vonWolfgang Koch 10.12.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

Der Wiener Jugendstil ist bekanntlich aus zwei Stammtischrunden im Café Sperl hervorgegangen. Erstens der Hagengesellschaft (nicht zu verwechseln mit dem Hagenbund) um den Naturalisten Josef Engelhart, und zweitens um den sogenannten Siebener Club um Gustav Klimt, Kolo Moser und Joseph Hoffmann, die sich als Stilisten bezeichnen lassen.

Als 1905 die Klimt-Gruppe aus der Secession austrat, blieb Engelhart hartnäckig Mitglied, obwohl gerade ein Bildnis von seiner Hand zu Kontroversen und schliesslich zur Abspaltung aus Solidarität mit ihm geführt hatte. Wer also war dieser Josef Engelhart?

Ein Maler und Bildhauer, der längst internationale Beachtung verdient hätte. Auf das Eckgrab seines Vaters am Wiener Zentralfriedhof, Gruppe 16H, stellte er einen nackten Jüngling, der unter der Last der Trauer beinahe zusammenzubrechen scheint. Diese fantastische Plastik lässt den Historismus weit hinter sich, die Linien des Körpers fliessen und nähern sich antiken Formen an. Der Beine des Schmerzgebeugte scheinen unter der Last wegzuknicken, gerade bewahrt er noch ein fragiles Gleichgewicht.

Dass das Verhältnis von Vater und Sohn zu einem Friedhofsthema werden konnte, war nicht ungewöhnlich. Die Gesellschaft des Fin-de-siècle rechnete scharf mit der Tradition ab. Einen Kilometer weiter im Norden, im Alten Israelitischen Teil des Friedhofes, liegen die Gräber der Familie Marmorek. Hier hat sich Sohn Oskar auf der Grabplatte, die er zum Andenken an seinen Vater entworfen hatte, erschossen.

Bei den Engelharts ging der Vater-Sohn-Konflikt glimpflicher aus. 1903 stellte der Sohn die Bronze zunächst in den Mittelpunkt einer Ausstellung in der grossen Secessionshalle. »Mit Hilfe zweier Spiegel«, sagte der Künstler, »diente ich mir selbst als Modell«.

Heute liegt auch der Schöpfer der Plastik, die ihn zeigt unter der Gruftplatte. Ganz abgesehen davon, dass es sich um eine ausgezeichnete Bildhauerarbeit handelt, wird hier die Schraube der Sentimentalität noch einmal kräftig angezogen.

Der Tod zerbricht, zermalt alles: Grösse, Macht, familiäre Nähe und Geltung. Das Grabmal will das Andenken an die Toten durch vollkommene Schönheit retten.

Geht diese Strategie auf? Gewiss, das tut sie. Wie beim ägyptischen Engel im Grabmunument von Charles Wilda gelingt das dank der Ästhetik des Männerkörpers.

Die Leichensektion hat bekanntlich den Topos der Leiche als Ding geschaffen. Die Plastik des Trauernden – zumal hier: als Selbstprortrait des Schöpfers über der eigenen Leiche – stemmt vehement dagegen: aber nun eben nicht mehr mit dem Verweis auf die Präexistenz einer Seele. Der starke Verweis auf die Unverfügbarkeit des Todes relativiert auch das Pathos des Individuums, wie es bei Charlotte Wolter zum Ausdruck kommt.

Mit Engelhart tritt der Wiener Totenkult in eine über sich selbst aufgeklärte Phase. Es ist klug, will uns diese Kunst sagen, dem Tod nicht allezuviele Gedanken zu schenken.

Dies scheint mir die Botschaft der Engelhart’schen Figur zu sein: Die Subjektivität in differenzierter Gebärdensprache, und in sie eingebettet die kleine Hoffnung, dass die zumindest Schönheit das Vergessen übertauchen werde.

© Wolfgang Koch 2007
next: DO

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2007/12/10/ist-der-tod-ein-nackter-sohn/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert