vonWolfgang Koch 30.11.2013

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Um die Friedhofsliteratur ist es in Wien, trotz einer nicht abreissenden Flut von Viennensia, recht traurig bestellt. Auch die folgende Neuerscheinung im Metro-Verlag kann hier keine Abhilfe schaffen; der informierte Friedhofsgeher ist weiterhin auf die zum Teil jahrzehntealten Publikationen von Hans Havelka, Werner T. Bauer und Clemens M. Gruber angewiesen.

Zunächst fragt man sich sogar, was mit einem solchen Überblicksbuch über die derzeit insgesamt 57 städtischen und konfessionelle Leichenäcker in Wien gewonnen ist. Gibt es denn wirklich Leser, die mit Kurzinformationen über die Baugeschichte von Anlagen etwas anfangen können?

Immerhin erfährt man von der jungen Autorin Kerstin Scherabon zwischen den trockenen Fakten eine ganze Menge Bedenkens- oder Wissenswertes: Zum Beispiel, dass es in Wien heute nur mehr drei rein katholische Friedhöfe gibt. Dass sich aus der Mitte der Toten von Kagran immer noch ein echtes Pestkreuz erhebt; eines für die nach 1945 nicht mehr heimgekehrten Kriegsgefangenschaft hingegen in Stadlau.

Das Citybook Friedhöfe in Wien weiss zu berichten, wo genau der erste Tote nach der kurzlebigen revolutionären Josephinischen Begräbnisordnung zur Erde gelassen worden ist: nämlich der Bauer Ferdinand Hofmann am Friedhof Hetzendorf. Wir erfahren, dass am Meidlinger Leichenfeld 1945 über achtzig Bombentrichter gezählt worden sind, und dass am Friedhof Südwest mit besonderen Vergnügen Wechselkröten laichen.

Scherabon erinnert gleich mehrfach an den heute vergessenen Versuch der Stadtverwaltung von 1975, insgesamt 16 der Wiener Friedhöfe aufzulassen, das heisst diese in kinderfreundliche Parkanlagen umzuwandeln. Ein Fortschritt, der damals durch eine Volksabstimmung zunichte gemacht worden ist.

Wir hören, dass am Friedhof Ottakring bis zu einer Anordnung  Josephs II ein Eremit in einer Klause hauste. Dass auf dem längst aufgelassenen Waldfriedhof am Kahlenberg nur Mönche des Ordens der Reurrektionisten beerdigt werden durften.

Wir erfahren, dass sich der einzige erhaltene Karner auf dem Heiligenstädter Friedhof in der Wildgrubgasse befindet. Und dass sich das ehrenhalber gewidmete Grab der Frauenrechtlerin Auguste Fickert [1855-1910] in Neustift am Walde befindet.

Dem Kulturprotestantismus des 19. Jahrhunderts verdanken die Anlage in Inzersdorf und natürlich der Evangelische Friedhof Matzleinsdorf, wo der Kärntner Suhrkamp-Autor Josef Winkler einmal im Sturmwind das Grab des deutschen Dramatikers Friedrich Hebbel gesucht hat, außerordentlich viel.

Leider liest man hier auch wieder, der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart sei in einem »Massengrab« bestattet worden. Der betreffende Schacht aber, dessen Lage wir heute nur sehr ungenau kennen, war ein 1791 absolut übliches Gruppengrab, in das eben die Leichen aus verschiedenen Familien gelegt wurden.

Dass der Architekt Clemens Holzmeister beim Entwurf der Simmeringer Feuerhalle 1923 vor allem darauf geachtet habe, das Gebäude »harmonisch in die bestehende Schlossanlage zu integrieren«, halte ich für ein Gerücht. Den internationalen Durchbruch schaffte Holzmeister mit dieser Arbeit durch ganz andere Gestaltungsüberlegungen.

Den Friedhof Simmering als »idyllischen Bergfriedhof« zu bezeichnen, nun, das mag  vor Jahrhunderten gewiss richtig gewesen sein, heute ist das verkehrsumspülte Gelände zirka so idyllisch wie die umliegenden Einkaufsmärkte und Wohnbauten.

Den berühmten Zentralfriedhof betreffend, verweist das Buch auf die dortige mormonische Abteilung und auf 47 Skelette napoleonischer Soldaten. Für ein Grab, »das lediglich aus einem Denkmal besteht«, gibt es ein simples Wort: Scheingrab oder Kenotaph.

Leider fehlt der Autorin auch das richtige Verständnis von »central«, das in der Sepukralkultur rein gar nichts mit der Lage eines Friedhofs zu tun hat; dieses Synonym für nicht- bzw. überkonfessionell geht auf jene politischen Kämpfe des 19. Jahrhunderts zurück, in denen das städtische Bürgertum das Begräbniswesen schrittweise den bis dahin zuständigen Pfarren entwand und alle seine Toten – egal, nach welchem Ritus – innerhalb einer Mauer bestattete.

Was mich dennoch für das Buch einnimmt, ist der Überblick, den es verschafft. Das sind weiters seine Fotoaufnahmen, die z. B. den Altmannsdorfer Friedhof vor der mächtigen Kulisse von Wohnneubauten zeigen, oder die Müllabladeplätze nicht auslassen.

Vielleicht gibt es ja Leser, die einfach nach neuen, ungewöhnlichen Zielen für ihre Spaziergänge suchen. Oder ein lauschiges Plätzchen für den fernen Tag ihrer letzten Ruhe. Als besonders schön und gepflegt hebt dieser Führer vier unter den 57 Friedhöfen Wiens hervor:

Den Parkfriedhof in Ober St. Veit, die Pötzleinsdorfer Leichenanlage in der Starkfriedengasse und den Grinzinger Totenacker an den langen Lüssen. Die schönsten Arkadengrüfte befinden sich angeblich in Hernals. Und die allerwenigsten Grabstellen, nämlich nur 419, zählt man derzeit in Süssenbrunn.

© Wolfgang Koch 2013

Kerstin Scherabon: Friedhöfe in Wien. Der Führer zu schaurig-schönen Orten und Inseln der Ruhe. MetroCitybook, 127 Seiten, ISBN 978-3-99300-143-7, 16,90 EUR

 

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