vonWolfgang Koch 04.12.2016

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Am heutigen Tag schliesst nach dreimonatiger Dauer die von Beginn an von scharfen Protesten begleitete Ausstellung »Michelangelos Sixtinische Kapelle in Wien« in der Votivkirche. Bereits im September haben Katholische Jugend (KJ) sowie die Evangelischen Kirchen A.B. und H.B. in Österreich gegen die Absicht der Erzdiözese Wien, den Ausstellungsbesuchern einen zeitlichen Erlass der Sündenstrafen zu gewähren, tiefe Besorgnis angemeldet.

Ungeachtet dieser Einwände kostet ein Erwachsenticket unter der Woche sage und schreibe 17,50 Euro, am Wochenende sogar noch einen Euro mehr. Und immerhin 60.000 Besucher aus dem In- und Ausland strömten in den Alsergrund, um die pekuniäre göttliche Gnade zu erwerben.

Für Vertreter der österreichischen Kulturglorifizierungsbemühungen à la Albertina, Belvedere oder KHM ist der Eintrittspreis dieser Michelangelo-Show durch das Gezeigte keinesfalls zu rechtfertigen.

Das heilige Spektakel basiert auf einer Idee des deutsch-amerikanischen Themenpark-Millionärs Martin Biallas, der rund um die Welt schon Massen von zahlenden Besuchern durch den Kakao von Asterix und Motorrädern, von Star Trek und Michael Jackson gezogen hat, uns zwar immer genau so geschäftstüchtig, dass die vergnügungssüchtigen Besucher in Hochstimmung in seinem Merchandising-Shops landeten.

Diesmal kein Gallierdorf, keine Raumstation, keine Jackson-Garderobe, sondern gleich Repliken von Roms Weltkulturerbe an der Donau. Die Fotos von Michelangelos Freskierung der Decke in der Sixtinischen Kapelle hat der Magnum-Fotograf Erich Lessing in den 1990ern unmittelbar nach der Restaurierung noch vom Gerüst aus geschossen.

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Sie sind in dem völlig misslungenen neogotischen Kirchenbau in schlauchartigen Gängen so knapp einander gegenüber gehängt, dass sich über kein einzelnes Motiv mehr ein Überblick gewinnen lässt. Ihre Anordnung in der Ausstellung folgt auch nicht dem umfangreichen Programm an der Decke, sondern plaziert die bekanntesten Freskenmotive an den günstigsten Plätzen.

Auf diese Weise steht plötzlich, ganz gegen Michelangelos Intention, die »Erschaffung Adams« dem »Jüngsten Gericht« gegenüber, und das ist bei weitem nicht der einzige Widersinn dieser Ausstellung.

Michelangelos monumentales Programm von über 300 Figuren folgt einer humanistischen Logik, nach der konsequent Heilige und Propheten Sybyllen und Sehern, biblische Gestalten mythologischen Figuren der griechischen Antike gegenübergestellt werden. Die Seher thronen auf gemalten Steinbänken und studieren in weltlichen Posen Bücher und Schriftrollen, grübeln über Gottes Wort und schreiben ihre Visionen nieder.

Man kann an diesem Werk eine Menge lernen. Michelangelo malte zum Beispiel gegen die Chronologie der dargestellten Ereignisse; dabei verschob sich kontinuierlich der Grössenmassstab in eine Richtung. Aber das lässt sich im Chaossystem dieser Austellung natürlich nicht mehr nachvollziehen.

Sicher, das Rätsel der feinen Pinselstriche, die oben an der Decke in Rom niemand sehen kann, dieses Rätsel ist in der Votivkirche mit freiem Auge zu besichtigen. Aber eine anderen Erklärung, als die, dass der Künstler diese Nahsicht in einer Art persönlicher Referenz an das Höchste angelegt hat, bringt uns auch das Anglotzen aus der Nähe nicht.

Die erzählerischen Qualitäten des Zyklus, sie ist dahin. Die grandiose Handhabung der Verkürzungen, die kompositorischen Tricks der Freskierung, der perspektivische Tiefenzug der Gemälde – nichts davon ist in einem Meter Entfernung noch zu erkennen.

Ähnlich schief liegt die kirchenrechtliche Begründung dieses modernen Ablasshandels. Nach Ansicht kritischer Theologen wird in Wien das seit 1999 in der römisch-katholischen Kirche gültige Regularium Enchiridion indulgentiarum klar missbräuchlich interpretiert.

Dieses kirchliche Regelwerk sieht zwar den Ablass beim »frommer Gebrauch eines Gegenstandes, der vom Papst oder einem Bischof geweiht ist«, vor, was auf Michelangelos Gemälde vielleicht im weitesten Sinn zutrifft – aber eben nur am Festtag Peter und Paul, zusammen mit dem Sprechen des Glaubensbekenntnisses.

