grabmonument: Eine schlanke Bronzefigur tritt in seltsamen Verrenkungen aus einem Torbogen heraus.

Wir stehen vor dem Grab von Charles Wilda, akademischer Maler des 19. Jahrhunderts, dessen Werke heute bis zu 34.000 Euro kosten. Wilda hat sich die grassierende Orientalismusmode seiner Zeit zunutze gemacht, seine Malereien zeigen stimmungsvolle Basarszenen, verträumte Palastgärten, orientalische Handwerker. Da passt es wunderbar, dass die Architektin ein ägyptisierendes Motiv für das Grabmal von Wilda gewählt hat.

Es ist ein schlanker männlicher Engel, spärlich mit einem neckisch kurzen Fellkleid kostümiert. Er tritt vor die Scheintür eines Grabhauses und steckt seine Glieder. Ein neuer Tag bricht an! Der erbarmungslose Tod ist hier nicht das irreversible Ende allen Lebens; der Tod ist vielmehr die Initiation zu neuem Leben.

Enthüllt wurde das Grabmal für Wilda 1909. Dass hier eine Frau eine männliche Bronzefigur auf das Grab eines Mannes gestellt hat, ist allein schon spannend genug, um zu verweilen. Man zeige uns bitte eine solch tröstliche Kombination auf einem anderen europäischen Friedhof (und der Zentralfriedhof hat viele Pikanterien dieser Art zu bieten).

Wohl verstand auch die Jugenstilkünstlerin Hella Unger den Tod als göttlich legitimierten Telos: als ein Zeichen, dass das Leben erst aus der Transzendenz seinen Sinn gewinnt. Das war um 1900 keine sonderlich neue Position; es war das jahrhundertealte Denken der Christenheit. Die christliche Kultur war es, die den Tod als seinem Wesen nach nicht zum Menschen gehörig sah, dem einzelnen fremd, ihm aufgezwungen.

Neu war die stilistische Lösung in Form eines ägyptischen Grabmals mit einem männlichen Engel. Diese Lösung befreite den Tod von dem Grauen, von der Schuld und der Angst, die die kirchliche Apologetik mit ihm identifizierte. Das Ägypten-Zitat knüpfte eben nicht an die christliche Lehre von Schuld und Gnade, von Verdammnis und Erlösung.

Wie die Christen glaubten wohl auch alten Ägypter an die Existenz der ewigen Seele, und dieser Glaube lenkt bekanntlich die ganze Aufmerksamkeit auf den Verfall des Körpers. In der Bronze für Charles Wilda wird der körperliche Verfall aber bereits als überwunden thematisiert: hier wird die bittere Leiche transformiert zum träge und nachlässig aus dem ewigen Schlaf geweckten Körper des wahrhaft himmlischen Jünglings.

Was für ein Erwachen!

© Wolfgang Koch 2007
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