vonWolfgang Koch 27.01.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Was macht Robert Sommer eigentlich so zuversichtlich, das sich die gerechtere Gesellschaftsordnung durch einen Aufstand herbeiführen lässt? Die erbärmlichen Riots in Frankreich gegen Autobesitzer in den Vororten? Die Plünderungen in England, die 2011 zu noch mehr Überwachungsstaat und berittener Polizei geführt haben? Die brandschatzenden Proteste gegen Sparpakete bei den Staatsausgaben in Griechenland, wo sich Anarchisten und Steuerhinterzieher in der Ablehnung des Staates hundertprozentig einig sind?

 

Was lässt den Sozialreformer an der revolutionären Phraseologie festhalten? Die Arabellion in den islamischen Mittelmeerländern, die Demokratie nirgendwo mit Wohlstand zu verbinden vermag, und also von Beginn an zum Scheitern verurteilt war? Robert Sommer will »Wien zum Tahrir-Platz« machen. Jeder Sieg einer Revolution, sagt er, sei eine große Verblüffung.

 

Wer selbst nie diesen Traum geträumt hat, werfe den ersten Stein. Sommer ist fasziniert von den Gebrüdern Berrigan, die in den 1960ern zu den »Ten Most Wanted« des FBI gehörten, weil sie »Gewalt gegen Sachen« zum taktischen und praktischen Prinzip ihres Kampfes gegen Vietnamkrieg und Atomgefahr erhoben haben.

 

Ein seltsamer Retro-Traum. Er gaukelt dem Leser die Wiederkehr eines alten Revolutions-Glamours vor, den der Autor kaum zu bezahlen bereit sein wird. Zwar romantisiert Sommer die Armen von Wien nicht. »Auf zehn Fromme«, sagt er ernüchtert über das Augustin-Volk, »kommt ein Widerstandsgeist«.

 

Über die richtige Linie der nächsten Volkserhebung aber sollen nicht mehr Parteifunktionäre befinden können. Was Sommer verlangt ist, dass sich die linke Gesellschaftsveränderer politisch und sozial integral verhalten, dass sie die Berührungsängste zu Menschen aus dem Elend überwinden.

 

Der Schriftsteller Peter A. Krobath, eine weitere Wiener Instanz ins Sachen Sozialrebellion, nennt Sommer »einen geläuterten KPler«. Tatsächlich hat sich der ehemalige Volksstimme-Redakteur 1990 in dem Moment von der kommunistischen Publizistik ab- und der weniger höflichen Armenrevolte zugewandt, als der »rote Osten« des Marxismus-Leninismus im Orkus der Geschichte versank.

 

Nach Sommer sind die realsozialistischen Staaten Europas nicht vom überlegenen Marketingkapitalismus des Westens niedergerungen worden, sondern an den inneren Widersprüchen der marxistischen Ideologie gescheitert.

 

Eine interessante These, da sie uns erlaubt, Sommer mit seinen eigenen Waffen zu kritisieren. Denn, wenn das stimmt, dass die kommunistische Staatenwelt an ihren eigenen Widersprüchen – dem Fehlen der versprochenen Freiheit, dem durchdringenden Produktivitätsethos, der Ideologie der Arbeitsamkeit, der Planwirtschaft, dem Totalitarismus, etc. – zerbrochen ist, dann könnten im Umkehrschluss ja auch die Widersprüche der gegenwärtigen Linken für das Ausbleiben der Revolte in unseren Breiten verantwortlich sein.

 

Woran krankt die entschlossene Linke? Sommer feiert ihre Widersprüchlichkeit am Beispiel des im Vorjahr verstorbenen linksgrünen Intellektuellen Dieter Schrage, der zugleich a) die kämpferische Selbstbehauptung von gewerkschaftlicher Organisation der Arbeitlosen verteidigte und b) das Hohelied auf die Faulheit des Menschen sang, also gewissermaßen Karl Marx mit seinem Schwiegersohn, dem kubanischen Arzt Paul Lafargue (»Recht auf Faulheit«), vereinen wollte.

 

Zweites Beispiel. Sommer lobt den Kunstvermittler Schrage, weil dieser rassistische »Neger raus«-Graffities als einen abstrakten »Aufstand der Zeichen« im Sinn von Jean Baudrillard verteidigte.

 

Vielleicht ist es gerade diese hochtourige Unentschiedenheit zwischen zukunftsgläubigem Klassenkampf und schlaraffischer Selbstaneignung, zwischen akademischem Romantizismus und Haltungzeigen auf der Straße, mit der die radikale Linke heute ihrem eigenen Erfolg im Weg steht.

 

Robert Sommer hält einem Revolutionsmystizismus die Stange, dem die politischen Kategorien von Rechtsstaat und Konsens ein ewiges Rätsel bleiben. Der intellektuelle Einsatz für Randgruppen ist ja seit jeher eine Remixmaschine mit einem unzuverlässigen Motor. Seine horizontale Eschatologie setzt voraus, dass der Mensch gut sei und sich alle Probleme der Gegenwart in freier Übereinkunft lösen lassen.

 

Ich hingegen plädiere für eine politische Linke, welche die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung nicht einfach als »Unsicherheitsdiskurs« diffamiert und das teuflische Feld den Rechten überlässt. Ich halte die Position für vollkommen falsch, dass allein die Destabilisierung der Verhältnisse Gerechtigkeit herbeiführen kann.

 

Gott behüte Wien vor blutigen Zuständen wie am Tahrir-Platz! Es ist unpolitisch zu sagen, die repräsentative Demokratie biete den BürgerInnen nur das medienvermittelte Trugbild einer falschen Wahl.

 

Ja, die gegenwärtige Welt ist ungerecht und unmündig machend – keine Frage. Aber sie als »eine Art Gesamtgefängnis« zu denunzieren, und einen Ausbruch daraus ins arbeitsfreie Wohlleben für möglich zu erklären, das heißt doch nur ein weiteres Machbarkeitsversprechen abzugeben und im Paradies der Tagediebe über »die da oben« zu maulen.

 

© Wolfgang Koch 2012

 

Robert Sommer: Wie bleibt der Rand am Rand. Reportagen vom Alltag der Repression und Exklusion. 178 Seiten. Wien 2011: Mandelbaum Verlag, 9.90 EUR

 

http://www.mandelbaum.de/

http://kritikundutopie.net/

http://www.augustin.or.at/

 

 

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