vonWolfgang Koch 06.11.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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»Es gibt in Wien noch heute feinfühlige Naturen«, schrieb Otto Fritz Beer 1976, »die behaupten, sie brauchten nur über eine Donaubrücke nordwärts zu schreiten und wüssten sofort, dass sie hier bereits unter Quaden seien. Südlich, auf dem alten Römerboden, wachsen die süffigen Weine, nördlich des Limes aber die reschen, spritzigen bis sauren Brünnerstrassler«.

Um das zu verstehen, muss man wissen, dass die Quaden, lateinisch Quadi, ein kleiner, ursprünglich elbgermanischer Volksstamm waren. Und dass der Brünnerstrassler so heisst, weil seine Reben an den Hängen der 120 km langen, von Wien nach Brünn/Brno führenden Strasse wachsen und der Wein auf der Brünner Strasse transportiert wird.

Da trifft es sich gut, dass die niederösterreichische Edition Winkler-Hermaden ein wirklich exzellentes Bildbändchen zur Geschichtes dieses Verkehrsweges vorgelegt hat. Exzellent, weil dieser Bildband auf sämtliche Dummheiten des gegenwärtigen Buchdesigns verzichtet (Überformate, winzige Schriften, Fotos im Briefmarkenformat). Statt dessen: ein handliches Querformat, ein übersichtliches Layout und hochinformative Bildtexte. Man gibt wunderschöne historische Karten in Farbe wieder und scheut auch nicht vor dem Abdruck von unscharfen Dokumentarfotos zurück.

So sehen wir auf Seite 104 eine Gruppe Männer in Hut und Sakko, die im Jahr 1930 dabei ist, den Schlauch eines Kraftwagenreifens zu bändigen, als wären er eine schrecklich gefährliche Python. Wir sehen Infanteristen der k.k. Armee hoch zu Ross in Wilfersdorf einziehen – wobei ein um die Ecke biegender Pedalist die steifen Reiter alt und verbraucht aussehen lässt. Durch den Wiener Aussenbezirk Floridsdorf rattert, nach dem Zweiten Weltkrieg, eine amerikanische Strassenbahngarnitur. Auf Seite 90: ein durch Schüsse der tschechoslowakischen Grenzwache gestoppter Fluchtversuch am Eisernen Vorhang.

Auf Seite 95 stapfen Fussgänger unter entlaubten Bäumen auf das in der Ferne verschwommen sichtbare Nikolsburg (Mikulov) zu. Unweigerlich denkt man da an Peter Handke und seine romantische Leidenschaft für das Gehen – eine Reminiszenz an die Tatsache, dass für die meisten Menschen die eigenen Füsse noch vor zwei, drei Generationen das einzige erschwingliche Verkehrsmittel waren.

Ich bin ja lange schon der Meinung, dass die Geschichtschreibung von morgen auf die Stammbäume der Herrscherdynastien pfeifen wird. Man wird in Zukunft die Geschichte Europas anhand von ganz anderen Netzwerken rekonstruieren: der Ökonomie der Transportwege, den Prozessen der Kommunikation und der Symbolizität der Zeichen, die sich in diesen Konstrukten bewegt haben. Hier, auf der Brünner Strasse, sind die Kulturen des Ostens mit dem Westen in Kommunikation getreten und haben schrittweise das Mass preisgegeben, das ihnen Identität und Würde verlieh.

Die Autoren des Werkes manchen zum Glück nicht den Fehler, ihr Objekt – das von der anderen Seite, von der tschechischen her, eine Wiener Strasse (Vídeňská) ist –, für ein Ergebnis des friedlichen Personenverkehrs und des Austausches von Waren und Gütern zu halten. Die Grundidee der Verkehrsader Brünner Strasse verdankt sich der militärischen Planung.

Die Wiener Ausfallssstrasse nach Norden sollte den habsburgischen Armeen ein schnelleres Vorrücken in renitente Provinzen und an die gefährdeteten Grenzen des Reiches ermöglichen. Paradoxerweise kamen darauf auch die hussitischen, die schwedischen und die preussischen Gegner des Kaisers schneller voran. Das Existenz in den Orten an der Strasse war über Jahrhunderte wohl nur selten komfortabel.

Heute erhält die Hauptroute durch das Weinviertel ein wenig unerwartet eine neue Lebenschance. Durch den Bau von monströsen Schnellstrassen über das sanfte Hügelland wird der nun unnütz gewordene Rest der alte Verkehrsader zu einer Art nostalgischen Attraktion für Ausflügler. Was einstmals so schmerzlich in die Einsamkeit hineinragte und in den letzten Jahrzehnten dann vom Pendlerverkehr übergerollt wurde, das taugt vielleicht bald für einen gepflegten Strassenritt.

© Wolfgang Koch 2009

Christian Jostmann: Die Brünner Straße. Eine Geschichte des Verkehrswegs von Wien nach Brünn in Bildern. 114 Seiten, 133 Abb., Edition Winkler-Hermaden: Schleinbach 2009, www. edition-eh.at, ISBN 978-3-9502688-6-7, EUR 19,90

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