vonWolfgang Koch 26.03.2015

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Mit einer einstündigen Dankesorgie, mit Festrednern, die wenig Erhellendes zu sagen hatten, und mit einer wunderschönen Live-Aktion eröffnete gestern das Theatermuseum Wien eine Langzeitausstellung zum komplexen Theaterwerk von Hermann Nitsch.

Kurator Hubert Klocker datierte im Wirbel der Blumengeschenke das 1998 in Prinzendorf realisierte Sechstagespiel auf »1989«, und Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) behauptete vor 300 Gästen, der nicht ganz unbekannte Gustav Klimt habe im Gefängnis gesessen, was einen Politiker in Österreich möglicherweise zu noch Höherem qualifiziert.

Die mit »ExistenzFest« betitelte Schau ist nicht die einzige, die sich momentan in Wien der Geschichte der Aktionskunst widmet; das Mumok tut das auf ganz exzellente Weise. In den verschachtelten Räumen am Lobkowitzplatz setzt man auf lichttechnisch fein aus der Dunkelheit heraus ziselierte Zeichnungen, auf Malereien und Bühnenkostüme. In Vitrinen liegen handgeschriebene Partiturseiten und Bücher der Orgien Mysterien Spiele.

Zunächst aber muss man sich an riesenhaften Videowänden vorbeikämpfen, auf denen dokumentarische Filme von Peter Kasperak den Überwältigungsgestus des Orgien Mysterien Theaters durch Fernsehfarben, Filmschnitt und Überformat noch einmal bis ins Groteske hinein mediale übergesteigern.

Es gibt einen Raum, in dem auf Lebensgröße aufgeblasene Schwarzweissfotos hängen, die vor einem halben Jahrhundert für ein handliches Papierformat aufgenommen worden sind. Diese Blow-ups konfrontiert der Ausstellungsmacher mit grob gewebten und mit Ölkkreide bemalten Aktionshemden in Glasschaukästen – eine Gegenüberstellung von Textil und Fototapete, die einen eher ratlos zurücklässt.

Für den neugierigen Laien ist diese Vermittlung der Theaterarbeiten von Nitsch sicher interessant. Ich vernahm diesen Kommentar von zwei pummeliger Damen vor einem seidenen Bühnenkostüm: »Schau, so blad war die Baltsa!«

Das dürfte wohl die Rezeptionsperspektive einer Mehrzahl von Besuchern dieser Ausstellung sein. Für sie ist das Gebotene sicher gut geeignet. Als Nitsch-Kenner und Liebhaber dieser Kunst aber fragt man sich, warum man über ein kopiertes Liniengewirr am Boden schreiten muss, man fragt sich, was das wohl bedeuten mag, und ob das Orgien Mysterien Theater wirklich so klar dem bürgerlichen Bühnentheater zuzuschlagen ist, oder ob es nicht eher zum antiken Mysterienkult neigt, also im Dramenspiel der Griechen seine wichtigste Quelle hat.

Ich frage mich weiters, warum ich Nitschs Mitwirkung an sechs Bühnenproduktionen in Wien, St. Pölten, Zürich und München präsentiert bekomme, aber seine krude Behandlung durch die Direktion der Wiener Staatsoper keine Erwähnung wert ist.

Zur Erinnerung: Im Februar 1998, unmittelbar vor der ersten und einzigen Realisierung des Sechstagespiels, hatte der Chef des Hauses am Ring, Ioan Holender, den Künstler eingeladen Richard Wagners Bühnenweihspiel Parsifal »mit einem wichtigen neuen Dirigenten« zu erarbeiten. Damit wäre einer der größten Theaterwünsche von Nitsch in Erfüllung gegangen, nämlich einmal wirklich Regie bei der Gralslegende zu führten, und nicht nur Inszenierungen anderer mit Versatzstücken der eigenen Arbeit auszustatten.

Dazu ist es nie gekommen! In Österreich gab es 1999 einen politischen Rechtsruck und auf einen Wink des konservativen Regierungschefs Wolfgang Schüssel (ÖVP) hin lud Holander den Künstler von dieser Produktion an der Staatsoper wieder aus.

Dieser unglaubliche Vorgang der österreichischen Theatergeschichte – dessen Hauptakteure heute mit Traumbezügen ihre Traumpensionen genießen, während der damals betrogene Künstler im hohen Alter vom österreichischen Finanzamt drangsaliert wird –, dieser im Grund kulturpolitische Mega-Skandal wird in Ausstellung und Katalog des Theatermuseums nicht einmal gestreift.

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Im letzten Raum erwartet den Besucher das Original der 4,5 Meter langen Stiertrage, ein bei Prozessionen durch sommerliche Weizenfelder benutztes Holzgefährt. Auf der Plattform dieser formschönen Trage führten Nitsch und eine Helferin an einem ans Kreuz gebundenen Akteur die Schüttaktion »Blut in den Mund« aus. Eine Schlüsselszene im Existenzfest.

Lärmmusik und Weihrauchgeruch drangen zögernd aus einem Nebenraum. Gelb blühende Blumen und eine Eisenmonstranz mit Kerzenwachs, ebenfalls von 1998, beschleunigten Bildassoziationen in alle möglichen Richtungen.

Das war schon einigermaßen überraschend, dass eine solche, viele Jahre unter freiem Himmel ausgeführten Aktion auch in diesem kleinen, kammermusikalischen Rahmen bestens funktioniert. Räumlich gesehen kam die Performance damit wieder dort an, wo sie einmal ihren Ausgang genommen hatte: in engen Privaträumen, Künstlerküchen, Kellerabteilen.

Die Kunstaktion wanderte im Theatermuseum wieder zurück in die Kammer.

© 2015 Wolfgang Koch

Theatermuseum Wien: ExistenzFest, Hermann Nitsch und das Theater.

1010 Wien, Lobkowitzplatz 2, bis Jänner 2016

Zweiprachiges Begleitbuch von Hubert Klocker, Thomas Trabitsch und Michael Buhrs im Verlag Hatje Cantz, 224 Seiten, ISBN-Nr.: 978-3-77573-995-5, 35,- Euro

www.theatermuseum.at

 

Fotos:

Stiertrage, 1998: Holz, Eisen, Blut auf Molino (Nitsch Museum Mistelbach)

16. Aktion des Orgien Mysterien Theaters, 1965 (Franziska Cibulka, Mumok Wien)

 

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