Die »wunderbare Welt der deutschen Wortbildung« ist ein in Österreich nur schlecht besuchtes Wahlfach. Die wenigen, zarten Linien, die von den grossen Namen der Wiener Sprachkritik – Fritz Mauthner, Karl Kraus, Adolf Josef Storfer – zu den Schreibern in unserem Jahrhundert herüberführen, sind kaum zu erkennen. Da kommt ein Autor wie Christoph Winder gerade recht.
Dreieinhalb Jahre lang hat der ehemalige Sprachlehrer als Redakteur der Tageszeitung Der Standard online den modernen Kommunikationsdschungel durchforstet. Genau genommen hat er das nicht allein getan, sondern mit Hilfe seiner Leserschaft.
Was dieser sprachskeptischen Wiener Community mit viel Sinn für das Absurde auffiel und nun in Buchform vorliegt, ist vor allem ihr eigenes Kauderwelsch. Dass es sich bei der Sammlung um ein realistisches Bild des österreichischen Gegenwartssprache handelt, darf bezweifelt werden. Nennen wir den Gegenstand dieses Lexikons das ABC der ostösterreichischen Bildungselite, ihrer provinziellen Verwandten, ihrer halbwüchsigen Jugend und ihres verhassten Umfeldes. Das ist eine ganze Menge.
Thematisch rangieren in Winders Wortistik Sex vor Politik und Warenkunde vor Medien. Die Tricks und Fallen des akademischen Sprechens und Schreibens werden nur milde abgemahnt. Verbale Verführer der Massen hingegen finden keine Gnade vor dem augenzwinkernden Sprachpolizisten, der kommunikative Vergehen am liebsten mit Strafmandaten ahnden würde.
500 Wörter hat Winder online glossiert, 370 davon wurden in das Buch aufgenommen. Das Personal der Einträge ist teils überholt: Wolfgang Schüssel (»Schmutzkübelkampagne«), Karl Heinz Grasser, Alexander Van der Bellen (»regierungsgeil«, »Energieverbrauchseinsparmöglichkeit«), H.C. Strache, Markus Rogan (»Goldfisch«, »am Ende des Tages«, »Titelhamster«), – so mancher Stichwortlieferant ist schon wieder aus dem Rennen.
Das stört nicht, denn Winder kommentiert ja neben Sport- und Politjargon (»Befindlichkeit «, »es geht nicht um…«, »Herausforderung annehmen«) einen prall gefüllten Sack voller Wortblasen: den Kennenlern-Wortschatz (»anbraten«), Phrasen aus der Gastarbeitersprache (»andere Baustelle«), kuriose Übersetzungsprobleme (»ass«, »Mister«), schnodriges Jugendblabla (»Asbach«, »unpackbar«, »ur-«), aber auch gediegenes Handwerkerlatein (»auf Knirsch«).
Winder spürt dem pikanten Phänomen des inländischen Wortes nach, das in ausländischen Ohren einen vulgären Sinn annimmt (»Bitte«, »hui«). Er geisselt beklemmende Redewendungen (»es wird eng«) und schnelle Informationswatschen (»Italiens Berlusconi«); die Sprache der Schlitzohren (»Bittedanke«, »tut leid«) sowie die anmassende Beanspruchung der deutschen Sprache durch Werbung (»Das Schweinsschnitzel«, »entwackeln«,»g’schmackig«).
Erstaunlich, was sich da auf ein paar Seiten zugig zusammenballt wie die Hochhäuser auf der Donauplatte. Reden wir denn wirklich schon so unorginell? Können wir unsere Alltagssprache der hechelnde Daueraufgeregtheit der Medien überhaupt noch entziehen?
Winder gibt auf die Frage keine tröstende Antwort. Sein Beitrag zum Problem beschränkt sich auf die punktgenaue Analyse der Sünden. Der Autor befragt eindringlich unsere sprachliche Distanzlosigkeit (»ganz bei dir«), das Einschleimen mit Worten, die coolen Ungenauigkeitsfloskeln (»gefühlt«). Er zerkugelt sich über bizarre Produktnamen wie »Oust« für einen Raumspray, über die bilingiale Betitelung im Fernsehprogramm oder das Fantasie-Mexikanisch bei McDonald’s.
Mal werden humoristische Lautverdrehungen gefeiert, dann wieder setzt Winder einem Prachtexemplar unseres Wortschatzes wie »Hopsi« ein Denkmal. Man vernimmt vor allem den Humor mit Dank!
»Manchmal wünsche ich mir ja«, sagt Winder, »es gäbe ein kleines handliches Wortmessgerät, das dem Volk aufs Maul schaut und mir am Ende eines beliebigen Tages verrät, wie oft zum Beispiel heute in Österreich Arschgeweih, Russenluster oder Zetteln gesagt wurde«.
Der Wunsch ist verständlich – weniger schon, dass Winder die Internet-Suchmaschine Google als Ersatz hernimmt. Belegstellen im Netz leiden darunter, dass weder die Suchkriterien noch das Sample offen gelegt werden. Die googelnde Sprachrecherche gleicht dem Versuch, aus zufällig mitgehörten Telefongesprächen Aussagen über das Liebesleben der Hominiden zu machen. Wären da nicht a) Lutz Rörichs fleissig befragtes Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten und b) die Interaktion mit den BlogleserInnen, müsste der Autor dieses Buches bei seinem Anspruch, ein Lexikon der Gegenwartsprache vorzulegen, wohl zurückkrebsen.
