vonWolfgang Koch 09.05.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Keine Frage, dieses Buch schliesst eine klaffende Lücke im Wiener Stadtgedächtnis und macht auch für den Protestantismus einiges her. Das ist in einer Situation, in der sich gerade noch 4,7 Prozent der Stadtbewohner als Evangelische outen – man ist weit hinter Bekenntnislose, Moslems und orthodoxe Christen zurückgefallen – keine Kleinigkeit nicht.

Die lutheranische PR-Lady Monika Salzer und der reformierte Theologe Peter Karner haben einen dicken, gut bebilderten Band über prominente Evangelische und ihre Bedeutung für Wien auf die Füsse gestellt. Dass in dem Buch mit den »Evangelischen« immer die Mitglieder zweier Kirchen gemeint sind, ist nur konsequent. Denn – europaweit einmalig – haben sich die Evangelischen Kirchen A.B. und H.B. in Österreich schon 1861 zur Erledigung gemeinsamer Angelegenheiten zusammengeschlossen, ohne ihre Bekenntnisverschiedenheit aufzugeben.

Das angezeigte Buch listet biographische Daten und allerlei Wissenswertes vom Weltstar Oskar Werner über die Medizinerkoryphe Theodor von Billroth und den Freud-Lehrer Ernst Wilhelm von Brücke bis hin zu Alma Mahler-Werfel, Grete Wiesenthal und Adele Sandrock auf. Wir erfahren, dass das weltberühmte Neujahrskonzert von Protestanten aus der Taufe gehoben wurde, man informiert uns darüber, warum Juden ungern zu den Katholiken konvertierten und wie sich der Prunk der Ringstrasse im Milieu bürgerlicher Salons entfaltete, wo es bekanntlich zum guten Ton gehörte deutschnational, habsburgkritisch und eben evangelisch zu sein.

Wie gesagt, das Buch macht für Wiens Protestanten einiges her. Aber ein paar Einwände sind ihm nicht zu ersparen. Zunächst einmal sind es, wie bei jedem Lexikon, die Lücken des Erfassten, die dem Rezensenten ins Auge springen. Schliesslich dürfte, wer in diesem neuen Standardwerk nicht namentlich aufscheint, für zukünftige Historiker wohl für immer von der Bildfläche verschwunden sein.

Das haben sich zum Beispiel Bernhard von Enenekel und der Freiherr von Landau nicht verdient. Von Enekel hat seinen Gutherrnhof in Kagran in sehr harten Zeiten zu einer tapferen Feste des evangelischen Glaubens ausgebaut; detto der Freiherr von Landau im frühen 17. Jahrhundert sein Rodauner Schloss. Wir erfahren gerade das notwendigste über die zur selben Zeit aktive Familie der Jörger in Hernals und magere drei Zeilen über die Gebrüder Geyer von Ostenburg in Inzersdorf – von ihren besagten Mitstreitern im Glaubenskampf erfährt die p.t. Leserschaft aber nicht einmal mehr die Namen.

Diese zwei Beispiele stammen aus der Zeit der grossen Sonnenfinsternis für die Evangelischen, der Epoche der Gegenreformation, als das Kaiserhaus mit jesuitischem Eifer daran ging Wien wieder rein katholisch zu machen. Ein Drittel des Bürgertums war zuvor unter dem Einfluss protestantischer Prediger und rivalisierender Adelshäuser vom römischen Papststum abgefallen, zwei Generationen lang war der Adel in Wien komplett protestantisch gewesen.

Den Autoren des vorliegenden Bandes sind diese historischen Tatsachen allerdings nur mehr Marginalien wert. Sie blenden die harten Auseinandersetzungen in der Frühzeit des Protestantismus aus ihren Geschichtsbohrungen weitgehend aus und konzentrieren sich lieber auf den glamourösen Kulturprotestantismus des 19. Jahrhunderts.

