vonWolfgang Koch 05.02.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Während der sozialdemokratische Verteidigungsminister Norbert DARABOS gerade die größte österreichische Heeresreform seit der Auflösung der k.u.k. Armee vermurkste, und während sich die ägyptischen Regimegegner am Tahrir-Platz in Kairo die Köpfe blutig schlagen ließen, versammelten sich diese Woche im Sitzungssaal der SPÖ Wien die sozialdemokratischen Buddhisten, um über den Wirklichkeitsbegriff der modernen Physik zu beraten.

Die Wahl des Themas – die Vereinbarkeit von Buddhismus und Quantentheorie – besaß mitten in dem brisanten Wochengeschehen soviel Chuzpe, dass sie uns automatisch wie der Ausdruck einer höherer Klarheit erscheinen musste, und so widmen wir der Gruppe Red Buddha gerne unsere Aufmerksamkeit.

Warum ging es? Der deutsche Wissenschaftshistoriker Christian Th. KOHL hat 2009 eine Studie vorgelegt, in der er nach den ontologischen Postulaten der Quantentheorie fragt. Seine spannende These: die exakten Wissenschaften würden heute so häufig auf unüberwindliche erkenntnistheoretische Hürden stoßen, weil sie insgesamt auf unreflektierten metaphysischen Konzepten beruhen.

Speziell was das Zweikomponenten-System in der Elementarteilchenphysik betrifft, also die Tatsache, dass sich wellenmechanische und teilchenphysikalische Eigenschaften von Elektronen zugleich beobachten lassen, könnte mit dem logischen Urteilsvierkant des buddhistischen Philosophen NĀGĀRJUNA weit besser verstanden werden als mit den substanziellen Begriffen der reduktionistischen Wissenschaftsmethode.

NĀGĀRJUNA erkannte, vermutlich im 3. Jahrhundert, die Welt als ein Gewebe von Aporien, das wir ein Leben lang bis zum Tode durchleben, ohne das der Mann das Gewebe mit einem Gewaltstreich dogmatisch durchschlug. NĀGĀRJUNA, Lieblingsautor des aktuellen Dalai Lamas, weigerte sich in der Art seiner Vorgänger eine Leerheit zu hypostasieren. In NĀGĀRJUNAs Denkmodell fallen Abhängigkeit und Substanzlosigkeit vollkommen zusammen.

Von der skeptischer Zurückweisung der vier extremen Wirklichkeitsbegriffe, wie sie der buddhistische Philosoph im Tetralemma vornahm, könnte die Analysen von Kraftfeldern und Quantenobjekten heute profitieren. – Das leuchtete den 28 in der Löwelstraße versammelten roten Buddhisten – vom Gemeinderat über die Systemtherapeutin bis hin zum sozialdemokratischen Biker – bald ein.

Der vortragende Physiker, Florian HINTERSCHUSTER, beschränkte sein Referat darum auf die Erklärung von wissenschaftlichen Problemen: Interferenzmodell, Schrödingers Katze, Teleportation, etc. Nach einer Stunde brachte der gemütliche Biker das gebotene Fachwissen auf die begabte Frage: »Rein theoretisch existieren mir also nur in unserer Vorstellung?«.

Andere Diskutanten warfen sich schützend vor die Ideen des Holismus oder mahnten das Tao ein. Allein dem Physiker erschien genug innere Kohärenz seines Fachs gegeben, er wies die wohlmeinenden Anregungen zur Aufdeckung apriorischer Annahmen und verborgener Parameter zurück. Der Quantenphysikalismus besitze ein für seine Meßzwecke ausreichende philosophische Grundlage.

Damit war ein weiterer Beweis für das Schicksal erbracht, dem das Buch seit seinem Erscheinen ausgeliefert ist. Während nämlich KOHLs Thesen unter italienischen Physikern wie Enzo BONACCI und Carlo ROVELLI auf fruchtbaren Boden fallen, verhallen die Herausforderungen der östlichen Philosopheme unter Wissenschaftern im deutschen Sprachraum praktisch ungehört.

Gegen NĀGĀRJUNAs Postulat eines schwebenden Erkenntniszustandes lässt sich philosophisch einiges einwenden. So ignorierte er im Tetralemma alle über die vier Satzglieder hinausgehenden Möglichkeiten, etwa das alle vier Positionen zugleich und auch das nicht gelten könnte. Die Aussage, dass etwas existiert, verknüpfte NĀGĀRJUNA mit der Vorstellung von ewiger Dauer; in der Tatsache, dass etwas nicht existiert, erkannte er das große Aufhören der Dinge.

Das sehen wir in der abendländischen Tradition anders. Aristoteles verlegte im IV. Buch der Metaphysik das Werden/Vergehen in das »zugleich« der 3. und 4. Position, also in die Vereinigung der Gegensätze und in das Neutrum.

Gegen KOHLs Buch »Buddhismus und Quantenphysik« (Verlag Windpferd) lässt sich einwenden, dass es redundant geschrieben ist und sich manche der Aussagen gegen die klugen Intentionen des Autors selbst wenden. So ruft KOHL auf Seite 110 unmotiviert nach »spirituell erleuchteten Gesprächspartnern NĀGĀRJUNAs im Westen« und erweist damit dem Projekt einer vergleichenden Philosophie einen Bärendienst.

Worauf sich nämlich die modernen Naturwissenschaften mit NĀGĀRJUNA zuallererst verständigen könnten, das ist die streng deduktive Methode der Theoriebildung. Sie löst die Beweisführung des buddhistischen Meisters aus jedem religiösen Kontext.

Der Anfang jedenfalls ist gemacht; eine lohnende Diskussion wartete auf eine ernsthafte Fortsetzung. Dass die Brisanz des anspruchsvollen Themas in Wien ausgerechnet von einem Häuflein politischer Menschen erkannt wird, das spricht zuletzt auch für die Proteste am Tahrir-Platz, und gegen die Pharaonen.

© Wolfgang Koch 2011

Red Buddha  http://www.redbuddha.at/ ..

Enzo Bonacci http://grassi.deltaeffe.it/images/modulistica/archivio/fisica/Relativita%20Vs%20Meccanica%20Quantistica%20Prof%20Bonacci.pdf

Carlo Rovelli http://plato.stanford.edu/entries/qm-relational/

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