vonWolfgang Koch 29.08.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Im Wiener Wochenend-Feuilleton finden sich immer wieder wertvolle journalistische Artikel, die nicht zur Feuilletonkultur passen. So diese Woche eine informationsreiche Analyse der Stadtentwicklung auf der Donauplatte von Reinhard Seiß im SPEKTRUM, die ein dramatisches Licht auf die heimische Politik vor der Wahl wirft. Solche dringend notwendigen Hintergrundanalysen konnte man vor zehn Jahren noch im Nachrichtenmagazin profil lesen; heute muss das Feuilleton die investigativen Aufgaben des maroden politischen Journalismus in Österreich mit übernehmen.

Als feuilletonfremd werten wir auch eine Apotheose der Leiharbeit in derselben Ausgabe des SPEKTRUMs. Im ALBUM gilt das  für die Titelgesschichte: eine Reportage aus dem Schockraum des Allgemeinen Krankenhauses (AKH), verfasst von der Gesundheitsredakteurin Karin Pollack. Dieser im Krimi-Ton gehaltene Beitrag, in dessen Mittelpunkt der Ex-Gatte einer Ex-Gesundheitsministerin als Auskunftsperson steht, lobt die Sportlichkeit der Unfallmedizin über den Klee und lässt auf zwei vollen Seiten nicht einen einzigen Patienten zu Wort kommen.

Gelungene Feuilleton-Texte glänzen entweder durch freundlichen Realismus in der Sphäre des Durchschnitts-Niedrigen, durch Locker-Geistreiches im Kontakt mit der der Welt der fashionablen Kultur – Ludwig Speidel nannte das »die Unsterblichkeit eines Tages«. Oder sie sie arbeiten am Begriff, bieten Kritisch-Analytisches in essayistischer Form, sie entdecken, dass die Welt sich ändert und haben dafür ein neues Wort. Alles andere gehört ins Hauptblatt einer Zeitung verbannt.

 

1. Platz: SPECTRUM der Tageszeitung »Die Presse«, Redaktion: Karl Woisetschläger

Top der Woche: Elfriede Jelinek publiziert einen Text über Keramikarbeiten des längst verstorbenen Künstlers Kurt Ohnesorg. Das beginnt mit verballhornten Redensarten (»Man muss das Feste feiern, denn wenn es fällt, kann es zerbrechen«), aber steigert sich in der dritten Spalte zur Beobachtung, dass Schönheit eine unheimliche Botschaft an uns weiter reicht. Weil die Schönheit der künstlerischen Objekte gemacht ist und vergänglich bleibt, suggerieren uns die Dinge, dass wir selbst von irgendwoher gekommen sein müssen. Diese Vorstellung eines Höheren der Kunst korrespondieren inhaltlich mit der These des jungen Grazer Germanisten Christopher Ebner (in derselben Ausgabe vorgestellt von Konrad Paul Liessmann), wonach das Dichterwort eine Wirklichkeit sui generis stiftet. Dichtung (und wohl auch die Kunst) stehen in einem Verweiszusammenhang auf das Absolute. Jelinek kontastiert diese Tatsache verspielt und nüchtern zugleich. In ihre Meditation über die Keramikwerke zieht eine deutlich ausgesprochene Todesahnung ein: »Die Schönheit ist nicht weniger als die Möglichkeit von des Schrecklichen Ende«.

Flop der Woche: Der in Wien wirkende Dirk Stermann lebt in AV-Medien bestens von halbkomischer Humorverweigerung, aber wirklich erzählen oder schreiben kann er nicht. Er witzelt und kalauert sich durch die Spalten (»Ewig schade, dass die Mauer fiel, denn jetzt ist überall alles gleich«) und er zehrt berufsmäßig von den gar nicht mehr vorhandenen Deutschen-Klischees der Österreicher. Der dämlichste Satz der Woche findet sich aber nicht bei Stermann, sondern in einem Beitrag von Franz Hammbacher: »Im Wachdienst einzuschlafen ist ein kapitales Vergehen, das verheerende Folgen haben kann: im schlimmsten Fall – siehe Jerusalem, um das Jahr 30 nach unserer Zeitrechnung – eine Kreuzigung und eine neue Weltreligion«. – Wie sagte doch Klaus Happrecht schon in den 1980er-Jahren: »Das Kabarett der mittleren Intelligenzlage gehört zu den Säulen der Wiener Gesellschaft«.

