vonWolfgang Koch 27.10.2014

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die Kontinuität, die eine Gesellschaft zusammenschweißt, ist immer eine der Traditionen und der Sitten. Die stärkste davon: der Ahnenkult. Keine materielle oder territoriale Gemeinschaft bindet uns stärker als das geistige Band zu unseren Toten.

Weite Teile Afrikas und Asiens wissen das noch – in unseren Breiten ist der Ahnenkult vor allem eine Reminiszenz, aber auch eine Reserve, auf die die Gesellschaft in Krisenzeiten zurückgreifen kann.

Es ist schon erstaunlich, wie sich die prominenten Kulturtoten in den Ehrengräbern an die Präsidentengruft am Wiener Zentralfriedhof heranpirschen. Nahezu alle verstorbenen Künstler, Literaten und Schauspieler, die man in den letzten Jahrzehnten in den Gruppen 32C, 33G und 14C zur letzten Ruhe gebettet hat, könnten genauso gut im etwas weniger zentralen Ehrenhain der Kulturschaffenden, Gruppe 40, liegen.

Abgesehen vom Kompositionsgenie Arnold Schönberg und vom Lehrerdichter Ernst Jandl hat ja kaum einer der geehrten Toten nachhaltig über Österreich hinaus gewirkt. Die prominente Platzierung der Verstorbenen an der Hauptachse zur Friedhofskirche dokumentiert eher den Einfluss der Hinterbliebenen auf den Wiener Kulturstadtrat und damit ihren familiären Rang im Wiener Kulturleben, denn eine kulturelle Bedeutung in größeren Zusammenhängen.

Was die Lage mancher Ehrengräber dennoch rechtfertigt, ist ihre außerordentlich gelungene Grabgestaltung. Ich denke an Franz Wests Gekröse-Plastik am eigenen Grab, an die elegant-modernen Ruhestätten der Architektin Margarethe Schütte-Lihotzky, des Designers Josef Hoffmann und an die schöne, liegende Frauengestalt von Fritz Wotruba am Grab der Staatsopern-Primadonna Selma Kurz-Halban.

Seit Oktober 2014 ist der Zentralfriedhof nun schon wieder um eine Attraktion reicher: Am Grab des 2009 verstorbenen Poeten Gert Jonke erhebt sich eines der seltsamsten Kreuze, welches uns die Gegenwartskunst zu bieten hat.

Was steht da am Grab Nr. 41, in der Gruppe 33G? – fragt sich der Wiener Friedshofsgeher schon von weitem. Die überlebensgroße Steinskulptur wirkt zunächst wie ein Scherzartikel, und soll das wohl auch. Ein Hinkelstein mit Haltegriff? Ein Barbapapa mit Stielaugen? Ein in der Wiese vergessener Tränensack? Eine, jede Ehrerbietungen verweigernde Süßkartoffel inmitten von glänzenden Granitplatten, steifem Blumenschmuck und verkrampftem Kies?

Gert Jonke war mehr als ein Mensch, nämlich ein absonderlicher Mensch: ein Dichter. Geboren 1946 in Klagenfurt, lebte er viele Jahre in Wien und starb vor fünf Jahren. Von Tag seiner Beerdigung an hat die Regisseurin Ingrid Ahrer, Lebensgefährtin des Dichters, 1.825 Mal das Grab besucht und dabei die Verwitterung des einfachen Holzkreuzes fotografisch dokumentiert.

Schließlich beauftragte die intensiv trauernde Frau den in Wien lebenden, ebenfalls aus Kärnten stammenden Maler und Bildhauer Wolfgang Walkensteiner mit einer steinernen »Metamorphose des einfachen Holzkreuzes«.

Walkensteiner teilte mit Jonke die Liebe zu mäandernden, eiernden Formen. Entsprechend wählte er zum Umsetzung des Grabsteins einen großen Block Krastaler Mamor, zog daraus einen runden Stab als Bohrkern, bevor er die Eier-Form aus dem Block meißelte und ihrer Oberfläche verschiedene Polituren gab. Am Ende setzte der Künstler den Bohrkern als Querbalken des Kreuzes in das Loch im Stein wieder ein.

Jean Cocteau hat im Kreuz das Schwert, das Christus metaphorisch enthauptet hat, gesehen. Das ist schon ziemlich um die Ecke gedacht. Aber es ist absolut verständlich, wenn sich Künstler immer wieder und zu allen Zeiten an der Kreuzform abarbeitet haben.

Walksteiner bezieht das vertikale und das horizontale Extrem fast beiläufig aufeinander, und macht so auf seine Art plausibel, dass nicht im entsetzlichsten Leiden eine Überwindung des Todes und in den ärgsten Qualen Gnade und Erlösung zu finden sind. Er spricht vom Kreuz als einem »Leuchtturm«.

Die Erlösungslehre war ja lange Zeiten hindurch nur eine Satisfaktionslehre. Demnach haben die Menschen durch ihr Tun Gott beleidigt. Da sie aus eigener Kraft diesen Schaden nicht wiedergutmachen konnten, hat Gott seinen Sohn gesandt. Er hat durch dieses Opfer am Kreuz sich wieder mit dem Menschen versöhnt und sie erlöst.

In seinem Sterben lud Christus die Schuld der Welt auf seine Schultern. Wurde der Mensch durch das Kreuz mit dem körperlichen Leiden konfrontiert, so sollte er darin nichts als seine Mitschuld sehen.

Das tut der merkwürdige »Leuchtturm« auf Jonkes Grab nicht. Er konfrontiert uns ausdrücklich nicht mit dem körperlichen Leiden, mit dem der krebskranke Dichter in den letzten Jahren seines Lebens weit über seine Kräfte konfrontiert war.

An diesem Hinkelstein-Kreuz ist alles verschwunden, worin sich der Mensch am Boden der Religion jahrhundertelang anklagte: der Corpus, die Inschrift, die Nägel, die symmetrische Ordnung. Es zeigt nicht, was eine unvermeidliche Sündhaftigkeit angerichtet hat, sondern beweist ausgelassenen Humor.

Es treibt das ewige Spiel der Kultur mit den schweren Zeichen weiter. Es weint kindlich um die vergangene Luft. Es behauptet keine Mitursache des Menschen an seinem Tod.

© 2014 Wolfgang Koch

Fotos: Christian Ruhs

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