Yelp zählt zu den Internet-Plattformen, auf denen anspruchslose Surfer ihre Zeit mit Allerweltinformationen verplempern. Angeblich haben seit der Yelp-Gründung im Juli 2004 in San Francisco Yelp-Autoren mehr als mehr als 36 Millionen Beiträge über lokale Angebote und Geschäfte geschrieben. Ein in Wien ansässiger Yelper nennt sich Stefan T. und hat unter seinen 240 Beiträge auch ein Ranking der Wiener Gotteshäuser zuwege gebracht.
Davon ist wenig bis gar nichts zu halten. Die Auswahl und Bewertung folgt der belanglosen Fährte des Wientourismus, also dem, was der hiesige Touristboard für irgendwie »essentiell« hält. Yelp-Wissen addiert Wegstrecken zu Denkmalkunde und der Statistik der Postkartenverkäufe, und füttert das Publikum so mit lichtlosen Banalitäten. Das Ranking dieser Darstellung lautet:
2. Otto Wagner-Kirche am Steinhof
9. Minoritenkirche – Italienische Nationalkirche Maria Schnee
12. Kirche zur heiligsten Dreifaltigkeit
15. Schottenkirche und Schottenstift
17. Piaristenkirche Maria Treu
20. Griechenkirche zur heiligen Dreifaltigkeit
In Wahrheit würden keine zwei Kirchengeher in Wien dieselben zwanzig Stätten unter den über 800 Gotteshäusern der Stadt auswählen. Die Uninspiriertheit und Lustlosigkeit von Yelp ist umso erstaunlicher, als ja gerade das Internet die Möglichkeit böte, radikal subjektiv oder – im Gegenteil – streng nach überprüfbaren Kriterien vorzugehen.
Kann schon sein, dass es Wienbesucher gibt, denen schnelle, oberflächliche Informationen auf mobilen Plattformen nützlich sind. Wir aber nutzen die heurigen Osterfesttage, um Stefan T. eine anschauliche Liste von Wiener Bedeutsamkeiten entgegenzustemmen und im Folgenden Zugänge zum Absoluten aufzeigen, ohne dass ein Vibrato der Seele angestimmt wird.
1. Demontable Kirche Siemensstrasse
Die nach Plänen von Ottokar Uhl 1964 in Transdanubien errichtete »Seelsorgestation« ist heute eine brutalistische Ruine. Nichts scheint bezeichnender für den Zustand der lokalen Anhänger des »Gesalbten«, als der bauliche Verfall dieser funktionalistischen Fertigbetonkirche, Österreichs fulminanten raum-psychologischem Beitrag zum II. Vatikanischen Konzil unter Papst Johannes XXIII.
2. Edith-Stein-Kapelle
Noch so ein Experiment, das sich mühelos Le Corbusiers Notre-Dame-du-Haut im französischen Ronchamp zur Seite stellen ließe. Sichtbeton, lederbespanntes Stahlrohr, Milchglasscheiben und eine graziöse Madonna in Holz – all das in Rufweite vom neogotischen Wiener Rathauspalast. Die Anwesenheit Gottes geschieht einzig durch die Studentengemeinde.
3. Salvatorkirche am Wienerfeld
Was Architekt Johannes Spalt im 10. Bezirk um Herbert Boeckls koloristisches Alterbild herum ausgesät hat, das umfasst drei Jahrzehnten später die Ernte einer ausgesprochen sympathischen Pfarrgemeinde. Während der Messe gucken die Erwachsenen durch Glas auf die Kleinkinder hinter dem Priester. Die Jugend nächtigt unter der Orgel.
4. Jesuitenkirche
Brachiales Jesuitenbarock des Andrea Pozzo, engelstrompetend und stuckmarmoriert der Innenraum, in dem man heute einen Hermann Nitsch gebären müsste. Die erste Seitenkapelle links ehrt das Allerleifach der Universität, die Philosophie, in Gestalt der mystischen Hochzeit der Hl. Katharina; ein weiteres Joch versteckt das Mädchen Maria, im Halbdunklen Lesen lernend.
