vonWolfgang Koch 08.04.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Blogserie, Teil 6, gewidmet der »Falter«-Redaktion

6- STEPHAN GRIGAT

Jeder antideutsche Deutsche hat ein Vaterland. Österreich wäre nach der Niederlage von Königgrätz 1866 prädestiniert dafür gewesen, hat diesen Bonus im Dritten Reich aber unwiederbringlich verspielt. Wenn der antideutsche Deutsche heute in Wien lebt, setzt er sich – nach dem Vorbild des kommunistischen Bahamas-Redakteurs Justus Wertmüller – für eine »bedingungslose Solidarität« mit Israel ein.

Stephan Grigat ist ein intimer Kenner des Autonomenmilieus und seiner Diskurse, im alten Rom hätte er gewiss nachts das kalte Messer in Cäsars Brust gesetzt. Im Wien des 21. Jahrhunderts greift er klugerweise zur PC-Tastatur und hat sich so mit viel Fleiß in den letzten Jahren zu einem gefragten Kommentator des friedlosen Nahostgeschehens gemausert.

Grigat lehrt politische Wissenschaften an der Universität Wien; er ist kein Marxist in Zapfenstreich-Manier, sondern versucht auch dem situationistischen Ansatz zur Gesellschaftskritik etwas abzugewinnen. Politisch steht er kompromisslos bis zur Selbstaufgabe auf der Seite des Zionismus; seine Islamkritik sucht stets nach subkutanen Kontinuitäten zum Nationalsozialismus und dem Hitler-Regime. Grigat nimmt gnadenlos jedes Appeasement gegenüber den Protagonisten »des djihadistischen Vernichtungsantisemitismus«, wie er sich seit den Anschlägen auf das World Trade Centre 2001 artikuliert, ins Visier.

Der dazugehörige Stand auf der österreichischen Meinungsbörse ist mit Café Critique überschrieben; unter diesem Label organisiert Grigat Kongresse, Kundgebungen und produziert Sendungen für freie Radios.

Die Initiative ist vor zehn Jahren aus einer Abspaltung des Kritischen Kreises um Franz Schandl hervorgegangen (siehe Teil 8). – »Bankrotterklärung« und »Aufklärungsverrat der Linken« riefen damals ein paar erschrockene AktvistInnen antifaschistischer Gruppen. Sie haben die Reaktion ihrer palästinenserfreundlichen Genossen auf das Massaker vom 11. September als moralisch inadäquat empfunden.

Grigat führt seither das Wort in der antideutschen Politfraktion der Alpenrepublik – … ein sehr komplizierter Begriff übrigens, da Antideutsche unter »deutsch« eine spezifische Form kapitalistischer Vergesellschaftung verstehen, die bestimmte autoritäre Sozialcharaktere hervorbringt. Selbst wenn man der theoretischen Behauptung zu folgen vermag, dass in Deutschland und Österreich ein besonderes Verhältnis von Staat und Gesellschaft existiert, das letztlich zur Shoah führen musste, so wird man die inflationäre Anwendung des Begriffs doch als Bizzarie empfinden.

Für Café Critique operieren selbst Muslime im »deutschen« Sinn, Stichwort: »Ummasozialismus«. Antideutsche AutorInnen kritisieren Islamisten und Dijhadisten als »deutsche Ideologen« u. hantieren mit so krass unhistorischen Termen wie »islamischer Nazis«. Da in dieser rigorosen Position immer auch eine Nebenlinie gegen den linken Mainstream und den Mulikulturalismus mitläuft, hat sich der »Iran-Experte« Grigat ein Gastrecht in einer Reihe von überregionalen Blättern erworben: Die Presse, Der Tagespiegel, Wiener Zeitung, Der Standard. 

Grigat erklärt auf den Kommentarseiten dieser Medien z. B., wer mit den Iran handelt, unterstütze den Plan zum Judenmord der Zukunft und den Krieg gegen Israel durch die Hamas und die Hisbollah. Mit konsequenten Sanktionen könnte der Westen das Nuklearprogramm des iranischen Regimes entscheidend verzögern.

»Deutschland, die fromme Kinderstube«, notierte einst Heinrich Heine, »ist keine römische Mördergrube«. Die Mediokratie kennt das Dilemma; darum dürfen auf ihrer Bühne die Antideutschen pubizistisch den Brutus geben. Der Weg dieser Linksintelligenz hat in den letzten Jahren vom Furor teutonicus zum Furor muselmanicus geführt, und zu den seltsamsten Schulterschlüssen mit rechten Islamophobikern. Dass aber dieser Politizismus seine Vertreter zu einer extremistischen Agitationssekte herabsinken lassen wurde, diese Ansicht hat sich bisher nicht bewahrheitet.

»Jede Lehre, die einen absurden Teil enthält, ist selbst absurd«. So einfach, wie Vilfredo Pareto die Irrläufer seiner Zeit auseinander hielt, ist das heute nicht mehr. Mit dem Absurditätsvorwurf wäre nur dann ein negatives Urteil über die Verächter der Plastiknationsfähnchen zu sprechen, wenn das Antideutschtum nicht auch logisch-experimentell wäre und damit neue Chancen für unser Denken eröffnet.

Ob der Antideutsche letztlich für linke Borniertheit und Manichäismus steht, für wundergläubiges Hoffen oder eben doch für einen radikalen Lebenslauf – das wird die Zukunft erweisen. Im Augenblick lässt sich nur sagen, dass Grigat wie kein zweiter Autor in Wien außenpolitische Debatten in Schwung bringt: ob es nun um das Engagement der OMV in blutigen Diktaturen geht oder um die Lage der Homosexuellen im Iran. Dieser Publizist kuriert bürgerliche Kommentarseiten von ihrer gähnenden Langeweile.

Keine von Grigats Positionen wird in Österreichs mit Jubel aufgenommen. Als klassenkämpferischem Konstitutionsfreund ist ihm nicht recht zu trauen. Wenn wir aber sein publizistisches Werk von der fruchtbaren Seite her betrachten, findet sich kein besserer Name als »heiliger Tor« für ihn.

© Wolfgang Koch 2011

http://www.cafecritique.priv.at

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