vonWolfgang Koch 16.02.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Ein Geisteskrankheit hat unsere Welt befallen: die Herrschaft der bunten Gratisnichtigkeiten, aufgestapelt in jeder U-Bahn-Station, ausgehängt auf der Straße zur freien Entnahme an Sonn- und Feiertagen, stündlich, ja minütlich online aktualisiert, … und man muss sich erst stundenlang müde laufen, um noch geheimnisvolle Namen auf den Straßenschildern Wiens zu entdecken.

 

Diesen historischen Tiefstand des Humors und der Fantasie, diese Färbung und Formung der Welt mit geräuschvollen Sendungen von Nichts immer schwerer an seiner Schreibtischkante ertragend verstarb letzte Woche der österreichische Lyriker und Begründer der ersten europäischen Poetenschule Christian Ide Hintze im 59. Lebensjahr.

 

Als mir Ide zum ersten Mal begegnete, überrasche er mich mit dem ehrlichen Wunsch, die Sätze eines seiner Manuskripte verbessert sehen zu wollen. Das war in der linksintellektuellen Redaktion, der ich Ende der 1980er-Jahre angehörte, alles andere als selbstverständlich. Jeder noch so kleine Autor und jede noch so kleine Autorin der Wochenzeitschrift Falter schien die Weisheit des Ausdrucks mit den Löffeln gefressen zu haben und wollte sich von einem Redakteur nichts erzählen lassen.

 

In den Kabäuschen der Marc-Aurel-Straße herrschte gewöhnlich ein elitärer Dezisionismus. Nicht so beim Zettelpoeten und Performer Ide Hintze, der unter seinem Strickkäppi keine seiner Unsicherheiten hinwegblitze. Der Mast seines Schiffes schaukelte, und er sollte schaukeln, bevor das Gefährt ins Azur der Multi-Media-Kunst hinausstach.

 

Wie alles, was absolut schön ist, erzwingt die Dichtung sich beim Publikum Bewunderung. Sie tut das in wegwerfenden Gesten gegenüber der überkommenen Kultur und am liebsten durch Leute wie Hintze, die nicht dabei erröten, den Stolz auf ihre eigene originelle Persönlichkeit gleich an die Verehrung der Literatur mit dranzuhängen.

 

Hintzes unangenehme Seiten waren es, dass er sofort an jedem unbarmherzig das Maß nahmen, wie er seiner poetizistischen Ausfahrt wohl dienen konnte, und dass er sofort willig die große Gestenschau vor einem Publikum gab, das alles nur in individualistischer Differenzierung versteht und genießt.

 

Ich hatte vor ihm Vietnam bereist; und prompt verdonnerte er mich eines Tages, einen hoch dekorierten vietnamesischen Literaturprofessor durch Wien zu führen (der ehrenwerte Gast aus Hanoi war geradezu körperlich beleidigt, als ich ihn in unser wichtigstes Bauwerk des 20. Jahrhunderts, nämlich Otto Wagners Postsparkasse, hinein führte, und er strahlte erst wieder vor dem Hundertwasser-Bau).

 

Hintze teilte die Menschen um sich herum ein. Das literarische Geschehen lebt von solchen Individualisten und Fantasten, zumal in den letzten Jahrzehnten die blutleere Alte Schmiede und die Subventionsruine des Wiener Literaturhaus dem Nachwuchs den kühnen Blick ins Blaue vollkommen verstellt haben.

 

Ich kann mich an keinen Abend erinnern, an dem Hintze nicht neue Zuhörer und Zuseher für das Narrenspiel seiner Projekte begeistern konnte. Und das war auch bitter notwendig: denn die 1991 gegründete Schule für Dichtung ruhte und ruht ja weitgehend auf der Mitwirkung idealistischer Freiwilliger, also dem Glauben von Laien an die Lern- und Lehrbarkeit von Dichtung.

 

In Wien ist bekanntlich Musik für alle eine Kunst, die Malerei eine Kunst, die Bildhauerei eine Kunst – die Dichtung aber keine mehr. Kein Mensch rühmt sich damit, sich in ihr auszukennen; es gibt keine Literatur-Afficionados wie es Opern- oder Kunst-Afficionados gibt; und bei Buchpräsentationen wird üblicher Weise nicht einmal Gratiswein ausgeschenkt.

