vonWolfgang Koch
06.07.2015
Du fühlst dich jung, gefährlich jung, nicht wahr? Viel lieber säße ich noch tief im Mohnbei Trost und Hoffnung und ein wenig Lüge,denn hier trägt alles schon die klaren Zügeder argen Wahrheit – man erfriert davon.Gib doch zu, dass dir meine Schwäche zuwider ist! Ich höre nicht hin, ich hause unterm Tage.Das sehe ich! Jeden Tag sitzt du in der Stube und strickst! Soll ich mit nackten Sohlenauf den Stoppeln tanzen gehenund vom Wind mich würgen lassen?Nein, das brauchst du nicht, wenn ich draußen meine Aquarelle male, undauch in der Nacht brauchst du das nicht, wenn der Nordwind weht, daklammere dich lieber an mich! Du hast die Landschaft zwischen uns verändert.An Jeglichem zwischen Wolken und Wurzeln ist Arges geschehen.Ja, es ist nicht mehr so mit uns wie damals am Lavant-Kai. Da hast du dirdiesen Mann – den nächst besten Hexenmeister! – genommen. KeinenLichtgott! Wohl einen mit Licht und Farbe Schaffenden, aber einen Bedürftigenwie du, keine Sonne mehr in den Gliedern, 36 Jahre älter als du, aberdoch einen Mann! Wir standen in einer Haustornische. Ich drückte mich andich, verzweifelt so vorbei an dich, da dachtest du: Er braucht mich! –Aber wir müssen jeden Tag mindestens einen Strohhalm aus der Erde stampfen,um ihn einem Ertrinkenden hinzuhalten, auch wenn uns selbst das Wasser schonin den Mund rinnt. Oft ist es das Schwerste, zu entscheiden, wem man den erstrittenenHalm hinhalten sollte. Wahrscheinlich – dem Nächsten. Aber es ist meistfurchtbar. Es tötet den Funken unserer Kräfte meist bis zu einer Lauheit herab, dienichts mehr vermag.Und diesen Funken bringst du mir heute zurück? Als wir heirateten, waren wir so arm, daß ich am 1. Tag nach unserer Hochzeit indie Lavantauen ging, Wurzeln graben für eine Frühlingssuppe. Natürlich erwischteich giftige, und wir wurden beide schwindlig. In der Nacht ließen uns die Rattennicht schlafen. Wie eine Irrsinnige bin ich oft stundenlang im Bett gesessen u. habmir den Kopf gehalten.Jeder bezwingt es auf seine Weise. Ich male am Tag! Meinen Fingern befiehlt er, zu schreibeneine Botschaft des Elends, die niemand erkennt,Mag sein! Aber deine Bilder sind nicht meine Bilder! Muß jetzt einen Singsang findenfür das bißchen Haut und Knochenund den gelben Schierling kochenund das Seilchen richtig winden.»Unsere Ehe«, hörst du?, sagt man, »verdient ja in keiner Beziehung diesenNamen«. »Sie bürdet dir nur neue Lasten auf.« Und mir? Von meinemKreuzweg spricht niemand? Die Zeit etwa, die du mit dem Wiener Bergverbracht hast! Dafür wirst du jetzt warten müssen, Und das kann sich noch sehr lange hinziehenmit dem 85jährigen Mann mit Herzwassersucht!Josephus Benedictus Habernig ließ ich an meinem Grabstein einmeißeln,missfällt dir das? Man soll sich an meinen Stil erinnern. Ich habe Stil! Duaber wirfst dich wie eine schamlose Proletin den Leuten an die Brust. Ich erinnere dich nur an den PräsidentschaftskandidatenJonas, den du bei seiner Rundfahrt mit deinen Werken abgepassthast und deinen hysterischen Anfall bei der Dichterzusammenkunft in Seggau,wie der Herr Stadtpfarrkaplan Pettauer erzählt. Und dass du eine,»was ja die Wahrheit ist, aggressive, gottlose Person seiest und zeit deinesLebens eine sehr berechnende, Ruhm und Erfolg einkalkulierende Frau«.Ich bin ein einfaches und durchtriebenes Geschöpf.Du hast wohl Hauswurz gekaut und Mohnsud getrunken,als du dabei warst, mich auszuatmen –- Herr Vater? Mit allen Wassern bist du gewaschen: Das ist es. Früher hätte man gefunden,wie Kurt Klinger schreibt, »der böse Geist spräche mit verstellter Stimme«aus dir, und man hätte dich verbrannt! Doch heute, nach deinem 75.Geburtstag, kennt dich kaum noch jemand in Klagenfurt, ich habe gefragt,keine zwei Parteien im Sternhochhaus wissen noch, dass du dort gewohnthast. Hat sich das also ausgezahlt, dein ewiges Gejammer, ich behinderedich beim Schreiben? Ich habe ja nie schreiben wollen, ich hab müssen. © Peter M. Schuster 2006 Die Textpassage entstammt einem im Juli 1990 entstandenen Essay mit dem Titel »Ich bringe den Funken zurück, Sonne«. Schuster zitiert darin aus Gedichten und Briefen der Kärntner Dichterin, die 1966 mietfrei im einzigen Hochhaus Klagenfurts logierte. Der Autor begleitet sie auf einer fiktiven nächtlichen Wanderung. Erinnerungen an Lavants Freundin Hilde Domin und an Lavants Ehepartner Josef Habernig werden wach. Peter Maria Schuster: Und was geschieht mit dem Licht? Physiker, Dichter und andere Reisende – Essays. ISBN 978–3-901585–08-1 (ISBN-10: 3-901585-08-7) Oberneuberg 2006, 248 Seiten, EUR 14,40, www.livingedition.at Foto: echophysics
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