vonWolfgang Koch 05.08.2014

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die Bedienung der neuen Tech-Power ist simpel wie die eines Brotmessers: 1. Einschaltknopf drücken, 2. Lichtstrahl auf Objekt, Bild, Gebilde richten, 3. Aktivierungsschalter betätigen, 4. Sechs bis acht Sekunden auf das Ergebnis warten, bis das Gerät den idealen Prüfzustand erreicht hat, 5. Anzeige leuchtet grün oder rot.

Im Hintergrund der digitalen Kunstprüfung arbeitet eine Bilderkennungstechnik, die das deutsche Unternehmen Mentagram in nur einjähriger Entwicklungsarbeit erstellt hat. Der KD-L47 blendet störende Faktoren wie etwa Luftstaub aus und gleicht das Ergebnis in einem letzten Schritt mit den Bilddateien von rund 150.000 verschiedenen Werken aus der Gegenwartskunst und der Kunstgeschichte in einer Datenbank ab.

Um ein optimales Nutzungsverhältnis zu schaffen, hat der Hersteller zunächst die zirka 1.400 Mentagramme des Künstlers Alexander Nickl in die Bilderkennungstechnik integriert, der Rest wurde vom englischen Unternehmen Cortesia und dem kanadischen Anbieter Slyce zugeliefert.

Es ist schwierig, alle Vorteile dieser erstaunlichen Erfindung auf einmal aufzuzählen. Kunsterkennungsprogrammen wird in der Netzwirtschaft ein gewaltiges Potential zugestanden, und zwar nicht nur, weil sie die Verlässlichkeit von Expertisen der Willkür manipulierbarer Fachleute entwinden; Auktionshäuser können bekanntlich ein Lied davon singen.

Seit den 1950er-Jahren träumen künstlerische Avantgardisten von der Überwindung zweifelhafter Reproduktionen und der Industrialisierung der Malerei als technischen Fortschritt. Die italienische Sektion der Situationistischen Internationale zum Beispiel forderte 1959, »die Strassen der Zukunft mit unerforschbaren Materien zu bemalen, die große Himmelsbahn mit Signalen abzustecken. Dort, wo heute Natriumraketen Signale sind, stellen wir morgen Regenbögen, Fata Morganas und Nordlichter auf, die wir selbst erzeugt haben«.

Solche Wunderserien aus den Ateliers scheitern bis heute an der langen Verweildauer potentieller Förderer und Sammler in der Phase der Kunstprüfung. Je länger diese dauert, desto geringer die Kaufwahrscheinlichkeit – und damit der Umsatz auf dem Kunstmarkt.

Der KD-L47 stellt den avantgardistischen Wunsch nach einer Industriealisierung der Kunstproduktion endlich vom Kopf auf die Füße. Das Kalkül dahinter: Seine nutzerfreundliche Anwendung ist Teil einer Strategie zum Testen und Lernen für jedermann. In wenigen Jahren könnte die Kunsterkennung, wie das Brotmesser, zum selbstverständlichen Inventar jedes Haushalts gehören oder als internetfähige Smartphone-App beim Konsumenten ankommen.

Niemand wird sich dann noch den Luxus leisten, zu Dingen Beifall zu klatschen, von denen er nichts versteht.

© Wolfgang Koch 2014

 

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https://blogs.taz.de/wienblog/2014/08/05/digitale-hilfestellung-der-kd-l47-kann-kunst-erkennen/

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kommentare

  • Und was kostet das gute Stück?

    Die Zeit scheint gekommen, dass ich einem Verwandten endlich vermitteln kann, dass seine Bilder mit wieder- und wiederkehrenden Motiven nicht alle in die Kategorie Kunst fallen. Demzufolge sie auch nicht alle für die Nachwelt aufgehoben werden müssen.

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