 

Hintzes heilsames Verdienst lag darin, den Gegensatz von Literatur und Musik konsequent zu ignorieren, sie unbefangen als zwei Dinge eines Phänomens zu begreifen: nämlich der Idee (»Ides Idee«); – und mit einigem veranstalterischem Geschick auch zu beweisen, dass sie sich gegenseitig praktisch erhellten.

 

Ich weiß nicht, wie oft er mir die Geschichte erzählt hat, dass eines Tages, am Höhepunkt von dessen Weltruhm, der Austro-Rapper Hansi Hölzel alias Falco einfach bei ihm angerufen hat und sagte: »Hearst, Oida, erzähl ma was von Spoken Poetry!«

 

In Wien, wo jeder jeden kennt, wo aber die Kulturproduzenten streng getrennt in Cliquen agieren, und jeder Clan eifersüchtig über seine Pfründe wacht, war eine solche Grenzüberschreitung zwischen U- und E-Kultur tatsächlich ein Wunder. Wie konnte sich denn ein ausgewiesener Popstar in Sapphos neue Werkstatt verirren, ohne dass sich die Spinnenfüße des Verdachts an ihm festkrallten?

 

Für Hintzes intertextuelle Wiener Lässigkeit war diese Begegnung kein Problem, sondern ein Glücksfall. Zum großen anschlußfähigen Gepatchwork fanden sich auch Alan Ginsburg, Anne Waldmann, Blixa Bargeld, Nick Cave, die Spätsurrealisten vom Schlag eines H. C. Artmann, die Experimentellen, die Minimalisten, die Musengeküssten der Konkreten und der Visuellen Poesie bereit.

 

Fremdsprachen, Hofrats- und Ganovenslang, das Augenblicksschwangere, Musikalität, ein Durcheinander der Moleküle, alles war in der Schule für Dichtung möglich. Teilte nicht Hintze, der Dirigent dieses Konzerts, sein eigenes, auf einer kontinuierlichen Zeitschiene abgespultes Werk in sieben Schaffensphasen – in die interaktive, visuelle, infrastrukturelle, literarische, instruktive, akustische und performative Poesie? Waren denn nicht in seinem Eigensten alle Tore geöffnet?

 

Hintze hat übrigens die Kurve zu den Neuen Medien eleganter gekratzt als meisten seiner österreichischen Dichterkollegen. Seine Arbeiten sind im Internet vorbildlich präsentiert und leiden nicht unter dem Versuch, sich selbst zu erklären. Hintzes Webspace ist kein Mumiengrab, sondern konsequent mehrsprachig, ästhetisch ansprechend und benutzerfreundlich gestaltet.

 

Warum frage ich mich jetzt, da er weg ist, wirkte dieser Ausnahme-Lyriker in der Menge oft so ausgesprochen abwesend? Hintze konnte auf einem Mamortischchen des Café Ritter ein Spätnachmittagsschnitzel verschlingen und dabei in die Spalten der Neue Kronenzeitung starren, als wäre das eine Offenbarungsschrift. Er konnte über die Wiesen der Steinhofgründe wandeln und wirkte dabei wie in einem verwirrungstrunkenen Schlaf.

 

Christian Ide Hintze war gewiss unfähig zum geschlossenen Werk, aber sicher nie unfähig, Poesie radikal zu wollen – was mir in einer Welt des Überlebten, in der hinter jedem Europäer eine ganze Ahnenreihe majestätischer Gestalten auftritt, weit wichtiger erscheint, als das Hervorstoßen des jeweils nächsten Artefaktes.

 

Dieser Mann stand für eine in Österreich immer noch sehr embryonale Wahrheit: Wer nur die Kultur liebt, liebt sie nicht wirklich, wohl aber derjenige, der diesen oder jenen bestimmten Laut liebt: »nantzn!«

 

© Wolfgang Koch 2012

 

http://sfd.at/

http://www.ide7fold.net/

 

Foto:: Schule für Dichtung / Andy Urban

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