vonWolfgang Koch 16.05.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Schon der erste Satz klingt gestelzt: »Dieses Buch versteht sich nicht als Künstler-Biographie.« Kann denn ein Buch ein Bewustssein von sich selbst besitzen, oder wollen uns die Autoren nur hochtrabend sagen, dass sie, die Autoren, dieses Buch nicht als Künstler-Biographie verstehen?

Gut, man erfährt viel über einen Heroen der zweiten Wiener Schule der Musik auf den folgenden 450 Seiten: Alban Maria Johannes Berg [1885-1935]. Man erfährt, dass Bergs Vater Freimaurer nach dem schottischen Ritus war; dass Berg zeitlebens von Astrologie, Theosophie und Zahlenmystik besessen war, dass er Sportnachrichten verschlang, leidenschaftlich gerne in Kino ging und seine Freunde graphologisch begutachtete.

Alban Berg wuchs – nach dem Tod des Vaters – unter Vormundschaft seines älteren Bruders auf. Radparteien mit den Wandervögeln interessierten den Heranwachsenden mehr als die Schule. Er repetierte mehrmals und schwängerte im Alter von 16 Jahren das Küchenmädchen der Familie. Für die fortan verheimlichte Tochter aus dem Bedienstetenvolk rührte das Musikgenie dann sein Lebtag lang keinen Finger mehr. Ausser einmal, da bekam Albine eine Opernkarte vom Papa.

Beruflich wurde Berg zunächst Rechtspraktikant der NÖ-Landesregierung, dann Schönberg-Schüler und mit der Hilfe zweier sehr stattlicher Vermögen ein freier Komponist. Der eine Geldberg bestand aus dem Vermögen seiner Mutter, der andere aus dem Vermögen seiner Ehefrau Helene Nahowski.

Wir hören vom Leben eines kunstsinnigen Paares, das sich standesgemäss zwischen Kärntner Badeseen und Wiener Privataufführungen abspielte. Ein Grossteil der erhaltenen Korrespondenzen dreht sich um den wechselnden Einfluss der verschiedenen Kinder auf die nährenden Mütter. Grossbürgerliche Wohlhabenheit und der Verkehr mit Mäzenaten prägten Bergs Leben. Er selbst wurde für den Neutöner Arnold Schönberg das, was Oskar Mamorek für Theodor Herzl gewesen ist: die unverzichtbare und dem Meister treu ergebene Hand.

Und Berg privat? Privat war er von kuriosen Zeitgenossen umgeben: seine Schwester Smaragda war eine bekennende Lesbe (und damit das perfekte Modell für die Gräfin Geschwitz in der Oper Lulu); Bergs Gattin Helene war – wie auch deren Bruder Franz Josef – ein illegitimes Kind des in Schönbrunn regierenden Monarchen, der 14 Jahre lang mit der Eisenbahnergattin Johanna Nahowski aus der Maxingstrasse 46 in Hietzing verkehrt hatte. Unter den Freunden klingende Namen: Alma Mahler-Werfel, Egon Friedell, Adolf Loos, Julius Bittner, Soma Morgenstern,…

Dieser Stoff wäre ein höchst spannendes Setting, wenn die Autoren das Material in einer strenge Beziehung zu den Kompositionen Bergs gesetzt hätten. Das tun sie aber nur höchst selten. Den roten Faden durch den Ernst des Lebens bilden die gegen Gedankenlosigkeit, Dummheit und Gewohnheit opponierende Korrespondenzen des Musikers.

Februar 1913: nicht die Kompositionen Schönbergs, sondern die seines Schülers (die fünf Orchesterlieder Opus 5) sorgten für einen veritalben Zisch- und Prügelskandal im Konzertssaal. 1914 dann verschwieg der 29jährige Alban Berg, dass sein Astma auf starkes Rauchen zurückging, um nicht gleich einrückend gemacht zu werden. Als es patriotisch doch eng für ihn wurde, intervenierte Helene beim Allerhöchsten Erzeuger persönlich, damit dem Gatten ein militärischer Schreibtischpostens zugeteilt wurde.

Der Rest ist ausrechenbar: Karrierstreben, langes Warten auf den Erfolg, Wiener Intrigen, Ehrenbeleidigungen, Selbstverlag. In Zeiten der Wirtschaftskrise verkaufte man in Bergs Kreisen Grossmamas Uhren. Sorgsam gepflegte Verbindungen nach Deutschland (Hermann Scherchen, Erich Kleiber) verhalfen dem Komponisten schliesslich in den Zwanzigerjahren zum Durchbruch. Mit der Oper Woyzeck machte er den Zeitgenossen unerbittlich klar, dass atonales Hören abendfüllend möglich ist. Berg war innovativ: er setzte sich für öffentliche Proben ein und trug vor den Premieren dem Publikum vor.

Auch nach seinem Durchbruch beklagte der Mann weiter die »Interessenlosigkeit« der Musikstadt Wien an seiner Arbeit, stolz lehnte er eine Zwei-Minuten-Präsentation im Radio ab und mit Fünfzig dann auch das verspätete Ansinnen, ihm den lokalüblichen Berufstitel »Professor« zu verleihen. Innerlich fühlte Berg sich stets als Vorrreiter und lange dem Maler Vincent van Gogh verbunden.

