vonWolfgang Koch 03.12.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Was macht denn die Schönheit des dritten Südbahnhofs aus, oder besser: was hat sie ausgemacht, denn die Bagger rückten bereits an, umzingeln in schreiendem Gelb und unwirklichem Orange die graue Haut des alten Elefanten, um das Bahnhofstier nieder zu strecken? – Eine stille, unauffällige Schönheit, wäre die angemessene Antwort. Doch Schönheit ist bekanntlich ein subjektiver Begriff, jeder versteht was andres drunter, und so lässt sich der Wert dieses Baues eben nur willigen Zuhörern vermitteln, LeserInnen, die sich auf Zusammenhänge verstehen und auf Argumente einlassen können.

Den dritten Südbahnhof muss man begehen, um ihn zu erfahren. Seine feine Ästhetik verdichtet sich in den Innenräumen: drei enormen, übereinander gestapelten Hallen, von denen jede im Grund ein gangartiger Raum ist, also Korridorcharakter trägt – und trotzdem zum Verweilen einlädt.

Das genau ist ja – seit es der Kunsthistoriker August Scharsow 1905 so formuliert hat – das entscheidende Kriterium für einen gelungenen architektonischen Raum: dass er »bei allseitigem Umschlossensein« zum Verweilen auffordert, dass er uns länger im Zentrum festhält als es seiner Funktion entspricht.

Eine solche Beobachtung geht den Demolierern natürlich am Arsch vorbei. Sie haben auch recht! Der Südbahnhofs III war zu keiner Zeit eine bewunderswürdige Sehenswürdigkeit, er war etwas für Leute, die empfinden können, die selber Augen im Kopf haben – für schattenlose Räume, für Meermuscheltöne, für paradiesisch-ungeometrische Landschaften, für kosmische Winde oder für die Mascara-Effekte in den Madonnengesichter der affichierten Grossplakate.

Aluminiumschienen: durch die Berühung von tausenden Händen veredelt. Kratzspuren ´von endlos rollenden Wägelchen im Mamor, schweigsame Spazierengeher, hallende Schritte, Zeitungskäufer, Maturantinnen, Vogelkot und verstreute Krawallblätter, ein endloses anatomisches Theater für taube Kinder.

Der Abriss-Bahnhof befindet sich südlich, in geringer Entfernung vom Stadtzentrum, im zehnten Wiener Gemeindebezirk, und er ist (oder war) in zwei Teile gegliedert: den Hauptteil für die eigentliche Südbahn und die so genannte Ostseite für die Ostbahnstrecken nach Laa an der Thaya, nach Bratislava über Marchegg und nach Budapest sowie für Fernzüge der Nordbahn nach Brünn.

Der dritte Südbahnhof war nicht irgendein Zwischenspiel. Die grosse österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann – die neuerdings ahnungslosen LeserInnen als Muse der unausweichlichen Elfriede Jelinek vorgestellt wird (was ganz lächerlich ist, da bekanntlich der luftige Turmhelm, die hohle Bischofsmütze von Maria Stiegen, den stufenweise immer dünnerer werdenden Himmelsturm von St. Stephan noch nie überragt hat) –, Ingeborg Bachmann also hat den zweiten Südbahnhof noch gekannt.

In Bachmanns Textfragment Der Fall Franza (1978) mobilisiert die gleichnamige Hauptperson mit aller inneren Kraft ihre Liebe zur Südbahnstrecke. »Man kommt eben nur über eine ins Leben und über eine zurück, sie hatte immer nur die Südbahn wirklich gekannt, daneben waren alle anderen Bahnlinien der Welt zweitrangig und nie mehr zu erkennen gewesen.«

Als ein weiterer Protagonist dieses Bachmann-Textes, Martin, eine Telefonzelle in der Bahnhofshalle betritt, – »hätte er mit den Augen am liebsten den ganzen verunglückten Bahnhof noch einmal in Trümmer gelegt, damit ihm wieder einfiele, wie der Bau wirklich gewesen sein mußte, etwas Windiges, Zugiges, Schwarzes, etwas Bedrohliches, das einem den Atem gleich bei der Ankunft genommen hatte, so mußte er gewesen sein noch zur Schulzeit, als Franza ihn einmal für ein paar Tage hatte kommen lassen«.

Das also ist die Negativfolie, auf der sich mein Südbahnhof, der dritte, in den Wiener Himmel erhobt: ein schwarzes kakanisches Ungetüm, ein historistisches Stilgemengsel, ein habsburgisches Mahdigrab. Und die Bachmann hat ihn noch gekannt, diesen Vorläuferbau des todgeweihten dritten Bahnhofs.

Hatte dieser zärtliche Koloss Hrdlickas noch etwas von den marternden Zügen seines Vorläufers? – Nein, nichts Windiges, Zugiges, auch bei offenen Türen nicht, im Sommer eine befreiende Kühle; nichts Schwarzes und Bedrohliches, das dem Ankommenden den Atem raubte, nein, sein Ruhm bestand nicht darin, die Stolzen zu demütigen.

© Wolfgang Koch 2009

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https://blogs.taz.de/wienblog/2009/12/03/requiem_fuer_einen_bahnhof_3/

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kommentare

  • Der 3. Nationalrats-praesident Martin Graf (FPOe) ist noch immer im Amt und
    die Winters u Westenthaler sind noch immer im Nationalrat.

  • Der Südbahnhof ist schmutzig, dunkel, unansehnlich, unfreundlich und nichts weiter als ein Relikt österreichischer Nachkriegsarchitektur: Funktioneller Bau, rasch fertiggestellt. Dass das neue Hauptbahnhofkonzept der ÖBB alles andere als perfekt ist, bleibt unumstritten. Aber der Blogeintrag ist zum Vergessen. Da helfen selbst die schwachsinnigen NS-Vergleiche von Wolfgang Koch nichts.

  • Schon wieder solch ein reaktionäres, amorphes Geschwafel dieses Hobby-Poeten und Nebenerwerbsapokalyptikers. Windig sind seine Einlassungen gegen Elfriede Jelinek jedenfalls, aber den Atem haben sie mir nicht genommen.

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