5. Maria am Gestade
Inbrünstler, Neomystiker und Evangelikale in der Architekturkulisse des schönsten hochgotischen Sakralbaus zu Wien. Der eigenwillige Knick im Grundriss ist dem einst an der Geländekante verlaufenden Ufer der Donau geschuldet. Napoleons Pferde lagerten hungrig im Inneren; ein Konterfei Draculas ward aufgefunden. Seit 1862 machen die Gebeine des Stadtheiligen Clemens Maria Hofbauer alles wieder gut.
6. Dom- und Metropolitankirche St. Stephan
Versteinerte Stadtgeschichte mit 343 Stufen hinauf in die Türmerstube, in die Katakomben hinunter sind es weniger. Adolf Loos, der Gottseibeiuns der österreichischen Moderne, behauptete 1906, dass die Proportionen des Hauptraumes nur eine halbe Minute für das brauchen, wofür Beethoven mit seinen Symphonien eine halbe Stunde benötigt: mich aufzurichten.
7. Ruprechtskirche
Dass ausgerechnet die älteste und kälteste noch bestehende Kirche Wiens die progressivsten Katholiken in einer Rekoratspfarrei beherbergt, darf als stiller Treppenwitz des Geistlichen Wiens durchgehen. Taizé-Community und Blutwäsche, uneigentliche Rede, Auschwitzgedenken und vakante Schwulenseelsorge: Baiern-Apostel Rupert hat immer noch den Geschmack vom Salz im Mund.
8. Peterskirche
Hoppla, schon wieder Barock! Der gleißende Innenraum stülpt sich wie eine Trockenhaube über Touristen aus aller Herren Länder. Baumusikalisch schmiegen sich die Kleinodien der Wiener Romantiker so perfekt ins Gold- und Rosengekränze der Hosanna-Rufe wie nirgendwo sonst in Wien. Dass häufig eine »Missa trinitatis« aus der Kuppola herabtönt, darf unter Besuchern der Donaustadt als selbstverständlich vorausgesetzt werden.
9. Franziskanerkirche Hl. Hieronymus
Die in gedankliche Irre führende Fassade mit Renaissance-Zitaten beherbergt einen gegenreformatorisch codierten Innenraum mit Antikorgel über, sowie eine ausgedehnte Gruftanlage unter dem Schiff. Die eigentliche Sensation hier sind aber die erzählfreudigen Seitenaltäre mit Triumphbögen, verzückten Heiligen und kunstvoller Stuckdraperie, die halb verbirgt, was sie enthüllt: großes barockes Welttheater.
10. Stanislauskapelle
Dem katholischen Patron der Jugend verdankt sich dieses mit Blumenfresken bemalte und nur sehr selten zugängliche Kleinod, intim wie ein Wäscheschrank. In der Kurrentgasse 2 wohnte einst Stanislaus Kosta. Der polnische Jüngling aus protestantischem Elternhaus wünschte sich nicht sehnlicher, als dem Jesuitenorden beizutreten. Alternative: die besonders marianische Annakirche, in der parfümierter Adel und demütige Bauern einkehren.
11. Bernadikapelle im Heiligenkreuzerhof
Ebenfalls praktisch unzugängliche barocke Opulenz in Silber von Martino Altomonte. Unter Zisterziensern wird religiöser Glaube jeder Widerlegung unzugänglich angesehen; unter demütigen Bettlelmönchen hat es die Vernunft seit jeher besonders schwer, mit eigenen Mitteln die Wahrheit oder Falschheit der Dogmen zu diskutieren. Der Glanz an sich ist widerspruchsfrei.
12. Christus, Hoffnung der Welt – Donaucitykirche
Mit Chromstahl aus der Turbinenproduktion bekleideter Kreuzquader, im Jahr 2000 errichtet nach den Plänen von Heinz Tesar. Verbirgt einen neckischen Ikea-Traum aus hellem Birkenholz vor der Zentrale eines Straßenbaukonzerns und der internationale Fernüberwachung der Atomenergiegewinnung auf der Erde, kurz: vor dem Stahlglas-Geprotze von Kaisermühlen.
