Seit Monaten geht uns das Strache-Bashing der Linken auf den Wecker. Wir halten das Schwingen der Faschismuskeule für eine untilgbare Grundschwäche der Linken. Oder genauer: Das Moralisieren ist leider die einzige Tugend der kulturellen Linken in Österreich; die politische Linke kann sich ihr gegenüber nur selten durchsetzen.
Viel zu bereitwillig suhlen sich Jugend und Intelligenz hier im Bewusstsein der eigenen Überlegenheit, viel zu blauäugig bastelt man an Feindbildern und Sündenböcken. Schuld an der Ausbeutung der Menschen: entweder der Turbokapitalismus oder der Neoliberalismus, oder beide. Schuld am Ausbleiben der Revolution: die Medien, besonders die Neue Kronenzeitung. Schuld am Leben im Falschen: die Recken der Rechten, vor allem H. C. Strache.
Aus der Perspektive einer lebendigen Demokratie sagen wir: »Eine rechtsliberale Partei hat auch in Österreich eine Existenzberechtigung!« Doch als rechtsliberale Kraft wahrgenommen zu werden, dazu hat die Strache-Partei beinahe keine Chance. Politisch ist dieses Feld durch ÖVP und SPÖ so dicht besetzt wie das Gänsehäufel in der Sommerhitze. Dazu kommt noch der ehemalige Haider-Wahlverein BZÖ, dessen Exponenten ausgerechnet eine österreichische FPD aufbauen wollen.
H. C. Strache mag eine rechtsextreme Vergangenheit haben. Das ist böse! Aber so wie heute eine breite Öffentlichkeit den Ex-Marxisten in der Grünen Alternative ihre Wandlung zu lupenreinen Parlamentariern abkauft, so hat auch Strache irgendwann einmal das Recht als gewandelter Rechter wahrgenommen zu werden.
Allein: die Linke und die Mitte verzeiht dem freiheitlichen Frontmann nichts. Zum Beispiel verzeihen sie ihm nicht, dass der Kerl bei einer Kundgebung gegen den Bau einer Moschee in der äußeren Brigittanau mit dem Religionssymbol des Kreuzes herumgefuchtelt hat. Damit ist für halb Österreich der Beweis eines demagogischen Abgrunds erbracht, für den Strache steht. Der Mann hat den schändliche Versuch einer politischen Indienstnahme der Kirche gewagt – der Erzbischof von Wien musste die christlichen Heilsbotschaft persönlich vor dem Kreuzschwinger in Schutz nehmen. Ein uverbesserlicher Abendlandritter das, ein nichtautorisierter Gestriger, ein Scharlatan!
Das ist bitte alles feinste Wiener Heuchelei: von Christen, von Sozialdemokraten und den anderen. Als im Dezember 1993 Bürgermeister Helmut Zilk bei einem Briefbombenattentat an der linken Hand verletzt wurde, winkte dieser Erzpopulist bei der sofort eingerufenen Pressekonferenz pathetisch mit einem Kreuz in die ORF-Kamera und schwor, sich nicht unterkriegen zu lassen. Politik mit religiösen Symbolen? Aber nein! Damals hat sich kein Proteststurm im Land erhoben, niemand warnte vor der Vereinahmung der Kirche. Eine Verzerrung der christlichen Heilsbotschaft? Iwo, Zilk war doch ein Linker. Niemand runzelte die Stirn.
Daß Strache ein Hetzer sein soll, ein gefährlicher Nationalist, ein Rassist der übelsten Sorte – diese Urteile basieren, wie schon bei Haider, auf einer recht dürftigen Beweislage. Doch ein paar bekloppte Aussagen reichen der Redaktion des ehemaligen Nachrichtenmagazins profil bereits, um zum hundertsten Mal den drohenden Sieg der germanischen Lichtgestalten an die Wand zu mahlen, die verborgene Botschaft der stählernen Romantik, das Feuer des Blutes gegen das Eis der Intellektualität. Genug! Uns stinkt diese endlose Urschreitherapie der Strache-Gegner.
Da erlaubt das Wahlprogramm der »sozialen Heimatpartei«, wie sich die Wiener FPÖ vor dem nächsten Urnengang nennt, schon ein besseres Urteil. Es stimmt natürlich, daß sich das Strachewählen auf der psychologischen, nicht auf der politischen Ebene abspielt. Keiner seiner Anhänger wird ihn je nach einem Strukturprogramm fragen. Die Seelenverfassung, die der Oppositionsführer vorfindet, ist aber von der grundsätzlichen Stellung der Menschen zueinander in einer Gesellschaft geprägt, die ganz auf Betrug aufgebaut ist.
Zum allgemeinen Betrug gehören auch die diffamatorischen Mittel der Strache-Gegner. Die Linke begeht heute erneut den Fehler zu denken, dass sie ein Monopol auf die Kritik der Verhältnisse hat; das war schon bei Haider verhängnisvoll, und das ist es jetzt wieder.
© Wolfgang Koch 2010
Als Liebhaber der deutsche Sprache, die regelmaessig Oesterreich besuchen, sind wir ja seit Jahren dem Wien und Wiener(innen) zugetan. Aber nach dem Lesen Ihres „recht“ freundlichen Kommentars (Wiener Feuilleton 29.07) ist uns jetzt bange. Es bestehe vielleicht gerade dann ein Gefahr, wenn gescheite Leute wie Sie die oede Finsternis von gestern zu vergessen scheinen. Bestem Gruess aus Kanada.