vonWolfgang Koch 17.12.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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In Rufweite der Ehrengräber der Gruppe 14A findet sich am Wiener Zentralfriedhof das Grab eines jungen Mannes mit Migrationshintergrund. Der Stein darüber zeigt den Verstorbenen lebensgross gemeisselt mit einem Handy, und aus seinen Schultern wachsen Flügel.

Diese einmalige Mischung aus Mobilfunk und Transzendenz hat den bulgarischen Schriftsteller Dimitré Dinev so begeistert, dass er das Grab 2003 an prominenter Stelle in seinem Debütroman Engelszungen vorkommen liess.

Dinev ist heute um die Vierzig. Er emigrierte aus seiner Heimat nach Österreich, als dort 1990 die gewendeten Kommunisten als »Bulgarische Sozialistische Partei« die Wahlen gewonnen haben und das Ruder der Macht in der Hand behielten. Dinev lebte dann zunächst als Illegaler am Wiener Brunnenmarkt, er jobte als Kellner und in einem Prater-Spielcasino, bis er sich entschloss seine neue gewonnen Einsichten in das Leben auf Papier festzuhalten.

Ich halte es für kein Wunder, dass an diesem Grabmal am Zentralfriedhof ein Zuwanderer auf einen anderen stiess. Denn wenn es heute noch einen pompösen Totenkult in Wien gibt, dann wird ihm von den Emigraten neues Leben eingehaucht. Für den Durchschnittswiener ist die Lust an den Ablebensriten so weit weg wie durchtanzte Karnevalsnächte oder Banenenmilch in einem Schnapsglas.

Ich habe meine Ausführungen mit der These begonnen, dass das besondere Verhältnis des Wieners zum Tod ein grelles Märchen ist, ausgebeutet von windigen Tourismusmanagern und verschnarchten Lokalhistorikern. Was den Wienbewohner von heute umtreibt, unterscheidet sich in kaum etwas von dem, was gewöhnliche Hamburger oder Pariser im Kopf haben: die eigene wohlverdiente Pension.

Ich sage das ohne Zynismus! Denn die Pension, der Ruhestand nach der Arbeit, ist der allgemeine soziale Versuch, den natürlichen Tod zu realisieren. Wir sehen in der Pension die letzte Lebensperiode, die durch Leistungen an die Sozialversicherung im voraus als Schonzeit erkauft wurde. Und wir beten alle zusammen die Idee an, im arbeitsfreien Alter die biologischen Restkräfte auszuleben, bis wir in einer sanften Ermattung verlöschen.

Hinter dem allgemeinen Pensionssystem wirken gewissermassen zwei kollektive Fantasien: Weil sich die Todesfurcht durch betonte Dieseitigkeit als unüberwindbar herausgestellt hat, liegt die neue Lösung des Problem im rechtschaffenden Handeln. Sei brav, lass’ dich nieder, gründe eine Familie, baue ein Haus! Diese Lebensstrategie nimmt die schlimmsten Qualitäten von dem das Leben überschattenden Telos des Todes.

Die Zeichen unserer Zeit stehen unbedingt auf ein friedliches Verlöschen. Du zählst weniger ein orginelles Individuum, wie es vor hundert Jahren der Fall war; u siehst dich selbst mehr als ein durchlässiges Medium, einmalig und unwiderholbar allein durch die Akte deiner Kommunikation. Das scheint mir die kluge Botschaft des engelhaften Toten mit dem Mobiltelefon am Grabstein zu sein.

Im gewaltlosen Lebenende steckt eine grosse gesellschaftliche Hoffnung: die Hoffnung auf eine insgesamt friedliche Reproduktion. Und das ist in Wien nicht andere wie an jedem anderen Flecken der Ersten Welt.

© Wolfgang Koch 2007
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