vonWolfgang Koch 05.06.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Angenommen, Sie sind das Mitglied einer moslemischen Familie. Eines Tages läutet es an der Wohnungstür und Ihr österreichischer Nachbar begehrt lautstark Einlass. Der Mann hat auch gleich seine Ehefrau mitgebracht. Was soll das? Sie sind verblüfft, sie treten nur widerwillig zur Seite, das Ehepaar stampft mit Straßenschuhen ins Wohnzimmer und durch alle übrigen Räume. Der Mann kickt im Weg stehende Stühle mit dem Fuß zur Seite, reißt Schubladen und Kästen auf. Die Eindringlinge mustern Ihre privaten Besitztümer.

Soll man um Hilfe schreien? Nach der Polizei rufen? – Zwecklos, ein Polizist ist gleich mitgekommen und versichert, dass das alles seine schönste Ordnung hat. Die bösen Nachbarn fahren Ihre verängstigten Kinder mit harschen Worten an: »G’sindl!«, »G’schrappn!« Die Frau zeigt auf einen Pelz, den sie haben will. Schließlich ziehen die netten Österreicher damit und mit zwei Bratpfannen aus der Küche ab, rufen am Gang noch paar Mal kräftig »Moslempack!« und »Terroristen!« über die Schulter, verschwinden dann mit der Beute in der eigenen Wohnung.

»Undenkbar! Unwürdig! Absurd!«, sagen Sie. – Gewiss, das ist es. Doch genau so eine Entrüstungskomödie von Mehrheitsvertretern hat sich im November 1938 hundertfach in jüdischen Wiener Haushalten abgespielt. Ein entfesselter Mob aus eingefleischten NSDAPlern, aus scheinheiligen Nachbarn und bierlaunigen Ulkern, aus fanatisierten Passanten und lynchfreudigen Mitläufern drang in das Privateste ihrer jüdischen Nachbarn vor, um die seit Monaten auch offiziell zu »Untermenschen« erklärten Mitbürger zu beschimpften, zu drangsalieren und durch den Diebstahl von wertvollem Hausrat zu erniedrigen.

Der heute 83jährige, in New York lebende Robert Roper berichtet von solchen Überfällen in der sogenannten Kristallnacht. Fremde Zivilisten forderten speziell in der Leopoldstadt Juden auf, Schmuck und Geld herauszurücken. »Sie brachten auch ihre Frauen mit, die für sie interessante Dinge, z. B. Schüssel, Pfannen, Kleider und Pelzmäntel, mitnehmen sollten. Auch ein Polizist war anwesend, der das Geschehen überwachte«. Und dieser Wachmann, so erinnert sich Roper, tätschelte schließlich sogar seinem kleinen Bruder auf die Schulter, um das Kind zu beruhigen. – So freundlich waren die Behörden einmal.

[Die Geschichte stammt aus dem von Karin Cerha und Christopher Treiblmayer herausgebenen Dokumentationsband »Weggewiesen 1938«, der sich mit dem Schicksal jüdischer SchülerInnen am Realgymnasium Wien 7 beschäftigt, Löcker Verlag 2010. Das bemerkenswerte Projekt zur Aufarbeitung der Zeitgeschichtet wird auch auf der Schulhomepage www.brg7.at dokumentiert.]

»Ja, aber die Lage der Juden 1938 lässt sich doch nicht mit der Lage der Moslem von heute vergleichen«, sagen Sie. – Nicht im Detail, das stimmt, wohl aber, was die generelle Schieflage zwischen Gruppen der Wiener Bevölkerung betrifft. 1938 waren 180.000 Juden in Wien wohnhaft; 120.000 Menschen (7,8 %) bezeichnen sich heute als Muslime – das sind also zwei annähernd gleich starke Gruppen.

Es kursieren heute keine Ritualmordlegenden mehr, aber immerhin gibt es diesen unsäglichen südsteirische Pfarrer Karl Tropper, der dem Islam eine »mörderische Gottesvorstellung« unterschiebt. Mehr noch leidet der Alltag der Moslems freilich unter dem privat erhobenen Pauschalverdacht des Jihadismus – also daran, dass jeder Moscheebesucher ein potentieller Fanatiker sei, jede Kopftuchträgerin eine von einem sexbesessenen Mann unterjochte Frau, dass sich Moslems ihre Fixierung auf Sexualität nicht einzugestehen vermögen, u. ä. Vorurteile mehr.

Moslemische Migranten stehen in ganz Europa unter dem Generalverdacht, in ihrem Gastland nur eine materielle Ernte einfahren zu wollen, um bei erster Gelegenheit wieder in ihre Herkunftsländer zu verschwinden. Da ist Wien nichts Besonderes. Dass wir hingegen in dieser Stadt nur ein einzige Moschee haben, die nach religiösen Grundsätzen diese Bezeichnung auch verdient (in ganz Österreich sind es zwei), das deutet schon stärker auf die an den Juden aktenkundig gewordenen sadistischen Züge des Wieners hin.

Moslems bekommen heute täglich in Wien zu hören, dass sie Deutsch lernen, sich in die Mehrheitsgesellschaft integrieren und ihre unzeitgemäßen Bräuche ablegen sollen. Ich erinnere daran, dass selbst der großen jüdische Schriftsteller Karl Kraus, einer der intelligentesten Köpfe, die diese Stadt hervorgebracht hat, den Seinen die Integration wärmsten anempfahl. Nicht etwa 1938 – sondern bereits 1899, also 39 Jahre davor propagierte er das Lebensmotto: »Durch Auflösung zur Erlösung!«

Nach Kraus’ Ansicht drohten im 20. Jahrhundert »Excesse ärgster Art«, die dann ja auch eingetreten sind. Zur Jahrhundertwende meinte er, dass das Volk, das für alle Übel in der Welt verantwortlich gemacht werde, sich nur durch »mutiges Säubern in den eigenen Reihen« schützen könne. Damit waren die im 19. Jahrhundert aus Osteuropa zugewandeten Traditionalisten und Orthodoxen gemeint, die in den Österreichern ein »latentes Fremdheitsgefühl« erzeugten. Gegen die antisemitische Presse der Lueger-Zeit würden die Gutmenschen niemals ankommen, meinte Kraus. Darum müsste der Klügere in diesem Konflikt eben nachgeben und die eigenen Identität verändern.

Solche Empfehlungen zur umfassenden Selbstverleugung der Moslems sind heute tägliches Brot der Stadtgespräche. Verschwörungstheorien, Misstrauen gegen eine Minorität, politische Feindseligkeit der FPÖ, humanitätsprotzende Berufungen auf der Gegenseite … Seltsam, wie fern uns die Konstellationen von 1938 sind, wie verwechselbar aber schon wieder die von 1899.

© Wolfgang Koch 2011

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