Das ist gewiss legitim, aber einseitig ist es auch. Niemand wird im Personenverzeichnis eines solchen Werkes den Namen Jesus Christus suchen. Man begreift es schon im Titel: Hier strömen die Seiten mit den Namen von Architekten und Professoren über, den Biografien von grandseigneuralen Unternehmern und gloriosen Schauspielerinnen. Das üppige Kultur-Wien pocht an die Pforte. An der Universität, im Burgtheater und im Prater waren die Evangelische des 19. Jahrhunderts eindeutig überproportional vertreten.

Schaut man sich diese Karrieren dann näher an, entdeckt man rasch, dass das Bekenntnis zum corpuslosen Kreuzsymbol der Evangelischen eher selten aus Glaubensgründen allein geschah. Bei den Übertritten dominierten neben eherechtlichen vor allem politische und kulturelle Motive: Deutschnationalismus und Preussenbegeisterung unter den Los-von-Rom-Bewegten des Fin-de-siècle; Bewunderung für den deutschen Geist und die deutsche Kultur auf Seiten jüdischer Konvertiten; später dann, ab 1933, Proteste gegen den autoritären Katholikenstaat, und zwar einerseits bei den Sozialdemokraten, andererseits unter den Nationalsozialisten.

Der Protestantismus erscheint in all diesen Schichtungen als eine Art modernistischer Folie der schwer rückwärtsgewandten, kaiserseligen Wirklichkeit – als feierliche Bekenntniskultur einer neuen Deutungselite, in der sich das bürgerliche Subjekt pathetisch mit religiösen Formeln in die Zivilisation einschreibt, moralisch klug und verhalten exzentrisch, um seinen prekären Status im Habsburgerreich nicht unnötig zu gefährden.

Diese Diagnose betrifft die Vorgänge von annähernd einhundert Jahren, von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Protestanten antworteten mit einem verschärften Kulturanspruch auf den Habitus der Bussprozessionen ihrer katholischen Widersacher. Aber Protestantismus war auch in dieser Ära mehr als ein religiös codierter Kulturkampf, war immer auch eine pietistische Abwendung von den politischen Effekten auf der Bühne bürgerlicher Öffentlichkeit. Der Protestantismus verfügte auch über mächtige Reserven gegen das Up-to-date-Sein.

Wahrscheinlich ist es genau dieses doch sehr oberflächliche Verständnis von konfessioneller Zugehörigkeit, dass der Konvertit Günther Nenning gespürt hat, als er einmal schelmisch von sich sagte, als Evangelischer sei er ein »Kryptokatholik« gewesen und als Katholik nunmehr eben »kryptoevangelisch«.

Immerhin: Die Liste der Kulturprotestanten ist ausgesprochen vielseitig und lang – besetzt mit den Künstlern Rudolf von Alt, Tina Blau und Josef Hoffmann, mit der Klimt-Muse Emilie Flöge, den SchriftstellerInnen Ingeborg Bachmann und Egon Friedell, den Musikern und Komponisten Johannes Brahms, Alban Berg, Gottfried von Einem und Johann Strauss junior; dazu kommen die Wissenschaftstheoretiker Moritz Schlick und Heinz von Foerster, der Grausgansforscher Konrad Lorenz, nicht zu vergessen die Bühnenmenschen Alexander Girardi, Hans Hörbiger, Josefine Gallmeyer, Charlotte Wolter, der Motor-Pionier Siegfried Marcus, der Regisseur G.W. Papst,…

Mein letzter Einwand gegen dieses an und für sich sehr brauchbare Buch: Der Verlag, der sich offenbar formatmässig schwer zwischen einem Handbuch und einem Bildband entscheiden konnte, hat für keine wirklich übersichtliche Anordnung der lexikalischen Einträge gesorgt; die Trennung von biografischen Daten und Lesetexten im Mittelteil funktioniert eher selten.

Monika Salzer/ Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstrasse. Evangelisches Wien, 259 Seiten mit 134 Abbildungen, ISBN 978-3-85452-636-0, Wien: Picus Verlag, 29,90 EUR

© Wolfgang Koch 2009
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