Am heutigen Tag schliesst nach dreimonatiger Dauer die von Beginn an von scharfen Protesten begleitete Ausstellung »Michelangelos Sixtinische Kapelle in Wien« in der Votivkirche. Bereits im September haben Katholische Jugend (KJ) sowie die Evangelischen Kirchen A.B. und H.B. in Österreich gegen die Absicht der Erzdiözese Wien, den Ausstellungsbesuchern einen zeitlichen Erlass der Sündenstrafen zu gewähren, tiefe Besorgnis angemeldet.
Ungeachtet dieser Einwände kostet ein Erwachsenticket unter der Woche sage und schreibe 17,50 Euro, am Wochenende sogar noch einen Euro mehr. Und immerhin 60.000 Besucher aus dem In- und Ausland strömten in den Alsergrund, um die pekuniäre göttliche Gnade zu erwerben.
Für Vertreter der österreichischen Kulturglorifizierungsbemühungen à la Albertina, Belvedere oder KHM ist der Eintrittspreis dieser Michelangelo-Show durch das Gezeigte keinesfalls zu rechtfertigen.
Das heilige Spektakel basiert auf einer Idee des deutsch-amerikanischen Themenpark-Millionärs Martin Biallas, der rund um die Welt schon Massen von zahlenden Besuchern durch den Kakao von Asterix und Motorrädern, von Star Trek und Michael Jackson gezogen hat, uns zwar immer genau so geschäftstüchtig, dass die vergnügungssüchtigen Besucher in Hochstimmung in seinem Merchandising-Shops landeten.
Diesmal kein Gallierdorf, keine Raumstation, keine Jackson-Garderobe, sondern gleich Repliken von Roms Weltkulturerbe an der Donau. Die Fotos von Michelangelos Freskierung der Decke in der Sixtinischen Kapelle hat der Magnum-Fotograf Erich Lessing in den 1990ern unmittelbar nach der Restaurierung noch vom Gerüst aus geschossen.
Sie sind in dem völlig misslungenen neogotischen Kirchenbau in schlauchartigen Gängen so knapp einander gegenüber gehängt, dass sich über kein einzelnes Motiv mehr ein Überblick gewinnen lässt. Ihre Anordnung in der Ausstellung folgt auch nicht dem umfangreichen Programm an der Decke, sondern plaziert die bekanntesten Freskenmotive an den günstigsten Plätzen.
Auf diese Weise steht plötzlich, ganz gegen Michelangelos Intention, die »Erschaffung Adams« dem »Jüngsten Gericht« gegenüber, und das ist bei weitem nicht der einzige Widersinn dieser Ausstellung.
Michelangelos monumentales Programm von über 300 Figuren folgt einer humanistischen Logik, nach der konsequent Heilige und Propheten Sybyllen und Sehern, biblische Gestalten mythologischen Figuren der griechischen Antike gegenübergestellt werden. Die Seher thronen auf gemalten Steinbänken und studieren in weltlichen Posen Bücher und Schriftrollen, grübeln über Gottes Wort und schreiben ihre Visionen nieder.
Man kann an diesem Werk eine Menge lernen. Michelangelo malte zum Beispiel gegen die Chronologie der dargestellten Ereignisse; dabei verschob sich kontinuierlich der Grössenmassstab in eine Richtung. Aber das lässt sich im Chaossystem dieser Austellung natürlich nicht mehr nachvollziehen.
Sicher, das Rätsel der feinen Pinselstriche, die oben an der Decke in Rom niemand sehen kann, dieses Rätsel ist in der Votivkirche mit freiem Auge zu besichtigen. Aber eine anderen Erklärung, als die, dass der Künstler diese Nahsicht in einer Art persönlicher Referenz an das Höchste angelegt hat, bringt uns auch das Anglotzen aus der Nähe nicht.
Die erzählerischen Qualitäten des Zyklus, sie ist dahin. Die grandiose Handhabung der Verkürzungen, die kompositorischen Tricks der Freskierung, der perspektivische Tiefenzug der Gemälde – nichts davon ist in einem Meter Entfernung noch zu erkennen.
Ähnlich schief liegt die kirchenrechtliche Begründung dieses modernen Ablasshandels. Nach Ansicht kritischer Theologen wird in Wien das seit 1999 in der römisch-katholischen Kirche gültige Regularium Enchiridion indulgentiarum klar missbräuchlich interpretiert.
Dieses kirchliche Regelwerk sieht zwar den Ablass beim »frommer Gebrauch eines Gegenstandes, der vom Papst oder einem Bischof geweiht ist«, vor, was auf Michelangelos Gemälde vielleicht im weitesten Sinn zutrifft – aber eben nur am Festtag Peter und Paul, zusammen mit dem Sprechen des Glaubensbekenntnisses.
Wir haben beim Lokalaugenschein keinen Ausstellungsgast entdecken können, die in Gebetsstellung verharrt wäre.
Auch von einem »Besuch einer der vier römischen Patriarchalbasiliken in einer kindlichen Unterordnung unter den Heiligen Vater« lässt sich in der Wiener Fotoschau nicht sprechen. Denn ersten ist die Votivkirche nicht die Sixtinische Kapelle, zweitens ist die Sixtinische Kapelle keine der vier römischen Partriachalbasiliken (Basilica maior), und drittens lässt kein Besucher irgendeine kindliche Unterordnung unter irgendeine höhere Macht erkennen.
Im Gegenteil: Die Ablasskäufer schlendern in der Votivkirche laut gestikulierend durch die Ausstellungsschläuche, lauschen elektronischen Führern oder unterhalten sich über die Preise der Wiener Maroniprater.
»Ich lebe hier in grösster Sorge unter den grössten körperlichen Anstrengungen und habe keinen einzigen Freund, will auch keinen, und habe nicht soviel Zeit, um das Notwendigste essen zu können«, schrieb Michelangelo über seine Lage im Jahr 1509 an seinen Bruder Buonaroto. Die Fresken-Show ist mit ihren käuflichen Baseballkappen und Kaffeetassen eine einzige Antithese zu den Nöten des Künstlers, dessen Arbeit hier skandalös ausbeutet wird.
Was die Wiener Ablasskäufer von diesem teuren Kirchenbesuch mit nach Hause nehmen, ist ein leeres Sündenregister und das Erlebnis den Arsch Gottes in der »Erschaffung von Sonne und Mond« einmal im Leben direkt vor der Nasenspitze gehabt zu haben.
© Wolfgang Koch 2016
Fotos: M. Spitzauer
Vielen Dank für die ausführliche Analyse einer kommerziellen Einrichtung von Hollywood, die wahrscheinlich das größte Meisterwerk aller Zeiten ausgenutzt hat – mit wenig Kunstverstand, aber mit viel Gier- um seine Kasse zu bereichern.
Die Besucheranzahl sind mit Vorsicht zu nehmen, da der angeblich „Millionär“ Biallas bekannt für sein Fantasie-Besucheranzahlen ist
Seine 2015 Sixtinische Kapelle Ausstellung in Montreal wurde gleichzeitig von ihm als „Experiment“ für Wien benannt, und gleichzeitig erfolgreich mit über 100’000 Besucher in den US positioniert.
Wahrscheinlich die Besucheranzahl stimmt so wenig wie die Masse der Paneelen, deren Fotograf und die Herkunft der Fotovorlagen.
Es liesse sich noch manches über den Aussteller Biallas, sein „erfolgreichen Touren“ sagen. Seien wir aber froh, dass diese Veranstaltung in der Votivkirche nun sein Ende gefunden hat. Mögen andere Kirchen und Ausstellungshäuser davon verschont bleiben.