vonWolfgang Koch 16.06.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wogegen wehrte sich denn die widerspenstige Romanik in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts? Gegen die gotischen Papstanhänger und Kaisergegner, die mit einer neuen Eleganz auftrumpften, hochmütig und feminin. Die zisterziensische Reform wandte sich auch gegen die benediktische Praxis; aus ihr gingen die geistlichen Ritterorden hervor.
 
Eine metaphysische Laison zwischen Sein und Nichts

Walter Seitter meint, mit dem Ausbau des Westwerkes und der darin untergebrachten Herrenempore versuchte das Weltliche eine Art Gleichgewicht zum Sakralen von St. Stephan zu halten. Bis zur zisterziensischen Reform seien die Menschen gewissermaßen als zivile Bürger im Kirchenraum anwesend gewesen, und nicht als untertänige Gläubige.

 

Warum wohl, fragt der Autor, stellen sich Männer bei der katholischen Sonntagsmesse bis heute immer noch ganz hinten auf? Weil, so könnte man sagen, sie damit eine gewisse Distanz anzeigen gegenüber dem religiösen Furor, der das rituelle Geschehen aus der Verfügungsgewalt der Gemeinschaft löst und in die Hände einer Hierarchie von Spezialisten der Schuld- und Verantwortungsumverteilung legt.

 

Das stillschweigende Hintenstehen der Männer wäre nach dieser These der Ausdruck einer kollektiven Erinnerung an die Unterlegenheit in einem historischen Konflikt. Seitter: »Anscheinend konnte sich der romanische Widerstand gegen den gotischen Fortschritt zum vollkommenen, zum reinen Christentum nur so lange halten, wie die Stauffer – in Deutschland, in Italien – an der Macht waren«.

 

Entsprechend sieht Seitter in Friedrich II, dessen Jagdschloß Castel del Monte er im besprochenen Band einen eigenen Beitrag widmet, den Anführer der »reaktionären Romanik«. Dabei geht Seitter in seiner Spekulation so weit, das große Oktogon im Apulischen Pinienwald zu einer Art »Zweitkörperbildung« des Kaisers zu erklären. Dieser Staufferherrscher wusste, was er tat. Sein wildes Theater der Monster, der Trichterportale und der monumental sichtbaren Kronen habe die Kunst der Menschenführung in die Politik eingebracht.

 

Seitter kennt natürlich alle einschlägigen Kennzeichen der Komposit-Architektur (Basilika, Turmwesen, Kreuzung, Empore, Vierungskuppel, Krypta); er insistiert aber besonders auf das romanische Prinzip der harten Fügung von größeren Raumkörpersegmenten wie Quader, Zylinder und Kegel, und er fügt diesem Stilmerkmal noch den »romanischen Individualismus« einer gelegentlichen Abweichung von der Säulenregel hinzu.

 

Etwas einseitig interpretiert er hingegen den »militärischen Charakter« von Türmen. Gerade Turmpaare an der Westfront zu Seiten des Portals erinnern ja an das im alten Orient auftretende Stadttormotiv, das im Hellenismus auf Münzen die Stadt symbolisierte. Sie spielen auf die Hoheit der »Himmlischen Stadt« an, besonders wenn sie, wie im Fall der Stephanskirche, auch noch einen dritten Turm über dem Portal aufgesetzt bekamen.

 

Man könnte sich die kämpferische Wiederkehr der Romanik im 13. Jahrhundert vielleicht so ähnlich vorstellen wie das viel spätere Aufkommen des anglo-chinesichen Gartens in der Revolution der englischen Landschaftskunst.

 

Mit Beginn des 18. Jahrhunderts hatte ein neues Naturgefühl die gezirkelten Anschauungen französischer Gartenarchitekten von den Parketten gefegt und sie durch die Komposition dreidimensionaler Gartenveduten, durch hügelige Landschaftsmodellierung und Staffagearchitekturen ersetzt.

 

Mit Sir William Chambers und seinen »Anti-Brownisten« regte sich aber schon bald ein neues Unbehagen an der geschwungenen Wegeführung, an den beschaulichen Seen mit ihren natürlich wirkenden Uferkonturen, an den weiten Rasenflächen mit idyllischen Baum- und Buschgruppen. Die Anti-Brownisten stellten der Philosophie Lancelot Browns den anglo-chinesischen Garten mit bewusst gegensätzlichen Stimmungsbildern entgegen.

Der Stein konfrontiert uns mit einer unschuldigen Frage / Fotos: W. Koch

In diesem Sinn schlingert die ganze Kulturgeschichte (als Repräsentantin von Lebensformen, von Ansprüchen auf Lebensgenuss, von Wunschdenken und Abwehr des Schuldigwerdenmüssens) zwischen den Extremen hin und her. Sie erscheint uns als eine stürmiche Ausdifferenzierung von Reaktionen und Gegenreaktionen ohne Anfang und Ende.

 

Wir beschreiben auf diesen Weg unsere westliche Kultur als eine offene und pulsierenden Struktur, die stets in der Lage ist, sich selbst zu negieren. Seitters makrogeschichtlicher Ansatz betrachtet politische und soziale Einheiten als unabweislichen Ausdruck von kulturellen Konfigurationen, die mitten in der Ideengeschichte zu suchen sind und doch weit über sie hinausreichen.

 

© Wolfgang Koch 2012

 

 Walter Seitter: Reaktionäre Romanik. Stilwandel und Geopolitik, 139 Seiten, ISBN 978 3 85449 361 7, Wien: Sonderzahl 2012, 18,- EUR

 

TEILE DER SERIE [a-f]:

St. Stephan und das höhere Verlangen des Augenblicks

Was zum Teufel ist »Reaktionäre Romanik«?

Der unvermeidliche Ausflug der Wiener nach Schöngrabern

Makro-Historie am Beispiel der Wiener Stephanskirche

Walter Seitters weltgeschichtliche Wiederaneignung des Westens

Der neuerliche Zeitsprung durch den islamischen Terrorismus

 

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