vonWolfgang Koch 31.10.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Man hätte keinen besseren Zeitpunkt wählen können: Während an diesem Wochenende im US-Bundestaat Kalifornien über eine komplette Cannabis-Freigabe abgestimmt wird, ging in der Pyramide Vösendorf die Cultiva 2010 über die Bühne. Die alljährliche Marihuana-Messe ist im heurigen Jahr mit über 100 Ausstellern noch einmal gewaltig angewachsen. Am Hybrid-Charakter der Veranstaltung hat sich freilich nichts geändert.

Neben zwei Dutzend Ausstellern von Nutzhanfprodukten, esoterischen Verlagen und Softdrink-Erfindern beherrschten – wie bereits in den Vorjahren – die Homegrow-Lieferanten das Bild: Seeds und Setzlingaufzucht, Growkammer-Ventilatoren und Dark-Room-Sets, Steinwollwürfel, Düngemittel und Bewurzelungshilfen – alles, was dem Anbau von Hanf zum Zweck der Drogengewinnung dient (auch wenn das der freundliche Disclaimer von Organisator Harry Schubert im Übersichtsplan natürlich bestritt).

Für drei Tage mutierte Vösendorf zum österreichischen Kifferparadies mit Clubbing und Koch-Show, mit Howard Marks-Autogrammstunden, mit halbnacktem Ballerinas und dem chemisch einwandfreien Urinreiniger für die nächste Polizeikontrolle.

Cannabisgenuss ist auch in Österreich illegal. Die Verfolgungsbehörden schauen allerdings in Vösendorf dezent beiseite, weil die Hanfmesse mit einem üppigen Beleitprogramm aus Vorträgen, Workshops und Shows aufwartet.

Im Mittelpunkt stand heuer CAM Austria, eine Arbeitsgemeinschaft von Medizinern und Patienten zur Anerkennung des therapeutischen Potentials von Cannabis. Bei der Podiumsdiskussion am Samstag stellte OMR Dr. Rolf Jens als Vertreter der Ärztekammer die heimische Praxis drastisch zur Schau.

Als unlängst ein Patient, dem das Gericht ausdrücklich Drogenabstinenz verordnet hatte, vom Wiener Mediziner Dr. Kurt Blaas trotzdem ein THC-Präparat erhalten hatte, da genügte die Stellungnahme des behandelnden Arztes und das Gutachten eines Universitätsprofessors, um das Vergehen gegen das Suchtmittelgesetz wieder aus der Welt zu schaffen.

»Eine typisch österreichische Lösung«, nannte das Jens sichtlich zufrieden. Auch für Dr. Mag. Hans-Otto Schmidt, Vertreter der Rechtsanwaltskammer, bot das Suchtmittelgesetz genügend Interpretationspielraum für die THC-Medikation. In Wien, betonte Schmidt, werde die zukünftige rotgrüne Koalition auch ein neues Bewusstsein in der Drogenpolitik nach sich ziehen.

Cannabis sativa L. wird von österreichischen Ärzten in Form von Dronabinol verabreicht. Grosse Hoffnungen setzten die Fachleute auf das von Chemiker Peter Rausch vorgestellte wasserlösliche THC. Ärzte, so lautete ein stark akklamierter Vorschlag, sollten bei ihren Patienten in den Wartezimmern für die Anerkennung von Hanfplanzenextrakten werben.

Als größte Gefahr für eine Kampagne nach kalifornischem Muster, wo seit 1996 nicht weniger als 400.000 Therapiekarten vergeben wurden, wurde am CAM-Kongress die für April 2011 zu erwartrnde EU-Pflanzendirektive angesehen. Eine Gleichstellung der Hanfmedizin mit anderen pharmakologischen Produkten könnte die Bewegung um Jahre zurückwerfen, da dann erst langwierige und teure Testreihen gestartet werden müssten.

Kritische Töne kamen auf dem Kongress nur von Prof. Dr. Rudolf Brenneisen. Der Pharmakologe der Universität Bern, der soeben eine Studie zu Cannabis als Dopingmittel veröffentlicht hat, kritisierte die gezielte Vermengung von Freizeitkonsum mit Cannabis als Medizin. Brenneisen verlangt eine seriöse Trennung der Themen. Medizin- und Nutzhanf würden auf Messen wie der Cultiva 2010 von der Homegrow-Industrie für ihre kommerziellen Zwecke vereinnahmt.

Die Mehrheit der Diskutanten und das Auditorium zeigten sich einig darin, dass die Legalisierung der Freizeitdroge mit den emotionalen Bildern von bedürftigen Patienten medial voran getrieben werden müsse. – Allein Prof. Brenneisen hielt die Legalisierung der Freizeitdroge für illusorisch. Die Vereinnahmung von THC-Medizin durch die staatlich tolerierte Drogenindustrie schade der guten Sache; der Kampf um den Joint werde jetzt bereits auf dem Rücken von Aids- und Krebspatienten ausgetragen, die Cannabis wirklich bitter nötig hätten.

© Wolfgang Koch 2010

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https://blogs.taz.de/wienblog/2010/10/31/cannabis_als_medizin_in_oesterreich/

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kommentare

  • Vielen Dank für diesen interessanten Artikel.
    Ich persönlich stehe dem Cannabis-Konsum eher skeptisch gegenüber, da ich Cannabis als Mitauslöser einer Psychose im Bekanntenkreis erlebt habe. Aber es gibt andere Menschen, denen es gut tut, wie es scheint. Eine Legalisierung betrachte ich jedoch nicht als verdammenswert, im Gegenteil. Ich finde die vier Konzepte von Stephan Quensel interessant und noch immer aktuell, wie sich eine Legalisierung stufenweise realisieren lassen könnte (in: Scheerer und Vogt, l989). Online hier nachzulesen (am Ende des 6. Kapitels): http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/96392.html#inside

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