vonWolfgang Koch 26.05.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Sie mag eigentlich keine Portraits, sagt die in Amsterdam lebende österreichische Künstlerin Barbara Philipp (www.barbaraphilipp.eu). Das ist merkwürdig. Wenn ein Mediziner keine Füße mag, dann wird er zum Beispiel Augenarzt. Verabscheut eine Leichtmatrosin große Öltanker, dann heuert sie eben auf einem Ausflugsdampfer an.

Beim Künstlervolk ist alles anders: hier geht man den Abneigungen nicht einfach aus dem Weg, wie das jeder normale Mensch tun würde. Die Kreativen nützen selbst ihre Antipathien für den Spannungszustand der schöpferischen Erregung. Für Künstler ist  lebendige Kommunikation das eigentliche Element der Welt. Ihre Empfindungen gelten ihnen als Zeichen für einen Komplex von relativer Stabilität.

Vor diesem Hintergrund hat die erklärte Portrait-Verächterin Barbara Philipp eine erstaunliche Serie von persönlich-unpersönlichen Portraits erarbeitet. Diese sind derzeit unter dem Titel »Besondere Kennzeichen« in der Wiener Galerie Kunst & Handel in der Himmelpfortgasse 22 zu sehen.

Philipp lebt gemeinsam mit einem italienischen Wissenschafter in den Niederlanden; sie spricht mit ihrem Mann Französisch und mit ihrem Kind Deutsch; ihr Mann redet Italienisch mit dem Nachwuchs. Die Freunde und Verwandten der jungen Multikulti-Familie sind naturgemäß über halb Europa verstreut – hier dient Englisch als Verkehrssprache. Und das holländische Idiom benutzt Philipp zum Brotkaufen.

Solche multilingualen Haushalte sind heute unter Akademikern gar nicht mehr so selten. Und wie bei den Migranten der Unterschicht nagt die berühmte Identitätsfrage heimlich wie ein Mäuslein am Speck. Fühlt sich Philipp, die in der Steiermark aufgewachsen ist und in Wien studiert hat, überhaupt noch als Österreicherin? Oder genügt es der Frau, sich als eine moderne EU-Europäerin zu sehen?

In diesem Punkt sind die Künstler wie die Normalsterblichen. Politischen Zuschreibungen genügen ihnen für das emotionale Befinden nicht; auch wenn natürlich jeder vernünftige Menschin seinem tiefsten Inneren weiß, dass allein die ökonomischen Zwänge und die staatsbürgerlichen Freiheiten unserem Leben als strukturbildende Elemente zugrunde liegen …

»Die Frage nach den besonderen Kennzeichen hat mich schon als Kind interessiert«, sagt Philipp. »Das Muttermal links über meinem Bauchnabel ist etwas Besonderes. Ich frage mich immer wieder, ob sie mich wohl eines Tages bei einem Grenzübertritt anhalten und danach fragen werden«.

Zwei Großformate der Ausstellung zeigen Männer im Halbkörperdarstellung, keine durchgearbeiteten Naturstudien, sondern frontal gestellte Rumpfe. Ins Auge springt jeweils, dass den Gesichtern ausgerechnet die Augenpartie fehlt. Sie wurde auf der weißen Leinwand ausgespart. Das verleiht den Portraitierten etwas Geisterhaftes. – Der Mensch als Augentier findet keine Gnade vor dieser Künstlerin. Die sichtbare Welt gilt Philipp nicht mehr als Sinnbild der sinnlichen Welt.

Im Zentrum der Ausstellung steht allerdings eine Bildserie von fernen Freunden, mit denen die moderne Nomadin häufig via Skype konferiert. Als Vorlage für die Portraits dienten beinahe wahllos geschossene Fotos aus den langen Privatgesprächen vor dem Computerschirm. Das Ergebnis: eckig pointiert Gesichter, fast graffiti-mäßig; unverbürgbare Erscheinungen schweben über ruhigem Ankergrund. Diese Potraits sind kleine, ja kleinste Versicherungen gegen die Flüchtigkeit der digitalen Realität.

Um das Ephemere noch zu unterstreichen, hat Philipp jedem Portraitbild eine »Hautbild« im gleichen Format zugeordnet – undekorative Farbakkorde, abstrakte Moosflecke, Dämmerbilder, auf denen sich Farbtupfen in der Art von Muttermalen, verheilten Wunden oder Hautunreinheiten entdecken lassen.

»Muttermale bilden selten gesichtete Landschaften auf der menschlichen Haut«, sagt die Malerin. Sie sieht in ihren abstrakten Arbeiten »Zoom-Ins auf den menschlichen Körper« und stemmt sie bewusst den »Zoom-Outs« der gesendeten und bearbeiteten Skype-Bilder entgegen.

Soweit gehen wir bei dieser Ausstellung gerne und begeistert mit. Barbara Philipp hat hier nach dem schönen Projekt Tasteless im Jahr 2009 wieder etwas überraschend Neues vorgelegt. – Nur bei der Materialwahl wird das Bedeutungsspiel m. E. überzogen.

Müssen denn diese zwittrigen Portraits wirklich mit Muttermilch und Lippenstift gemalt sein? Warum hätten einfache Ölfarbe und Tusche hier nicht genügt? – In dieser Übercodierung des Sinns offenbart sich eine leichte Unsicherheit der Künstlerin. Am hoffungsvollen Gesamteindruck freilich ändert das wenig.

© Wolfgang Koch 2010

 

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https://blogs.taz.de/wienblog/2010/05/26/neue_bilder_von_barbara_philipp_in_wien/

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kommentare

  • Ich mag dieses Artikels Ihrer Website ist sehr schön, vielen Dank, sehr interessanter Artikel, halten es kommenBilder

  • es fehlen mir hierzu die bilder.alles schön geschrieben,aber selbst sehen bringt mir noch mehr,&anderen auch….

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