Wir haben beim Lokalaugenschein keinen Ausstellungsgast entdecken können, die in Gebetsstellung verharrt wäre.

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Auch von einem »Besuch einer der vier römischen Patriarchalbasiliken in einer kindlichen Unterordnung unter den Heiligen Vater« lässt sich in der Wiener Fotoschau nicht sprechen. Denn ersten ist die Votivkirche nicht die Sixtinische Kapelle, zweitens ist die Sixtinische Kapelle keine der vier römischen Partriachalbasiliken (Basilica maior), und drittens lässt kein Besucher irgendeine kindliche Unterordnung unter irgendeine höhere Macht erkennen.

Im Gegenteil: Die Ablasskäufer schlendern in der Votivkirche laut gestikulierend durch die Ausstellungsschläuche, lauschen elektronischen Führern oder unterhalten sich über die Preise der Wiener Maroniprater.

»Ich lebe hier in grösster Sorge unter den grössten körperlichen Anstrengungen und habe keinen einzigen Freund, will auch keinen, und habe nicht soviel Zeit, um das Notwendigste essen zu können«, schrieb Michelangelo über seine Lage im Jahr 1509 an seinen Bruder Buonaroto. Die Fresken-Show ist mit ihren käuflichen Baseballkappen und Kaffeetassen eine einzige Antithese zu den Nöten des Künstlers, dessen Arbeit hier skandalös ausbeutet wird.

Was die Wiener Ablasskäufer von diesem teuren Kirchenbesuch mit nach Hause nehmen, ist ein leeres Sündenregister und das Erlebnis den Arsch Gottes in der »Erschaffung von Sonne und Mond« einmal im Leben direkt vor der Nasenspitze gehabt zu haben.

© Wolfgang Koch 2016

Fotos: M. Spitzauer

 

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https://blogs.taz.de/wienblog/2016/12/04/erzdioezese-wien-gewaehrt-60-000-ablaesse-mit-michelangelo/

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kommentare

  • Vielen Dank für die ausführliche Analyse einer kommerziellen Einrichtung von Hollywood, die wahrscheinlich das größte Meisterwerk aller Zeiten ausgenutzt hat – mit wenig Kunstverstand, aber mit viel Gier- um seine Kasse zu bereichern. 
    Die Besucheranzahl sind mit Vorsicht zu nehmen, da der angeblich „Millionär“ Biallas bekannt für sein Fantasie-Besucheranzahlen ist 
    Seine 2015 Sixtinische Kapelle Ausstellung in Montreal wurde gleichzeitig von ihm als „Experiment“ für Wien benannt, und gleichzeitig erfolgreich mit über 100’000 Besucher in den US positioniert. 
    Wahrscheinlich die Besucheranzahl stimmt so wenig wie die Masse der Paneelen, deren Fotograf und die Herkunft der Fotovorlagen. 
    Es liesse sich noch manches über den Aussteller Biallas, sein „erfolgreichen Touren“ sagen. Seien wir aber froh, dass diese Veranstaltung in der Votivkirche nun sein Ende gefunden hat. Mögen andere Kirchen und Ausstellungshäuser davon verschont bleiben.

  • Glückwunsch Herr Koch für diese offenen, wahren Worte.
    Diese Ausstellung ist eine Schande. Bereits in Montreal bei der sogenannten „Weltpremiere“ wurde die Ausstellung in der Presse zerrissen. Die geplante Tour in Kanada kam nicht zustande. Auch die gegenwärtige Ausstellung von Biallas in Dallas ist eine Schande. Ohne Sinn und Verstand wird da das Thema Michelangelo und dessen Malerei in der Sixtinischen Kapelle finanziell ausgebeutet.

    Das Konzept ist eine Schande, aber auch die Qualität der einzelnen XXL-Fotos sind sehr schlecht:
    Katastrophe beim Eckgemälde – Die Eherne Schlange – von Michelangelo in der Wiener Ausstellung „Sixtinische Kapelle“ in der Votiv-Kirche:
    Mit Bildbearbeitung wurde das Werk verunstaltet (zwei dicke Balken wurden links und rechts am Rand hinzugefügt), das Gemälde wurde beschnitten (nur das Mittelteil ist zu sehen, die Bildaussage ist völlig verloren gegangen) und es wird in der Votiv-Kirche im Zustand VOR der Reinigung gezeigt. Dunkel, dreckig.
    Michelangelo hat dieses so nie gemalt, kein Fotograf hat dieses je so fotografiert.
    Es ist sehr traurig, was mit diesem Meisterwerk hier angestellt wird.