Wertvoll erscheinen uns Glossen, in denen Winder sprachliche Verklemmtheit an den Pranger stellt (»Am Popo vorbei«) oder idiotisches Speisekarten-Deutsch durch den Kakao zieht. Der Autor reitet Attacken auf das von der Werbung täglich erlogene österreichische Landleben, auf die Wirklichkeitsbehübschung durch Rhetorik (»medizinische Massnahmen«). In anderen Einträgen bekennt er sich freimütig zu verbalen Novitäten wie Lebkuchenfrühchen, Psychosmog und overtempled.
Damit ist klar: Hier kritisiert einer aus seiner übermächtiger Liebe zur Sprache heraus und er entwickelt doch keine falsche Sentimentalität, was unsere Beheimatung in ihrem Schneckengehäuse betrifft.
Der Chronist aller möglichen und unmöglichen linguistischen Absonderlichkeiten klärt uns darüber auf, wie der unberechenbare Umlaut-Schabernack der Franzosen zustande kommt, was ein Scheinanglizismus ist; er plädiert für lateinische Einsprengsel im E-Mail-Verkehr und aussagekräftige »Middle names«.
Christoph Winder legt in dem Werk auf finstere Austriazismen ebenso an wie auf die exzentrische Grossschreibung von sich modern gebenden Unternehmen (»KundenCorner«), er spürt das preziöse Präfix »La« in Frauenzeitschriften auf und klopft Boulevardblätter auf sterotypen Sprachgebrauch ab (»Langfinger«, »Unhold«).
Zu milde fällt das Urteil über den Akademiker-Tick des dazwischengeschobenen Bremswortes »sozusagen« aus. Schwach die Aussagen zum Gendern. Mitunter, sagen wir, fehlt es diesen Kommentaren selbst an sprachlicher Sensibilität: Suchtkranke sind keine »Liebhaber des jeweiligen Stoffes« und die etymologische Bedeutung von »Kruzitürken« lädt nur Dolme zum Scherzen ein.
Nein, man muss nicht durch alles durch. Zitat: »Sprache sind Landkarten der Realität, und wie andere Landkarten bilden auch sie die Wirklichkeit unterschiedlich ab«. – Das stimmt schon. Doch der wilden, anarchischen Existenz von Privatsprachen, mithin der Dichtung, steht Winder eher ratlos gegenüber (Seite 121).
Für unseren Geschmack zu vornehm urteilt der Autor etwa über die werbetextliche Benamsung der ÖBB-Züge. Was hier als lukrative Werbefläche verkauft wird, ist schliesslich auf Konsumentenseite eine handfeste Entwertung der Information. Für den Bahnkunden entwickelt die neoliberale Geschäftstrategie eine enteignende Qualität, die durchaus ein Mass an Gewalttätigkeit enthält.
Und so gäbe es noch ein paar Kleinigkeiten zu beckmessern an diesem beckmesserischen Buch. Der Koffer im Sinn von Depp kommt nicht vom arabischen »Kafir«(Ungläubiger), sondern vom abwertenden Kolonialdiktum der »Kaffern« für die Bewohner Afrikas. Die Redewendung »zum Rudolf werden« bezieht sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den suicidalen Kronprinzen aus dem Hause Habsburg. Und mit »naturgeil« wird in Sex-Kontaktanzeigen nicht etwa eine ominöse Triebhaftigkeit der Frau beschrieben, sondern dem männlichen Leser das Angebot von ungeschützten Geschlechtsverkehr mit der Prostituierten offeriert.
Verdienstvoll ist Winders Sprachmühle dort, wo es darum geht, grosse sprachliche Verdunkelungen aufzudecken, wo es um Verlegenheitssynonyme für exakte Bezeichnungen geht (»ab«-Wörter, »angedacht«) – um Verunschärfungsausdrücke, die einer Denkträgheit gleichkommen.
Es gibt viel zu lernen in diesem Buch – dass die Globalisierung auch die Internationalisierung von Klischee-Denk und Phrasen-Sprech ist; dass typische Formulierungsweisen für dahinter wirkende Denkmuster stehen, dass also – was Karl Kraus unterschrieben hätte – der Idiot an seiner Sprache kenntlich bleibt.
Wir erfahren staunend, dass das Rülpsen Ewiggestrigen besonders häufig nachgesagt wird; dass länger als lang im Deutschen immer geht; dass die Franzosen definitiv weniger fussballfeindlich sind als die Deutschen; und noch etwas: »Bitte in Frankreich mit bitte sorgsam umzugehen!«
Selten kommt die Lebensheiterkeit eines Autors in Österreich auf so hohem intellektuellem Niveau daher. Winder ist uneitler als Robert »Telemax« Löffler und unperfekter als Rolf Schneider, aber gerade deshalb der Absenfer der Stunde.
Christoph Winder: Das muss man durch. Mein Wörterbuch zur Gegenwart. 288 Seiten, ISBN 978-3-937801-31-5, Waltrop/Leipzig: Manuscriptum 2009, 19,80 EUR
© Wolfgang Koch 2009
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