1926 bemerkte der Komponist, er könne nirgends verborgener Leben als eben in Wien. Autogrammbitten beantwortete er gerne mit der neckischen Notenfolge »es-c-ch-eis-es-e«. Berg beklagte übrigens die Übernahme der Philharmoniker durch Professoren – zur Zeit Mahlers, als dort einfache Orchestermusiker gewirkt haben, hätte das Orchester weit besser geklungen.

Da diese erklärte Nicht-Biographie von Knaus/Sinkovicz auf Werkinterpretation verzichtet, spricht sie vor allem durch Orginal-Texte: Briefe, Zeitungsartikel, endlose Haushaltslisten, Lohnstatistiken, Inserate. Man kommt gelegentlich ins Staunen, mit welcher Intensität damals brieflich kommuniziert wurde. Aber schliesslich lässt sich die Redundanz des Mitgeteilten nicht verbergen: immer ging es Geschwistern und Musikern um den Lebensunterhalt – um Apanagen, Darlehen und Vorschlüsse. Alles drehte sich ständig um die kulturelitäre Frage, wer wann wenn anpumpen konnte.

Das Ansinnen der beiden Autoren die weitgehend bekannten Zeitumstände des Komponisten mit immer weiteren Zitaten und Zahlen aufzufetten, ufert regelmässig in das Auftürmen von Materialhalden aus. Jedes Faktum, jede Wende im Dasein, wird mit unnötigen Details bezuckert. Aber das Alltagsleben während des Ersten Weltkrieges wird eben nicht plastischer, wenn man erfährt, dass das Färben von Ostereiern 1915 verboten war oder dass 1917 ein desinfizierendes Mundwasser gegen die Spanische Grippe angeboten wurde. Nein, die Fährnisse der Zeit rücken durch ein Übermass solcher Informationen ins Unscharfe ein.

Naiv nehmen die Autoren behördliche Verordnungen und Reklame für ein gültiges Abbild der Vergangenheit. Das könnte uns durchaus gleichgültig sein, man könnte das Buch gelangweilt in die Ecke schleudern, wenn dieses schriftstellerische Verfahren nicht typisch für musikologische Bücher aus Wien wäre – ein Wulst grosser Namen, sämtliche ereichbaren Zinseinahmen und Barvermögen der Familienmitglieder, die zum Habitus des gehobenen Standes gehörten, und dazwischen ein paar Andeutungen zum Initimleben der Figuren, damit die Schreiber bei ihrer Arbeit nicht einnicken.

Berg profitierte von der Opernhysterie Zwanzigerjahre. Als er für eine Weile erfolgreich wurde, steckte er sein Geld sofort in ein Automobil – »ein 40 PS starkes Ford-Sport-Cabriolet (zweisitzig, mit zwei hinteren Notsitzen)«. Nun wäre das an Mitteilung sicher genug. Aber, nein, in diesem Buch dürfen nun noch an der Grösse des Gepäckraumes teilhaben, dürfen erfahren, woher das Geld für das Fahrzeug stammte, was die Haftpflichtversichrung kostete, wie die Führerscheinprüfungen verliefen und wer an den folgenden Unfällen letzlich die Schuld trug.

Das ist bienenfleissiges Aportieren von Kleinkram. – Nein, die Latte für empfehlenswerte kulturhistorische Bücher, die sich dem Vermächtnis des Ersten Weltkrieges widmen, hängt nun einmal hoch, seit 1989 die aufsehenerregende Interpretation von Igor Strawinskys Komposition Sacre du Printemps durch Modris Ekstein erschienen ist. Daran werden sich auch Wiens Musikhistoriker gewöhnen müssen.

Zurück zur Chronologie. Bergs materieller Erfolg währte bis zum Aufstieg der Braunhemden. Dann half ihm auch das wortreiche Beteuern des eigenen lupenreinen Ariertums über mindestens vier Generationen nichts mehr – Berg-Werke waren den Kulturrecken der NSDAP definitiv zu avantgardistisch, zu jazzaffin, ihr Schöpfer ein verachteter »Binkeljude«.

Berg aussereheliches Liebesleben, das mit seinem beruflichen Höhenflug korrespondierte, verlief, soweit dokumentierbar, bescheiden. Der erste seiner Seitensprünge fand Ausdruck in der sechssätzigen Lyrischen Suite für Streichquartett; die restlichen Affairen bestanden dann vor allem in romantischem Anschmachten und taktischen Erörterungen, wie sich die Geliebte gegenüber der Ehefrau zu verhalten habe. Zitat: »Wie wird es möglich sein unbefangen zu sein bei Deinem ersten Anblick u. es zu bleiben ein paar Stunden, so dass sie (die Ehefrau) nichts merkt.«

Am Ende von Bergs Tagen verdüsterte sich die weltgeschichtliche Lage. Selbst auf die Abstiegsleiter geraten, brach er den Kontakt zu seinen Geschwistern ab und kondolierte rührend den österreichischen Diktator Kurt Schuschnigg, als dessen Frau bei einem tragischen Autounfall ums Leben kam. Der grosse österreichische Komponist Alban Berg starb (während sich sein Lehrer Schönberg und seine Wohltäterin Alma Mahler-Werfel vor den Hitler-Truppen nach Übersee retten konnten) an den Folgen der dilettantischen Öffnung eines Arschfurunkels durch seine Frau.

Herwig Knaus/ Wilhelm Sinkowicz: Alban Berg. Zeitumstände – Lebenslinien. 454 Seiten, ISBN 978-3-7017-3109-1, St.Pölten/ Salzburg: Residenz Verlag, 28,- EUR

© Wolfgang Koch 2009
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