    Schade, dass mein „Review“ auf Facebook wieder gelöscht wurde, hier nochmals ein Versuch:

    „Das Jüngste Gericht“ von Michelangelo ist als ungereinigtes XXL-Poster in der Votivkirche, Wien zu sehen.
    Das darf man einem Welt-Meisterwerk und Michelangelo nicht antun.

    Das XXL-Poster in der Votivkirche bildet das Gemälde VOR dessen aufwändiger Reinigung in den Jahren 1990 bis 1994 ab. Dunkel, dreckig unansehnlich. 
    In der Votiv Kirche-Version sind auch alle späteren Übermalungen noch zu sehen. (z.B. einige der sogenannten Hosen), die nicht von Michelangelo stammen. Warum reinigt man aufwändig das Gemälde über Jahre und zeigt es dann ungereinigt. ???

    Schade, das gereinigte Gemälde – in seiner ganzen Pracht – hätte es verdient gezeigt zu werden.
    Ausserdem sind auf dem XXL-Poster unten das Kreuz und die Kerzen vom Altar abgebildet. 
    Michelangelo hat diese nicht gemalt – und diese verfälschen die Bildwirkung. Jesus am Kreuz hat absolut nichts mit den „Verdammten der Hölle“ am unteren Gemälderand zu tun. 

    Fotografien von Erich Lessing:
    In den Medien wird oft fälschlich behauptet: „Die Fotografien der Fresken stammen von Erich Lessing. Er war der einzige Künstler, der nach der Restaurierung in den 80er-, 90er-Jahren die Erlaubnis bekam, in der Sixtinischen Kapelle zu fotografieren.“

    Das stimmt so nicht. In der „Show“ sind ja auch einige Poster mit Fotos VOR (z.B. Jüngste Gericht) der Reinigung zu sehen.
    Wie kann man nach der Restaurierung Fotos machen die dann das Gemälde VOR der Restaurierung abbilden ?

    Der Fotograf war NICHT Erich Lessing, sondern sein Bild-Archiv hat offensichtlich nur die Vermarktung der verschiedenen Fotografien vom Vatikan übertragen bekommen – wie viele andere Bildarchive auch.

    Lessing hat also diese Deckengemälde nicht selber fotografiert. Schon gar nicht liegend auf dem Gerüst wie einer der Veranstalter ins Mikrofon erzählt und auch nicht wie Michelangelo ( Michelangelo malte immer stehend.)

    Bilder in Originalgröße ? Na ja. Das ist wohl „nicht ganz korrekt“ (z.B. gem. Wikipedia Maße bzgl. der Sixtinischen Kapelle Bilder).
    Keines der Poster zeigt die Gemälde der Sixtinischen Kapelle annähernd in Originalgröße.
    Mache (jede 2. Genesis-Gemälde) sind sogar maßlos zu gross abgebildet.

    Fresko-Stil? Wie will man auf gewebten Stoff eine Oberfläche im Fresko-Stil realisieren? Von den Farben ganz zu Schweigen. Könnten das die Veranstalter erklären ?

    Europa-Premiere?
    Zur Zeit ist ja in Köln eine weitere Sixtinische Kapelle -Foto-Ausstellung, ebenfalls mit dem Anspruch einer „Welt-Tour“.
    Die hat aber die Fotografien direkt vom Vatikanischen Museum erworben – und alles Fotografien der Kapelle nach der Restaurierung.

    Also die Fotos und eine Ausstellung der Fotos „in nahezu Originalgröße“ (auch wenn sie dies nicht sind) ist nichts Besonderes – zumal ja die sogenannte „Welt-Premiere“ vom Aussteller Biallas/ SEE Global in Montreal/ Kanada im vergangenen Sommer wohl nicht so erfolgreich war.

    Seine geplante Tour durch Kanada (nach Montreal sollten Vancouver und Toronto folgen) kam überhaupt nicht mehr zustande.
    Auch seine „USA Premiere“ zum 2. März 2016 in Dallas wurde bereits Wochen vor der Eröffnung wieder „still und heimlich“ abgesagt. Nun soll ab Oktober dies dort nochmals probiert werden: „Firsttime ever in America“. Der Veranstalter verwechselt America mit den USA. Denn in Mexico Stadt ist weltweit der einzige -gelungene- Nachbau der Kapelle mit dem Deckenfresko seit Wochen zu sehen.

    Dennoch geht diese „Welt-Tour“ nun mit der „Europa-Premiere“ weiter.

    Nun Wien – viel Erfolg den Finanziers
    wünscht Renaissance Freund vom Kunstmuseum Gehrke-Remund, Baden-Baden

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