Wolfgang Walkensteiner: What I didn't see in Ukrainian woods, 2013 (3), 200-100 cm / Foto: Walkensteiner Was sind in den letzten Jahren nicht alles für Seltsamkeiten aus Wolfgang Walkensteiners Wunderhorn gepurzelt! Rattenschwänze und Eier, Drachen und Kometen, 2010 sogar das »Schamhaar des Propheten«, das man angesichts von 600 Mädchen und Frauen, die derzeit in Afganistan unter fragwürdigen Vorwürfen in Haft gehalten werden, gerne in Kabul ausgestellt sähe.
Und jetzt auch noch Giraffen im Atelier. Das kommt daher, dass dieser österreichische Künstler mehrdeutige Symbole liebt wie ein alchemistischer Rosenkreutzer. Aber man soll sich aber nicht täuschen: Walkensteiners Hermeneutik liegen keine Spintisierereien, sondern diskusives Denken und Reflexion zugrunde.
In den nächsten Wochen fliegt dieser Werkblock dorthin, wo die Giraffen dank der Schlagfertigkeit des Künstlers geistig herstammen scheinen: in die ukrainischen Metropole Zhitomir. Dort feiert das, vom österreichischen Kunstsammler Erich Golitsch aufgebaute Unternehmen Eurogold Industries LTD seinen zehnjährigen Betriebsbestand mit einem hochkarätigen Ausstellungs- und Bildungsprogramm.
Wolfgang Walkensteiner zeigt in einer Halle der insgesamt 46.000 Quadratmeter umfassenden Fabriksanlage, in der Stehleitern und Bügelbretter für die halbe Welt produziert werden, seine neuesten Temperamalereien, darunter eine Serie von schwebenden Eiern mit Goldglanzeffekt, die Giraffen, ein lila Doppelsignalhorn und viele andere, häufig schwerelos wirkende Fremdkörper in bewegten Welten.
So prudentiell diese Kunst auf den ersten Blick auch wirkt, immer wieder gelingen dem Künstler nahezu tagesaktuelle Bezüge zu Wirklichkeit. One Eye Blind zum Beispiel: über die Leinwand schlängelt sich ein strenger Zopf aus drei grünen Strängen, der nicht von ungefähr an das Prachthaar der ukrainische Oppositionspolitiker Julija Timoschenko erinnert.
Dass der gute Geograph ein Künstler sein sollte, wissen wir seit Karten gezeichnet werden. Dass der gute Künstler ein begeisterter Reisender sein sollte, lässt sich ebenfalls leicht einsehen. Schließlich kann er nirgends besser die negative Fähigkeit erwerben, mit Ungewissheiten, Rätseln und Zweifeln zu leben, ohne gleich nervös nach Fakten und Begründungen zu greifen.
Technisch gesehen wird Walkensteiners Malerei immer flotter. Immer großzügiger zerschneidet er Leinwände und intarsiert Teile von Bild zu Bild. Der Maler spricht von einem »semi-parasitären Charakter des Fremdkörpers« bei diesem Vorgang: »Mit dem Applizieren fremder Teile im Bild überliste ich meinen Hang zum abgestuften Farbauftrag. Es ist der einfachste Weg zu sehen, wie ein Fremdkörper in seinem Umfeld wirkt«.
Manche Bilder zeigen bis zu fünf verschieden Eitempera-Techniken: Farbauftrag mit den Fingern, mit der Bürste oder mit dem Pinsel, mal altmeisterlich getupft, mal großzügig verspritzt. Dieser Katalog der Techniken erinnert mich an den Bildtypus der gemalten Bildergalerie, nur dass sich eben statt der Werke dicht und dekorativ arrangierte Bildteile vor mich hindrängen.
Dass Giraffen von Österreich in die Ukraine importiert werden müssen, und nicht umgekehrt, das lässt sich übrigens statistisch belegen. Am 6. Juni 2009 hat der norwegische Designer Ola Helland mit seinem Freund Jørgen die fantatische Wette abgeschlossen, bis zum Jahr 2011 eine Million handgemalter Giraffen auf einer Website zu versammeln. Es ging bei dieser sympathischen Wette darum, die Potenz des weltweiten Kommunikationsmittels Internet eindrucksvoll unter Beweis zu stellen.
Schon 440 Tage später hatte es Helland mit der Hilfe von freiwilligen Zeichern aus 102 Ländern der Erde geschafft. Die absolut größte Kollektion von Giraffenbildern der Menschheit wächst seither im Netz immer noch weiter. Derzeit können 231 Exemplare aus dem österreichischen Wien und nur eines aus 1 einziges Exemplar aus dem ukrainischen Zhitomir bestaunt werden. Nach dem Sommer dieses Jahres wird das bestimmt anders sein.
(Ende der Serie)
© Wolfgang Koch 2013
http://www.walkensteiner.at/
http://www.onemilliongiraffes.com/