»Über eine Stunde angespannt im Kino zu sitzen, anderen beim Schreien zuzuhören und selbst im Sitz zu versinken (damit der Mörder mich nicht sieht), ist großartig«. Mit diesem Bekenntnis zum Genuß inszenierter Mordlust wartete die Filmkritikerin Stephanie Gründler in der Wiener Tageszeitung Der Standard auf.
7.000 Besucher konsumierten in nur zehn Kinotagen beim /slash-Filmfestival 2012 alles, was die internationale Angstlust-Produktion derzeit auf dem Gebiet Horror, Slasher und Splatter zu bieten hat: einäugige Monster, kichernde Skelette, vor allem aber gnadenlose Greuel, realistisch gezeigte Sterbensqualen aus der Täterperspektive und Totenschändungen im Gemütszustand von Serienmördern.
Diese Art von Kinounterhaltung kultiviert mit endlosen Gewaltbildern genau jene meditative Versenkung in den Hass, die unweigerlich auf die Vernichtung von Menschenleben zusteuert und diese schließlich auch, bis alle Zweifel ausgelöscht sind, auf der Leinwand vollbringt. Höhepunkt: der entsetzliche Streifen V/H/S von David Bruckner (USA 2012).
Nun vermag ich bei Folterdarstellungen ja durchaus zu unterscheiden. Die sakrifizierte Gewalt des Kreuzes Christi beruht auf dem symbolischen Menschenopfer und lädt den Betrachter zum Mitleid ein. Horrorfilme, Slasher und Splatter aber bedient den scopophilischen Instinkt, das heisst sie übertragen das männliche Vergnügen am eigenen Geschlechtsorgan auf die gnadenlose Anwendung der Mordwaffe.
Vor allen in den blutigen Untergenres des Horrorfilms geht es heute stets um Identifikation mit Tat und Täter; auch wenn uns weibliche Fans wie Gründler weismachen wollen, sie hätten – Schokolade im Mund – eh auch mit den Opfern gelitten.
Es gibt in Deutschland und der Schweiz absolut vernünftige gesetzliche Bestimmungen gegen öffentlich zugängliche Gewaltdarstellungen. Wer »das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt«, heisst es im § 131 des deutschen STGB, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe zu bestrafen.
Österreichs Regierungsvertreter bekräftigen zwar dauernd ihren Anspruch, den Jugendschutz in der Europäischen Union führend mitzugestalten, doch außer im TV-Gesetz sind »grundlose Gewaltdarstellungen« nirgendwo verboten.
Ein dramatischer Mangel an öffentlicher und vorurteilsfreier Debatte in Österreich führt dazu, dass die Mordlust-Industrie heute auch noch fröhlich Kultursubventionen einstreift. Eine Gesellschaft aber, die jede Pornografie des Todes zulässt, eine Kulturlandschaft, die in ihren Filmen foltert, tötet, prügelt und aufhängt, bereitet zum Töten vor und nicht dazu, Gewalt als Übel anzusehen.
© Wolfgang Koch 2012
http://www.youtube.com/watch?v=MmLh4NUu6E4
http://slashfilmfestival.com/partner/
Auch in Fortsetzung meines Kommentars im anderen Blog-Posting: Mit Äußerungen wie diesen
„Nun vermag ich bei Folterdarstellungen ja durchaus zu unterscheiden. Die sakrifizierte Gewalt des Kreuzes Christi beruht auf dem symbolischen Menschenopfer und lädt den Betrachter zum Mitleid ein. Horrorfilme, Slasher und Splatter aber bedient den scopophilischen Instinkt, das heisst sie übertragen das männliche Vergnügen am eigenen Geschlechtsorgan auf die gnadenlose Anwendung der Mordwaffe.“
wirbeln sie doch allenfalls den Staub von seit vielen Jahren zurecht zu den Akten im Keller gelegten Filmtheorien auf. Vor rund 20 Jahren wurde eine heute in den Filmwissenschaften als vollzogen einschätzbare Wende vollzogen, die auf einer genauen Formanalyse der in Frage kommenden Filme beruht. Als zentrale Studie ist Carol Clovers „Men, Women and Chain Saws“ anzusehen, das ich ihnen, auch zur Beruhigung ihres offenbar schwer aufgewühlten Gemüts, gerne ans Herz legen möchte
http://press.princeton.edu/titles/4982.html
Im übrigen ist ihre krause Messer-Phallus-Scopophilie-Assoziation auch nicht im geringsten dazu in der Lage, das in den USA, also im Herkunftsland der maßgeblichen Splatterfilme, beobachtbare Phänomen zu erklären, dass nämlich ein Gutteil des Horrorpublikums weiblich ist und dort deutlich mehr Frauen eine Leidenschaft für Horrorfilme pflegen, als dies im alten Sigmund-Freud-Europa der Fall ist.