vonWolfgang Koch 23.01.2021

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wir kennen sie gut, diese gespenstischen Unorte: die Bestiarien von Karl Kraus und Franz Blei, das österreichische Pandämonium, bevölkert von Nazis, Katholiken und Sozis, wie es Thomas Bernhard vor das Theaterpublikum hingestellt hat, wir kennen den verfluchten Trottelgarten von Günter Brus und die Vorhölle der Elisabeth Kmölniger – aber so etwas hat es in der alpenländischen Literatur noch nicht gegeben: dass sich ein Schriftsteller im 72. Lebensjahr von seinen Lesern*innen mit einem grotesken Zerrbild seiner Selbst verabschiedet, einer bitteren Parodie auf die Nöte des alterenden Mannes im Bildungsmilieu, nein, eine so bittere Wahrheit kennt die Meckerliteratur zwischen Boden- und Neusiedlersee bisher noch nicht.

Es ist ein missmutiger Grantscherm, wie man im Süden der deutschen Sprache zu einem schlecht gelaunten Menschen sagt, den Gerhard Jaschke da in einem Splitterwerk vor uns hinstellt. Ein wenig sympathischer Ich-Erzähler, dem nicht nur die Nase rinnt, der auch nicht mehr weiss wie es weitergehen soll … weitergehen mit dem Leben, mit der Literatur, mit der Politik. Der Mann scheint, genau wie sein Autor, ein ehemaliger Kleinverleger zu sein. Viel Konkretes erfahren wir nicht.

Dass er im 3. Stock wohnt, das erfahren wir, dass er Pensionist ist, betagt und invalide, dass er früher der Hansiburli Fliederbusch war, aber jetzt manchmal den ganzen Tag nicht mehr aus dem Bett steigt, und wozu auch? Die Ehrungen für das Lebenswerk sind ausgeblieben. Hansiburli Fliederbusch ist ein lästiger Zeitgenosse in einer von Genderpatrouillen kontrollierten Zone geworden. Er mag nicht zum Arzt, weil er dort die Daten seiner Vorerkrankungen, die Lebensdaten seiner Vorfahren und die Dosierungen seiner Medikamente augenblicklich im Kopf haben soll. Er mag keine Lesungen mehr geben und keine Vorträge mehr halten; das Auftrittshonorar reicht ja nicht einmal für die Taxifahrt nach Hause.

In diesem Stil geht es über 150 Seiten. Genau genommen aber auch das nicht. Denn Jaschke widersteht ja jedem Stilzwang aus tiefster poëtischer Überzeugung. Als Veteran der literarischen Neo-Avantgarden der 1970er-Jahre liebt er es, das Lesepublikum zu foppen, liebt es unberechenbar abzuschweifen vom Erzählfaden, ihn zu zerschnepseln, in Benzin zu tauchen und anzuzünden. So wächst sich dieses mustergültig vom Ritter Verlag auf angenehmem Papier edierte Bändchen, das am Cover von 21 dünne Linien und drei glänzende blaue Balken geschmückt wird, aus zu einer Heptalogie. Der Jammerlappen gibt seinen Sermon nicht in einem artistischen Monolog wieder, wie bei Bernhard oder Goubran, es gibt keinen zusammenhängenden Text, keinen Handlungsstrang und keine Zeit der Handlung.

Geliehene Leben‹ ist eine aus Bruchstücken bestehende Erzählung von der Unmöglichkeit des Fortexistierens, ›Geliehene Leben‹ ist ein aussichtsloser Versuch im Hinblick auf die Befreiung von der Besessenheit durch das Buch. Der Mann, um den sich alles dreht, mag ein missmutiger Grantscherm sein, aber er ist auch immer noch ein exquisit belesener Mann. In seiner Wohnbibliothek ziehen an ihm Ovid, Jean Paul, Goethe, Robert Walser, Kafka, Tristan Trzara und Edmond Jabès mit erlesener Worten vorüber. Der Sauertopf ist mit den verstorbenen Vertreter*innen des Wiener Untergrunds ebenso auf Du und Du wie mit Stefanie Sargnagel, der Modeautor*in der »Standard«-Redaktion.

Aber dieses Buch trägt eben das Wort »Nachsätze« im Untertitel, und das hat seinen Grund. In einem tautologischen Verfahren verweigern diese Nachsätze zu Lebzeiten ihre leichte Konsumierbarkeit, nichts an ihnen ist flüssig und eingängig, aber alles eigenständig grantig und innovativ missmutig.

Am Beginn reichen dem armen Tropf ein paar Quadrameter seines Schreibtisches als sein Arkadien. Im Kopf dröhnen ihm Gedichte. Schenkelklatschend erkennt er im Wort »erklimmt« den Maler Gustav Klimt wieder. Solche Spässe treibt sein Geist. Macht er aber eine seiner »unwesentlichen Anmerkungen« zu dem Erlebten, so beschleichen ihn sofort die Selbstzweifel, beschleicht ihn ein Grübeln, wie es heute keine Literaturkritiker*in und keine Fachwissenschafter*in mehr zustande bringt. »Würde ich alles, das mir einfällt, aufschreiben«, sagt er resignierend, »wüsste ich nicht wohin damit«.

© Wolfgang Koch 2021

Gerhard Jaschke: Geliehene Leben. Nachsätze. 151 Seiten, Ritter Verlag 2020, ISBN-13: 9783854156147, 14.90 EUR

Foto (Ausschnitt): Literaturgefluester 2013

 

 

 

 

 

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