13. Wotrubakirche zur Heiligen Dreifaltigkeit
Kubistischer Felsenhaufen ohne Vorne und Hinten, ohne Fassade und Symmetrie. Das transzendentale Subjekt in Mauer ist ein Bauklötzchen, von der Inkarnation in einem heiligen Körper nicht zu trennen. Hier muss einmal ein Aussichtpunkt in die Landschaft gelegen sein, jetzt steht da ein lamentierender Fußblock für Prometheus.
15. Karl-Borromäus-Kirche am Zentralfriedhof
Nicht die gleichfalls mit diesem Zweitnamen belegte »Karlkirche« am Karlsplatz, sondern der im Volksmund »Lueger-Kirche« genannte Friedhofstempel zu Simmering. Vorbildlich renovierter Jugendstilzentralbau im Eigentum der Gemeinde Wien. Dass sich die Kuppel des arabischen Sternenhimmels als Symbol für Unendlichkeit bedient, dürfte der bis ins Untergeschoss hinabstürzenden Lichtkaskade egal sein.
16. Christkönigskirche in Pötzleinsdorf
Stimmungsvolle Endstation der Straßenbahnlinie 41. Bau aus 1963 von Karl Schwanzer, wo die Stadt zunächst in einen Schlosspark mit Freimaurerheiligtum und etwas weiter oben in den Dschungel übergeht. Der sakrale Ernst des Ortes rührt von einem blauen Wunder her, nämlich Arnulf Rainers Glasfensterwand, von welcher der Kunsthistoriker Otmar Rychlik einmal sagte, sie wirke wie »übermaltes Licht«.
17. Rosenkranzkirche in Hetzendorf
Eine simple neuromantische Basilika, bis das schwer kriegsbeschädigte Ungetüm 1956-58 vom Wiener Architektur-Neuerer und Wort-Zertrümmerer Friedrich Achleitner, späterer Archivar der Neigungen und Winkel, einer »purifizierenden Neuinterpretation« des Innenraums unterzogen wurde. Dokument eine der seltenen Sternstunden der Zweiten Moderne in Wien.
18. Maria, Licht der Kirche
Gerade mal einen Steinwurf vom Islamischen Kulturzentrum in der Dammstraße entfernt errichtete 2011 die Fraternität der Kleinen Schwestern vom Lamm, ein armutsbetonter Dominikanerzweig, eilig ein Minikloster in der Brigittenau. Seither kann man im Sakralraum dieser Ordensschachtel jeden Abend Erweckungsauftritte nach dem Motto »Auch wenn ich unverletzt bin, fange ich nicht an zu hassen« erleben.
19. Deutschordenskirche
Errichten Sie mal auf dem Grundriss eines gotischen Längsschiffes einen oval-barocken Raum, in dessen Inneres hinein die Ordensbrüder und -gäste nur ein Fenster ihrer Zelle öffnen müssen, um am liturgischen Geschehen teilzunehmen! Auf eine solch bizarre Idee konnten – an der Mauer des Karfreithofs von St. Stephan – nur sehr weit gereiste Ritter verfallen.
20. Altlerchenfelderkirche zu den Sieben Zufluchten
Gesamtkunstwerklerisches Mekka des Wiener Romantikerkreises, gestaltet aus dem Germanengeist der 1848er-Revolutionsniederlage, der sich allerdings auch in der Dominikanerkirche, der Peterskirche und der Nepomukkirche im Dritten Hieb manifestiert. Hier in Neubau wurden die ständigen Bevormundungen des Hofbaurates so gründlich abgeschüttelt, dass das Beten bis heute mit dem Kunstschönen korreliert.
© Wolfgang Koch 2013
http://www.yelp.at/list/wiener-kirchen-wien