 

2. Platz: EXTRA der »Wiener Zeitung«, Redaktion: Gerald Schmickl

Top der Woche: Das EXTRA bietet je eine breite Würdigung von Wilhelm von Humbolt und Friedrich Schlegel. Unsere Sympathie aber hat ein Prosatext des Kärntner Universitätslehrers Klaus Ratschiller gefunden. Darin fragt sich der Erzähler, ebenfalls ein Lehrer, in einem altmodisch-milden, an Ingeborg Bachmann geschultem Stil wie und warum er Eichendorffs Gedichte an die Schüler vermitteln soll. Das Fantasma der literarischen »Größe« ist diesem Eichendorff-Liebhaber ebenso suspekt wie T. W. Adornos messerscharfe Notate zum Dichter wegen deren exaltiertem Satzbau. Bei Ratschiller findet sich der schönste Satz der Woche: »Als Deutschlehrer steht man mit der Literaturgeschichte im Rücken vor der Klasse, auch wenn das natürlich oft nur die Tafel ist«.

Flop der Woche: Ein Interview mit dem Tanzschulbetreiber Thomas Schäfer-Elmayer. Der Mann vertritt das Prinzip »Schlicht ist elegant« und versteht darunter, an heißen Sommertagen in Anzug und Krawatte durch die Wiener Innenstadt zu hirschen. Schäfer-Elmayer sagt: »Es steht niemanden zu, etwas zu belächeln, das jemand anderem wertvoll ist« – Na und ob! Uns steht es sehr wohl zu, über einen selbsternannte Apostel guter Sitten zu lachen, der nicht einmal die Geschichte der Krawatte kennt. Der Mann behauptet, die ersten dieser Binder seien von Kroaten unter Napoleon in Paris getragen worden – doch die ersten kroatischen Söldner kamen 1660 nach Frankreich und trugen bereits unter Sonnenkönig Ludwig XIV den weißen und geknoteten Stoff als Teil ihrer Tracht. Dass Regeln keineswegs, wie Schäfer-Elmayer behauptet, das Wichtigste im Leben sind, kann man in einem Beitrag des SPEKTRUMs von Günther Luxbacher nachlesen: Verkehrsregeln z. B. impfen Kindern ein, dass sie sich der Technik anzupassen haben – das dauernde Gefühl der Ohnmacht erhöht ihr Unfallrisiko.

 

3. Platz: ALBUM der Tageszeitung »Der Standard«, Redaktion: Christoph Winder

Top der Woche: Gudrun Harrer begutachtet das neue ideologischen Lieblingsspielzeug der Linksliberalen: die Islamfeindlichkeit – ein Begriff, mit dem sich heute jede Kritik an der Kultur des Islam bequem abschmettern lässt. Aber die Züchtigung gemäß islamischen Rechtes, die sogenannten koranischen Strafen, wie jüngst die Steinigung eines Paares im Iran, sind nicht hinzunehmen! Die Scharia ist mit den Menschenrechten nicht im entfernsten zu vereinbaren. Für Harrer ist die Islamophobie »der heute einzige gesellschaftlich geduldete Rassismus« – falsch: auch der Rassismus gegen Schwarze wird immer noch augenzwinkernd toleriert, der gegen Frauen ist sogar strukturell festgeschrieben. Die Autorin diffamiert das natürlich als »Betätigungsfeld unterbeschäftigter Publizisten und vergessener Femministinnen«. Für Frau Harrer, der Orientexpertin der Redaktion, ist Islamfeindlichkeit ein Verhalten einer nichtmuslimischen Gesellschaft gegenüber einer islamischen Minderheit – auch das ist falsch: denn dann dürfte es im indischen Bundesstaat Jammu und Kashmir keine geben; dort stellen Moslems die Mehrheit.

Flop der Woche: Ein Beitrag über die Sommerfrische im kroatischen Opatija von Mirjam Harmtodt, rhetorisch von einmaliger Umständlichkeit. Zitat: »Es war dereinst auch nicht einfach, vom Land ins Wasser zu wechseln, ist doch die Küste von Opatija vor allem eine steinige mit spitzen Felsen«. Dieser patinierte Stil lässt sich durchaus noch steigern: »Flaniert man heute durch Opatija, so darf man sich der Tatsache bewusst sein, dass vor etwa 100 Jahren noch zarte Adelsfüßchen diesen Boden betreten haben«. Na, so was! Kaiserin Sissy benutzte die Sommerfische übrigens »gern auch ohne Kaiser für ihr Liebesleben«, also nicht bloß im flotten Dreier mit Franz-Joseph, sondern auch im Gangbang mit Ruderknechten. – Mal ehrlich, haben Sie das gewusst?

© Wolfgang Koch 2010

 

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