vonWolfgang Koch 17.02.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die Presseabteilung der österreichischen Verlagsgruppe Styria vergibt nur an eine Schar handverlesener Verlagsfreunde Rezensionsexemplare. Begründung: die dreibändige Hartcoverausgabe von Hermann Nitschs philosophischem Opus magnum sei mit 140,- Euro Verkaufspreis exorbitant teuer geraten.

Macht nichts, schauen wir uns dieses außergewöhnliche Künstlerbuch trotz des unerfreulichen Auftakts näher an. Und was müssen wir da feststellen? Diese Edition ist eine echte Vollkatastrophe: 1186 Seiten Seinsphilosophie in drei Bänden gingen, ohne irgendein nennenswertes Lektorat zu durchlaufen, schnurstracks in die Lavanttaler Druckmaschine.

Man wird gegenwärtig auf dem deutschsprachigen Buchmarkt wohl kein zweites Monumentalwerk mit einer derartigen Fülle von Satzfehlern finden. Nicht einmal die Kapitelüberschriften wurden von einem halben Dutzend Verlagsmitarbeitern sorgfältig gelesen. Entweder war den sechs im Werk angeführten Mitarbeitern der Redaktion – Astrid Göttche, Angelika Herburger, Petra Suchy, Olivia Volpini de Maestri, Theresa Volpini de Maestri, Gabriel Vollmann – der Autor Hermann Nitsch zu wenig katholisch oder dieses Team hat seine Zeit mit lustvolleren Tätigkeiten verbracht.

Es ist ein Jammer: Der kirchennahe österreichische Styria Verlag warf dieses philosophische Großmosaik ohne jede Konzession an die Lesegewohnheiten des Publikums auf den Mark. Das Manuskript ist weder mit Personen- noch mit Stichwortverzeichnis ausgestattet worden, es gibt keine Illustrationen, ja nicht einmal ein Lesebändchen, das den geschmalzenen Preis wenigstens symbolisch gerechtfertigt hätte. Dass die Druckqualität mehr als zu wünschen übrig lässt, braucht nicht eigens erwähnt zu werden.

Was Styria mit dieser Philo-Kassette von Nitsch dem kulturinteressierten Publikum zumutet, ist im Grund ein kulturpolitischer Skandal – dass nämlich ein so schlampig und lieblos produziertes Werk von der öffentlichen Hand auch noch als »kulturell wertvolles Gut« gefördert wird. Konkret sackte Styria eine Kultursubvention vom Land Niederösterreich ein. Ginge es im Verlagsgeschäft halbwegs mit rechten Dingen zu, müsste das Geld augenblicklich wieder in den Steuertopf zurückgezahlt werden.

Es sind nämlich nicht die rührigen, die selbstausbeuterischen Kleinverlage, die zur Verlotterung unserer Buchkultur beitragen – es sind die großen Medienkonzerne wie Styria, die dafür sorgen. Die Content-Haie solcher Häuser haben längst den Kontakt zur Realität ihres Zielpublikums verloren.

Man kann sich die Konferenzen dieser oberschlauen Verlagsleute in Graz gut vorstellen. »Hermann Nitsch«, werden sich die Buchproduzenten der GmbH & Co KG gedacht haben, »hat in den letzten Jahrzehnten schon zwei umfangreiche philosophische Versuche zu seinem Gesamtkunstwerk hervorgebracht. Da wird die kunsthistorische Forschung, schon um den neuen Text mit den älteren zu vergleichen, auf einen dritten Ziegel schwerlich verzichten können«. Der Rest war dann bloß eine Frage, wie viel Chuzpe Verlagsmenschen heute in der Öffentlichkeit besitzen.

© Wolfgang Koch 2010

Hermann Nitsch: Das Sein. Zur Theorie des Orgien Mysterien Theaters. 3 Bd. im Schuber, 1186 Seiten, ISBN 978-3-222-13271-1, Styria Verlag 2009, EUR 140,-

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https://blogs.taz.de/wienblog/2010/02/17/das_sein_von_hermann_nitsch_1/

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kommentare

  • Theoretisch ist das eine gute Story, ich bin mir nur unsicher, ob dies auch dauerhaft realistisch machbar ist!

  • Da fragt man sich beim groben Lesen von blogs.taz.de ja schon, ob man selbst nicht komplett auf den Kopf gefallen ist. Herzlichen Dank für deine Erläuterungen

  • Genialer Artikel, das wollte ich selbst schon immer mal schreiben, wusste aber nicht wie man dies zu Papier bringen konnte 🙂 .

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